Die Argwohnspirale
: „Gedrechselte Phrasen“

Das Interview als Darstellungsforum ist zumindest bei Politikern gänzlich ungeeignet. Es sind professionelle Langweiler, die das allenfalls einmal in schöne Worte kleiden – ob nun live oder beim Autorisieren. Erhellendes, Pointiertes und vor allem mal Neues ist von Politikern in Interviews grundsätzlich nicht zu finden.

[…] Die Aktion gegen „gedrechselte Phrasen“ kann nur sein, Politiker so lange mit Nichtbeachtung zu strafen, bis sie etwas Brauchbares zur Debatte beizutragen haben. Das schafft immensen Platz für spannende Themen und Leute, die etwas zu sagen haben.

TIMO RIEG, Bochum

Anonymisierte Form

Zititieren Sie in Zukunft prinzipiell Politikeraussagen in anonymisierter Form. Bei aufmerksamer Beobachtung politischer Statements kommt einem das Wort Schwachsinn allzu häufig in den Sinn. Dadurch würde das Zeitungslesen am Frühstückstisch der New-Age-Show des Polit-Establishments Rechnung tragen. Sie lasen heute in seiner 376. Ausgabe: „Wer hat wieder welchen Schwachsinn verzapft? Seien Sie auch morgen wieder dabei.“ Sollten Sie meinem Vorschlag zustimmen, behalte ich mir selbstredend die Vermarktungsrechte vor.

BORIS WACHOWIAK, Chemnitz

Ins Wespennest gestochen

Gratulation zu eurer Öffentlichkeitskampagne! Gerade kam ein Bericht dazu im Deutschlandfunk – ihr scheint in ein Wespennest gestochen zu haben. Soll heißen: Das Thema scheint auch anderen BlattmacherInnen auf den Nägeln zu brennen bzw. im Magen zu liegen. Ob ihr nun ausgerechnet Joschka Fischer als glänzende Ausnahme lobend erwähnen müsst, mag dahingestellt bleiben. Ihr habt eh den Ruf weg, Sprachrohr der rot-grünen Regierung zu sein.

BÄRBEL OSBERGHAUS, Lüneburg

Dissenz aushalten können

Die parlamentarische Demokratie ist die wichtigste Errungenschaft unseres Landes, die es zu erhalten und zu pflegen gilt. Und da sollten unsere Politiker vielleicht mal wieder lernen, dass Ehrlichkeit, Wahrheit und freie Berichterstattung unserer politischen Kultur zuträglich und wichtig sind. Und das heißt auch, Dissenz auszuhalten. […]

STEFAN FRECK, St. Augustin

Bravo, das war ein guter Anfang

Bravo, das war ein guter Anfang, sich mal wieder ein wenig um die Pressefreiheit hierzulande zu kümmern. Und wenn ihr schon einmal dabei seid, gemeinsam mit anderen (großen) Zeitungen eine solche PR-Aktion zu starten, könnt ihr euch vielleicht auch darauf einigen, bei geschönten Interviews die veränderten Aussagen oder weggelassenen Fragenblöcke zu markieren. Dann weiß der Leser wenigstens, wo er fehlinformiert wird. […]

HORST PFLUGSTAEDT, Essen

Ein literarisches Produkt

Die Regelung einer Autorisierung von Interviews finde ich völlig in Ordnung (und ich bin kein Politiker!). Meine Erfahrung als Interviewter mit einer so genannten seriösen rheinländischen Tageszeitung: Keines der wörtlichen Zitate im Text wurde so gesagt und keines stammte von der Person, der es im Text in den Mund gelegt wurde! Meine Erfahrung als Interviewer: Kein Interview kann so gedruckt werden, wie es sich auf einem Mitschnitt befindet. Sprachliche Bearbeitungen sowohl der Antworten als auch spontaner Fragen und Einwürfe sind notwendig: Ein gutes Interview ist in gewisser Weise immer auch ein literarisches Produkt. Der Vergleich zum Fernsehen hinkt: Dort werden Interviews oft bis zur Unkenntlichkeit verschnitten, bis hin zur Karikatur des/der Abgebildeten. […]

