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Archiv-Artikel

„Fast wie Karneval“

Die Publizistin Katajun Amirpur hofft auf mehr Versachlichung

taz: Frau Amirpur, mehr als 25.000 Muslime demonstrieren in Köln gegen Terror. Ist das ein Erfolg?

Katajun Amirpur: Ja. Wenn nur ein paar hundert gekommen wären – die Zeitungen wären wieder voll mit anklagenden Texten gewesen. Motto: Die Muslime wollen sich nicht vom Terror distanzieren. Natürlich ohne zu fragen, warum es solche Demos bisher nicht gab.

Warum gab es die nicht?

Erst mal muss man wahrnehmen, dass sich alle islamischen Verbände vom Terror distanziert haben – vom Zentralrat bis zu Ditib. Außerdem gibt es, so wie es Milli Görüs formuliert hat, das Gefühl: Es ist selbstverständlich, dass wir Terror ablehnen. Deshalb denken viele, dass es nur um Bekenntniszwang geht.

Sehen Sie das auch so?

Ich verstehe, dass man es so sieht. Ich habe mich ja in einem Text in der Süddeutschen nach dem Mord an van Gogh gewissermaßen distanziert. Aber wenn jemand von mir direkt verlangt, mich zu distanzieren, denke ich schon: Hat sich ein Christ bei mir entschuldigt, dass Christen in Bosnien Muslime umgebracht haben? Warum soll ich mich für Bin Laden entschuldigen? Das ist ein einfacher Mechanismus: Man fühlt sich angegriffen, also verteidigt man sich.

Also ist die Forderung, sich zu distanzieren, überflüssig?

Zum Teil schon. Man muss auch bedenken, dass die meisten Muslime in Deutschland unpolitisch sind und die Debatte in den deutschen Medien schlicht nicht mitbekommen.

Wenn es nur um Bekenntniszwang geht, hätte man sich dann die Demo nicht schenken können?

Nein, gar nicht. Es war schlau von Ditib, diese Demo zu organisieren. Denn es dient der Versachlichung. Wenn der Vorwurf „Ihr distanziert euch nicht“ weniger oft erklingt, ist etwas gewonnen.

Die Ditib-Demo ist eine fast rein türkische. Braucht man nicht eine Demo aller Muslime in Deutschland?

Das wäre schön – aber die Konkurrenzkämpfe zwischen den Verbänden sind zu tief greifend. Dass es keine Demo der Muslime in Deutschland geben wird, bedeutet aber keine mangelnde Distanz zum Terror. Die Muslime sind dazu einfach zu hetereogen.

Wie fühlt man sich als aufgeklärte Migrantin, wenn man zu einer Demo geht, bei der Beckstein redet?

Gespalten. Mit manchem hat Beckstein ja Recht. Etwa wenn er sagt, dass er früher für die richtige Forderung, dass die Migranten Deutsch können müssen, als Reaktionär beschimpft worden ist. Aber klar, es ist schon seltsam, jemandem zuzuhören, der im Moment diese hysterische, falsche Debatte anheizt.

Was ist an der Debatte falsch?

Zum Beispiel das Argument, dass der Koran den Muslimen Werte vorschreibt, die mit Demokratie und westlichem Lebensstil nicht kompatibel sind. Hier in Köln gibt es gerade einen Ansturm von hungrigen türkischen Demonstranten auf Burger King und Wienerwald, wo ja nicht gerade islamisch geschlachtetes Fleisch verkauft wird. Die hunderte Muslimen, die hier gerade ihr Hühnchen essen, haben offenbar nicht das Gefühl, dass sie gegen ein islamisches Verbot verstoßen. Diese Demo ist überhaupt ziemlich kölsch: sehr laut, sehr voll, sehr lustig. Fast wie Karneval.

INTERVIEW: STEFAN REINECKE