: Zeitung falten
Ein Lesedramolett mit fünf Frauen: Hilke, (Sa-)Bine, Andrea, Marie, Franziska
Von Feridun Zaimoglu
Drei Frauen am Tisch. Kuchen. Kaffee.
Hilke: Kannst du damit aufhören?
Marie: Womit?
Franziska: Stell dich nicht dumm, ja!
Marie: Sie spricht mit mir. Ich spreche mit ihr. Dich geht es nichts an. Hilke: Laß sie in Ruhe.
Marie: Wieso soll ich sie in Ruhe lassen? Und womit soll ich – bitte! – aufhören?
Franziska: Das Dingsda.
Marie: Ja?
Hilke: Die Kuchengabel auf den Teller, bitte! Marie: Ich bin ja bei feinen Leuten, das hatte ich vergessen. Hier. Zufrieden?
Franziska: Wo du davon sprichst. Ich bin es nicht. Marie: Ich wußte es. Das ist eine eurer üblichen Besprechungen. Deswegen habt ihr mich eingeladen, gebt es zu.
Hilke: Nicht nur dich, meine Liebe.
Marie: Steck sie dir irgendwohin, deine Liebe. Franziska: Jetzt ist aber Schluß, ja?! Ich hör mir das nicht mehr länger an.
Hilke: Laß sie, Ziska. Sonst schnappt sie uns völlig über. Marie: Süß. Ziska ... Ihr beide seid jetzt ganz eng, oder was? Hilke: Wir haben uns immer sehr gut verstanden. Marie: So. Vor einem Jahr hieß es aber: Franziska, dieses Schlämpchen, macht Guido schöne Augen.
Franziska: Schlämpchen.
Marie: Meine Mama ist sich zu fein, um Schlampe zu sagen. Franziska: Schlämpchen ... also, ich weiß ja nicht. Hilke: Ich habe es im Zorn gesagt. Guido ist weg, wir müssen uns wegen dieses Mannes nicht streiten.
Marie: War das ein Pflaumenaugust! Verheiratet. Kinder. Die naive Liese hat er aber schnell mal abgegriffen.
Hilke: Wie sprichst du mit deiner Mutter, sag mal! Ich bin keine Liese. Marie: Ist ja gut, Mama. Hauptsache, du hattest deinen Spaß. Hilke: Red keinen Unsinn. Du weißt so gut wie ich, wie sehr ich dieses ... amouröse Verhältnis bereue.
Marie: Amourös sagt heute kein Schwein mehr. Verhältnis genügt. Franziska: Einen Augenblick. Hast du mich tatsächlich „Schlämpchen“ genannt? Marie: Hat sie.
Hilke: Legst du bitte die Gabel auf den Teller! (Zu Franziska:) Es tut mir leid, Ziska.
Franziska: Vergangen und vergessen.
Marie: Ist nicht viel los bei dir, Mama.
Hilke: Was erwartest du? Ich bin schließlich nicht mehr zwanzig. Marie: Bin ich auch nicht. Trotzdem.
Franziska: Heut ist Sonntag. Da ist man von Natur aus etwas gebremst. Marie: Ah ja.
Hilke: Geht es dir überhaupt gut, Kind?
Marie: Danke der Nachfrage.
Franziska lacht.
Marie: Da gibt es überhaupt nichts zu lachen.
Hilke: Kind, du bist so gereizt. Ist mit dir wirklich alles in Ordnung? Marie: Ich geh zur Therapie ... Lachst du über mich? Franziska: Nein, nein. Ich mußte nur gerade daran denken, wie du eines Abends im langen Strickpulli vor uns standest und sagtest: „Ich will Lollipop.“
Hilke: Ja, du hast sie geliebt, diese Lakritz-Lutschkugeln. Marie: Ich glaub , ich bin im Altersheim. Was ist so witzig daran? Franziska: Wart s ab. In zehn Jahren wirst du dich auch an die Sachen von früher erinnern.
Marie: Das tue ich jetzt schon. Aber ich lache dabei nicht so debil wie du. Franziska: Debil? Wärst du mein Kind, würde ich dir jetzt eine klapsen. Hilke: Laß sie, Ziska. Sie geht ja nicht umsonst zur Therapie. Marie: Genau. Du hast mich völlig vermurkst, und ich muß es ausbaden. Hilke: Man konnte es dir nie recht machen, Kind. Ich habe dich durch schwere Zeiten durchgebracht. Ein bißchen Dank könnte nicht schaden. Marie: Meine Therapeutin sagt: „Für die Schäden, die Sie haben, können Sie nichts. Die Schäden sind fremdverschuldet.“ Franziska: Von Schäden hat sie bestimmt nicht gesprochen. Das hört sich nicht professionell an.