RALF JÖRG RABER, Düsseldorf

Interviewpartner abstrafen

Es ist ja allseits bekannt, dass seit dem Beginn der Medien auch die Zensur oder, wie man heute sagt, „nachträgliche Autorisierung des Interviewten“ dazugehört. […] Auch die so genannten Live-Auftritte im Fernsehen sind x-mal geprobt und geändert worden, bevor sie in der gewünschten Form des Interviewten gesendet wird. Aber die Frage ist doch, was schließen wir daraus und was sollen für Konsequenzen gezogen werden? Was muss getan werden, damit die vierte Macht im Staate nicht zu einem manipulierenden und verfälschenden Instrument der Politik verkümmert? […] Eine gute Lösung ist das Abstrafen des Interviewpartners in der Form, wie die taz am heutigen Freitag vorbildlich gezeigt hat. Natürlich ist auch lobenswert, dass andere große Zeitungen dieses Thema aufgegriffen haben und somit eine bundesweite Kampagne gegen diese Art von Interviews in Gang gebracht wurde.

GREGOR SCHMETZ, Wassenberg

Das musste endlich mal raus

Ich finde es bewundernswert, wie ihr die Scholz-Geschichte und damit den allgemeinen Autorisierungswahn thematisiert habt. Das musste endlich mal raus. Lasst euch nicht die Butter vom Brot nehmen!

BIRGIT PFEIFFER, Wuppertal

Keine kritische Intelligenz

Selbst das gesprochene Wort von Politikern ist unterm Aspekt von Wahrhaftigkeit und Authentizität meist keinen Pfifferling wert. Was seit vielen Jahren im Fernsehen durch Sendungen wie der von Sabine Christiansen und anderen, in der immer wieder die gleichen führenden Politiker zu Wort kommen, geschieht, ist das Verschwinden einer objektivierenden und reflexiven Distanz zur Realität. Nicht Analyse der Wirklichkeit wird geboten, sondern Wahlwerbung. Und die, die analysieren könnten, kommen nicht mehr zu Wort, so dass der Eindruck entsteht, es gäbe keine kritische Intelligenz mehr im Land. KLAUS BAUM, Kassel

Das braucht man nicht zu drucken

An der taz schätze ich, dass die Beiträge komprimierte und fundierte Informationen enthalten. Derart zensierte Beiträge bieten das nicht. Also braucht man das auch gar nicht drucken. Über solche Leute will ich auch gar nichts wissen. Sie müssen weder in Bild noch in Text irgendwie präsent sein. Sie sollten in dem informationellen Nichts verschwinden, das sie zu verbreiten versuchen.

M. KNOBLOCH, Tübingen

Das Sprachspiel „offener Dialog“

Wenn jetzt heftig die Frage diskutiert wird, ob Interviewpartner ihre Antworten vor dem Druck redaktionell bearbeiten dürfen, dann hat das weniger mit dem journalistischen Handwerk und weniger mit der Empfindlichkeit von Politik zu tun als mit der Argwohnspirale zwischen beiden Welten.

Ich habe als Redakteur einer Regionalzeitung und später als Sprecher einer Staatskanzlei und zweier Minister im Lauf von 15 Jahren an vielen „Autorisierungen“ mitgewirkt. Der Redakteur hat es als wohltuend empfunden, dass Gesprächspartner selbst eigene Schwächen ausbügeln; wenn im Rohtext Aussagen wiederholt wurden, unverständlich oder unvollständig waren, haben die Interviewten im Grunde Redaktionsarbeit geleistet. Ich habe mich dabei im Wesentlichen nie betrogen gefühlt, allerdings auch Streit über einzelne Formulierungen ausgetragen. […] Der Pressesprecher hat es als wohltuend empfunden, das Spontane zu glätten, auch Reizwörter herauszunehmen, denen in der Druckfassung eine größere Aufmerksamkeit zugekommen wäre, als es der Gesprächsverlauf und die Aufgabenstellung des Interviews gerechtfertigt hätten. […]

Das Sprachspiel „offener Dialog“ ist weitgehend verloren gegangen. Die Argwohnspirale besteht darin, dass der eine die Verbitterung oder auch Unsicherheit des anderen durch jedes neue Handeln nur noch verstärken kann. Es leidet die gemeinsame Aufgabe, demokratische Prozesse verständlich und wieder Lust auf Wahlen zu machen.

