Affen, die kassieren

Friedman lässt grüßen: Springers Berliner Boulevardblatt „B.Z.“ berichtet aufgeregt über den „Callgirl“-Prozess – die Angeklagten warben in der „B.Z.“

VON MAREKE ADEN

Mit dem Foto hat sich Berlins größte Zeitung Mühe gegeben. Es zeigt eine weinende Frau in Unterwäsche. Unter der Überschrift „So mussten die Callgirls leiden“ entrüstet sich die B.Z. über „Peiniger“ und ihre „Sex-Sklavinnen“. Springers Boulevardblatt berichtet über den Prozess gegen drei mutmaßliche Menschenhändler. Im Zuge der Ermittlungen gegen die Callgirlring-Betreiber war im Juni die Kokain-Affäre von Michel Friedman bekannt geworden. Angeblich soll er die Dienste von Prostituierten des Callgirlrings in Anspruch genommen haben.

Der Empör-Artikel vom Prozess steht auf Seite 10. Auf Seite 20 dagegen: „Neue poln. Strapsmodelle“ oder „Sexsüchtige Polinnen – feucht und willig“. Seite 20 ist heute eine Anzeigenseite, „Berlin Diskret“ steht über den Rubriken „Modelle“, „Massagen“, oder „Clubs, Shops, Kinos“. Oben, in der Ecke, prangt ein rotes Stöckelschuh-Emblem. Auch Borys B. und seine beiden Mitangeklagten haben auf dieser Seite Anzeigen folgenden Wortlauts geschaltet: „Junge, ukrainische Nymphen“ und – da hat die B.Z. richtig recherchiert – „naturgeile Ukrainerinnen“.

Das Blatt schildert auch, wie der „Callgirlring-Boss“ Borys B., genannt Borja, das Geschäft mit der jungen Olesya und 14 weiteren Frauen in Gang brachte: „In Zeitungsannoncen wirbt ‚Borja‘ für ‚naturgeile Ukrainerinnen‘.“ Die Geschichte liest sich, als hieße der B.Z.-Chefredakteur noch immer Georg Gafron („Ich persönlich mag die Frauenbewegung – besonders immer dann, wenn sie rhythmisch ist“). Doch kurz nachdem die Angelegenheit aufgeflogen war, wurde Gafron im Juni von der Springer-Führung abberufen.

Was die B.Z. nicht berichtet: Im aktuellen Verfahren können ihre Annoncen sogar entscheiden, wie die „Tatbeiträge“ der Angeklagten am Ende gewichtet werden. Borys B. hat ausgesagt, nur die „Nymphen“-Anzeige geschaltet zu haben, ohne die Umschreibung „naturgeil“. Damit belastet er seinen Mitangeklagten, dessen Anwalt entsprechend wenig begeistert ist.

Bereits in einem anderen Menschenhändlerprozess musste eine Mitarbeiterin der B.Z.-Anzeigenabteilung als Zeugin aussagen, weil sich zwei Angeklagte gegenseitig beschuldigten, einschlägige Annoncen geschaltet zu haben, berichtet Nivedita Prasad von der Koordinationsstelle gegen Menschenhandel „Ban Ying“. Sie beobachtet die Menschenhändlerprozesse regelmäßig – ihr Fazit: Die Angeklagten werben fast immer in der B.Z. „Es kommt eben niemand an der B.Z. vorbei“, sagt Stephanie Klee, Vorsitzende des Bundesverbands Sexuelle Dienstleistungen, „weder selbständige Prostituierte noch Menschenhändler.“ Die B.Z. habe hier ein Werbemonopol. Die organisierten Prostituierten diskutieren daher regelmäßig einen Boykott der Zeitung, entscheiden sich aber jedes Mal wieder dagegen. Denn „an Kunden, die keinen Internet-Anschluss haben, kommt man fast nur über die B.Z.“, sagt Klee.

Was den Inhalt der Anzeigen angeht, geht Klee, die Streiterin für mehr Akzeptanz von legaler Prostitution, mit Prasad, der Kämpferin gegen illegalen Frauenhandel, in vielen Fällen d’accord: Beide fordern Mindeststandards und damit das Verbot bestimmter Formulierungen. „Tabulos“ zum Beispiel, weil das wie „pur“ ein Codewort für ungeschützten Sex sei, so Klee, oder „Lolita“, was oft für Minderjährige stehe. „Sklavin ohne Grenzen“ sei ebenfalls nicht in Ordnung, weil es auch im SM-Geschäft Grenzen gebe, die vorher ausgehandelt würden. Der Zusatz „ohne Grenzen“ treffe nun oft Frauen, die kaum Deutsch sprechen und deswegen nichts aushandeln könnten, sagt Prasad. Stephanie Klee berichtet, sie habe immer wieder versucht, mit der Anzeigenabteilung Mindeststandards auszuhandeln. „Die sind wie die Affen, die nichts hören und nichts sehen. Aber sie kassieren.“

Das Bild mit den Affen passt: Was die B.Z. zu alldem sagt, wäre interessant gewesen: Zu berichten ist aber nur, dass sie in ihrer Warteschleife klassische Musik laufen lässt. Öffentlichkeits-, Anzeigen-, Verkaufs- und Rechtsabteilung verbinden hektisch von Telefon zu Telefon, bis sich jemand durchringt und sagt: „Wir sagen dazu nichts.“