Angst vor Horst Lafontaine

Kaum als Fraktionsvize zurückgetreten, gibt Seehofer schon wieder eine Pressekonferenz. Das Thema: der „ungerechte“ Gesundheitskompromiss

AUS BERLIN ULRIKE HERRMANN
UND LUKAS WALLRAFF

Ein Rücktritt ist die wohl schwierigste Inszenierung für einen Politiker: Man darf nicht beleidigt wirken, darf nicht hilflos drohen, darf nicht wie das Opfer einer Intrige wirken. In der Niederlage muss sich Stärke zeigen. Irgendwie. Nur dann war der Abgang nicht für immer.

Horst Seehofers Rücktritt als Fraktionsvize kann als gelungen gelten. Der CSU-Sozialexperte ist zwar recht blass und manchmal beben seine Lippen, aber diese Erregung bleibt kontrolliert und passt bestens zur Selbstdarstellung eines Politikers, der „zutiefst überzeugt“ den Gesundheitskompromiss zwischen CDU und CSU ablehnt und daraus nun standhaft die Konsequenzen zieht.

Seehofer verpasst keine Chance, darzustellen, dass die Initiative bei ihm zu verorten ist und nicht etwa bei CSU-Chef Edmund Stoiber oder gar CDU-Chefin Angela Merkel: „Nach langem Nachdenken“ habe er sich entschieden, sein Berliner Fraktionsamt aufzugeben. Um 13 Uhr rief er bei Stoiber an, aber viel Zeit fürs Gespräch war nicht geblieben. Nur Minuten später schon gibt Seehofer eine spontane Pressekonferenz. Offenbar sollen gar nicht erst Missverständnisse aufkommen, wer der Entscheider in der CSU ist. Und es soll nicht so wirken, als sei er aus verletzter Eitelkeit gegangen. Er werde „belegen, dass es nicht um Querulantentum geht“ und kündigt eine „sehr detaillierte Dokumentation“ an, wie „kompliziert“ und „ungerecht“ der Gesundheitskompromiss sei.

Allerdings, so ganz gelingt es Seehofer nicht, die eigentliche Frage zu beantworten: Hat er sich am vergangenen Donnerstag nicht einfach von Stoiber austricksen lassen? Zwei Stunden konferierten die beiden damals, am Ende stand eine schriftliche Erklärung: Seehofer sei bereit, seine Zuständigkeit für das Thema Gesundheit aufzugeben – im Gegenzug dürfe er aber Fraktionsvize bleiben. Frohgemut verkündete er noch am Wochenende, dass er weiter für alle sozialen Themen zuständig bleibe, die nicht Gesundheit heißen. Erst spät scheint er Stoibers Perfidie begriffen zu haben: Eben diese Zusage fehlte in der Erklärung vom Donnerstag.

Nicht nur zahlreiche CDU-Politiker, angeführt von Merkel, auch Stoiber machte Seehofer in den letzten Tagen klar: Er hätte nur Fraktionsvize bleiben dürfen, wenn er sich künftig um Landwirtschaft und Kommunalfinanzen gekümmert hätte. Ein für ihn nicht akzeptables „Angebot“. Und das sollte es auch sein. Spätestens nach dem CSU-Parteitag sah Stoiber keine Notwendigkeit mehr, Seehofer zu halten. 90 Prozent der Delegierten hatten dem Gesundheitskompromiss mit der CDU zugestimmt. Auch Seehofers Unterstützer verstanden nicht, warum er trotzdem ständig weiter kritische Interviews gab.

Damit hat er es auch Angela Merkel leicht gemacht. Sie hat sowieso inzwischen Übung darin, scheidende Stellvertreter zu verabschieden. „Viel zu verdanken“, „große Verdienste erworben“, „ausgewiesener Fachmann“ – all diese netten Worte hatte die Fraktionsvorsitzende schon vor wenigen Wochen für Friedrich Merz gewählt. So macht sie es den Zurückgetretenen schwerer, später beleidigt nachzutreten. Die Lobeshymnen haben freilich einen Nachteil: Sie machen den Verlust noch deutlicher. In der Unionsfraktion lichten sich die Reihen. CDU und CSU gehen die Experten aus. Wie im Fall des Wirtschafts- und Finanzfachmanns Merz steht kein Nachfolger bereit, der auch nur annährend das Format Seehofers hätte.

Wer zu Spott und Schadenfreude neigt, könnte der CDU-Chefin raten, noch einmal bei Wolfgang Schäuble anzuklopfen. Ernsthaft in Verlegenheit ist diesmal jedoch vor allem die CSU, die als christlich-sozialer Teil der Union weiter die Zuständigkeit für Soziales behalten möchte.

Mehr als bei Merz, der sich aus Rücksicht auf seine Karrierechancen mit Racheakten bislang zurückhält, muss Merkel allerdings fürchten, dass Seehofer jetzt erst recht auf allen Kanälen gegen ihre Sozialpolitik zu Felde zieht. Auf die Frage, ob er zum Lafontaine der Union werde, sagt Merkel: „Ich hielte es für außerordentlich bedauerlich, wenn eine solche Entwicklung einträte, aber ich gehe heute nicht davon aus.“