Marie: Wieso? Bist du auch in Behandlung, oder was? Franziska: Also, ich habe nichts.
Marie: Da wär ich mir an deiner Stelle nicht so sicher. Hilke: Können wir bitte das Thema abschließen?! Marie: Meinetwegen. Wo bleiben die anderen?
Hilke: Bine kommt immer zu spät. Das hat sie von ihrem südländischen Vater. Marie: Den hat sie doch nie kennengelernt. Soweit ich weiß, ist er auf und davon, als sie drei war.
Franziska: Ja, schon. Das Blut ist eben stärker. Marie: Ihr redet ein Spießerblech zusammen. Das kann doch nicht wahr sein! Hilke: Früher wußtest du auch immer alles besser. Marie: Früher war gestern, Mama.
Hilke (zu Franziska): Sag mal, hat Andrea was gegen mich? Franziska: Nein, sie mag dich gerne.
Hilke: Mir ist aufgefallen, daß sie sich mir gegenüber reserviert verhält. Franziska: Du hast sie auch nicht nett behandelt, als sie dich besuchen kam. Hilke: Entschuldige, ja! Ich hatte ausdrücklich nur Bine eingeladen. Und dann steht sie plötzlich mit Andrea vor der Tür. Ich war einfach überrascht, und dann hat es mich auch geärgert. Marie: Sind die beiden Likördamen wirklich zusammengezogen? Franziska: Sie sparen Geld und sind nicht mehr so allein wie früher. Bine lebt richtig auf ...
Das Telefon klingelt. Hilke steht auf, geht zum runden Beistelltisch, nimmt das Telefon aus der Ladestation und drückt auf die Abnahmetaste.
Hilke: Hilke Leutner am Apparat ... Ach, das ist ja lustig, wir haben gerade von euch gesprochen.
Sie rollt mit den Augen. Dann stellt sie auf Zimmerlautstärke.
Bine: ... und da hab ich mir gesagt: Nein, das kannst du jetzt nicht bringen, die Ärmste quält sich wegen der Migräne, und du machst dir einen schönen Tag bei Hilke. Sie liegt auf der Couch, sie hört mir zu ... Andrea: Geh doch. Mir tust du keinen Gefallen, wenn du bleibst ... Bine: ... Hilke, ihr müßt uns entschuldigen. Ich kann sie jetzt unmöglich alleine lassen.
Hilke: Schade, aber nicht zu ändern. Na gut. Richte Andrea bitte meine Genesungswünsche aus.
Bine: Mach ich. Grüß mir die Süßen. Tschüs.
Hilke drückt auf die Austaste, stellt das Telefon in die Ladestation.
Hilke: Ihr habt es gehört. Ein Fall von höherer Gewalt. Franziska: Daß ich nicht lache. Die Andrea hatte einfach keine Lust und mimt die Kranke. Das ist echt nicht zum Aushalten. Marie: Du hast sie vorhin in Schutz genommen. Franziska: Ich habe nichts gegen sie. Sie hält die arme Bine vom Leben ab. Hilke: Wenn Bine wollte, könnte sie sich losreißen. Aber sie will ja nicht. Marie: Wieso? Sind die beiden lesbisch, oder was? Hilke: Also wirklich!
Franziska: Man kann das nie definitiv ausschließen. Jedenfalls – ich nicht. Hilke: Jetzt hör schon auf, Ziska.
Marie: Ihr könnt euch ja weiter in das Thema einarbeiten. Ich muß jetzt los. Hilke: Jetzt schon?
Marie: Ich habe zu tun, Mama. Ich kann nicht ewig auf dem Stuhl kleben und eurem Pingpong-Gespräch lauschen.
Franziska: Na dann, auf Wiedersehen. Ach, fast hätte ich es vergessen: In der Tüte im Flur sind die alten Zeitungen.
Hilke: Was für alte Zeitungen?
Franziska: Die Türken in der Wohnung über mir ... Ich habe sie gebeten, die Zeitungen nach dem Lesen nicht wegzuschmeißen. Hilke: Wofür brauchst du sie?
Marie: Im Kindergarten basteln wir mit den Kleinen Zimmermannshüte. Hilke: Ach, ist das niedlich.
Marie: Vor allem ist das viel Arbeit ... Danke dir, Franziska. Jetzt aber. War schön mit euch.
Sie schlüpft in ihren Mantel, schaut prüfend an sich herunter, küßt Hilke und Franziska auf beide Wangen und geht.