Wer leistet also an der publizistischen Front einseitige Abrüstung, um die Spirale zu stoppen? In den Organisationen des Parteinachwuchses ist von einem „neuen Politikstil“ die Rede. In den Journalistenorganisationen hat sich die Diskussion um „Qualitätssicherung in der Redaktionsarbeit“ endgültig etabliert – das sind doch nicht die schlechtesten Voraussetzungen!

WOLFGANG KERKHOFF,

Saarbrücken

Die Karriere steht auf dem Spiel

Ein Interview nicht zu autorisieren, weil die Fragen „zu pfeffrig“ sind, ist ganz klar Missbrauch. Aber grundsätzlich kann ich den Wunsch vieler PolitikerInnen verstehen, das Interview im Nachhinein noch mal zu lesen und zu ändern.

Zum einen stellen JournalistInnen Fragen gerne um und formulieren die Antwort anders, so dass der Zusammenhang anders klingt als beim Interview. Zum anderen, und das ist viel entscheidender, sind viele Karrieren an unbedachten Aussagen gescheitert. […]

Ich habe deshalb Verständnis für alle in der Politik, die auch in Zukunft eine spontane Aussage zurückholen wollen. Erst wenn die „Kopf ab“-Mentalität in den Medien nachlässt und PolitikerInnen als Menschen, die auch Fehler machen, wahrgenommen werden, kann auf eine Autorisierung verzichtet werden. Und das gilt unabhängig von der politischen Richtung.

MICHAEL ULEX, Melle

Un(tertanen)sitte Autorisierung

Es ist gut, dass die taz die Un(tertanen)sitte der Interviewautorisierung thematisiert. Den Betrug am Leser begehen freilich die JournalistInnen, die dergleichen mitmachen. Dass es so weit kommen konnte, erklären Sie mit Angst vor Sanktionen: Informationsentzug und Rausschmiss aus Hintergrundgesprächskreisen. (In Klammern: So hat Goebbels die Frankfurter Zeitung gezähmt.)

Aber Hand aufs Herz: Erfahren Sie dort überhaupt mehr, als Sie ohnehin schon wussten bzw. sich hätten denken können? Und selbst wenn: Was ist solches Wissen wert, wenn Ihnen verwehrt wird, es zu verwerten?! Das, was schließlich publiziert wird, bringt jedenfalls nichts. Mit der Schwärzung der Interviewpassagen suggerieren Sie, dass Scholzens Antworten interessanter seien als die ewiggleichen Phrasen, die man von den immerselben Leuten zu hören und zu lesen bekommt

THEO SCHMIDT, Dresden

Wohin hat sich die taz entwickelt?

Wohin hat sich die taz entwickelt, wenn sie eigenen kritischen Journalismus von der Teilnahme an Hintergrundgesprächen und Exklusivinterviews mit Menschen abhängig macht, die ihre kritische Distanz zu den Entscheidern der Gegenwart aufgegeben und sich den derzeitigen Verhältnissen angepasst haben? Spräche es nicht für die taz, wenn Menschen wie Scholz Interviews mit ihr zukünftig ablehnen?

DETLEF DUMON, Berlin

Ein Ausbund an Kumpanei

Die „Autorisierung“ von Interviews ist ein Ausbund an Kumpanei, da sie die InterviewerInnen dazu zwingt, über das real Gesagte zu schweigen. Wie kann eine Redaktion wie die der taz so etwas über Jahre dulden und mitmachen?

Schließlich war diese Zeitung einmal dazu gedacht, den Herrschenden und Regierenden nicht nur auf die Finger zu schauen, sondern auch zu hauen. Und sich nicht in „Hintergrundgesprächen“ ruhig stellen zu lassen. Insofern ist die späte Veröffentlichung des Skandals „Autorisierung von Interviews“ einer, in dem die taz nicht nur Opfer, sondern auch Täterin ist. Wie die Redaktionen der anderen acht klagenden Zeitungen auch. Traurig, aber wahr.

RICHARD KELBER, Dortmund

Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von LeserInnenbriefen vor. Die erscheinenden Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.