: Wo der Wahn den Alltag trifft
AUTORENTHEATERTAGE Fast scheint es, als sei der Erfinder, Thalia-Intendant Ulrich Khuon, der das Fest im Herbst mit ans Deutsche Theater Berlin nimmt, müde geworden. Denn er setzt im Wesentlichen auf Renommiertes und nur am Rande auf Experimente
Es gab diesmal keinen Stückewettbewerb, also auch keine Jury und keinen Preisträger bei den Autorentheatertagen. Das ist dem vor neun Jahren eingeführten Festival des Thalia-Theaters auch gar nicht anzulasten, aber ein bisschen schade ist es schon. Und fast scheint es, als sei der Erfinder, Intendant Ulrich Khuon, der das Fest im Herbst mit ans Deutsche Theater Berlin nimmt, ein bisschen müde geworden – vielleicht auch aufgrund der Tatsache, dass ein Hauptsponsor, die Zeit-Stiftung, das Festival überhaupt nur ausnahmsweise noch einmal unterstützt hat – wegen der Finanzkrise.
Jedenfalls hat sich Khuon diesmal entschieden, nicht unbekannte Autoren zum schreiberischen Concours zu animieren, sondern vier bereits renommierte Schreiber mit Auftragswerken zu bedenken: Anja Hilling, Lukas Bärfuss, Armin Petras und René Pollesch sind das, und wenn sich das liest wie das Who ist Who der Schon-nicht-mehr-ganz-Jungen, dann ist das kein Zufall: Diese Autoren hätten das Festival zu dem gemacht, was es sei, sagt Khuon, und deswegen wolle man ihnen nochmals gebührend Ehre erweisen. Abgesehen davon bergen Auftragswerke dieser Autoren kaum Risiko, andererseits nur eingeschränkt Überraschendes. Armin Petras zum Beispiel – der inzwischen sein lange durchschautes Schreiber-Pseudonym „Fritz Kater“ abgelegt hat und sich ungehemmt selbst inszeniert, hat mit „Rose – oder Liebe ist nicht genug“ eine Dreiecks-Beziehungsgeschichte geschrieben, die im Rockmilieu spielt; auch René Pollesch, den ursprünglich Ex-Schauspielhaus-Intendant Tom Stromberg entdeckte, widmet sich in „JFK“ der paradoxen Logik der Liebe, wirbelt sie in atemloser Dialektik und Rhetorik mehrfach um die eigene Achse, wie er es schon immer tat. Lukas Bärfus‘ „Amygdala“ und Anja Hillings „Radio Rhapsodie“ suchen nach Verschüttungen in menschlichen Seelen, werkeln an Fragmenten menschlicher Viten herum bzw. erschaffen eine Art Sartre’scher „Geschlossene Gesellschaft“ auf einer Insel.
Seelenleben auszuleuchten, ohne Antworten zu geben – das ist es, was Intendant Khuon diesen Autorentheatertagen aufs Banner geschrieben hat – kein exklusives Motto, aber ein zeitloses, in das auch Ryunosuke Akutagawas szenische Installation „Rashomon – Truth lies next Door“ gut hineinpasst. Denn am Schluss weiß man trotz zweier eifersüchtelnder Herren nicht, ob irgendwer irgendeine gemordet hat oder nicht – verschwunden ist die jedenfalls, soviel steht fest. Und vielleicht ist das wirklich Angenehme an den Stücken dieses Festivals: die Fragmentierung und die offenen Enden, beziehungsweise: das schamlos Unspektakuläre. „Schwester von“ heißt zum Beispiel Lot Vekemans Stück; es spricht: Ismene, die Schwester Antigones, der Tochter des Ödipus. Ismene ist keine Heldin, ist nur verwandt mit einer, und hegt – soll man sagen: kleinbürgerlich oder geläutert? – kleine, alltägliche Sehnsüchte und ist damit zufrieden. Das ist die irakische Autorin, die sich hinter dem Pseudonym Riverbend versteckt, keineswegs: „Bagdad brennt“ heißt ihr Stück, das John von Düffel bearbeitet hat. Es fokussiert das Innenleben im Druckkessel einer Stadt im Krieg samt jener Repressalien, die islamische Kontrolleure für Frauen auf Lager haben. Dass man zu dem Festival zudem „Hiob“ nach Joseph Roths Roman einlud, ist eine nette Hommage an die Literatur; dass man andererseits das – bereits mehrfach auf Kampnagel aufgetretene – Ensemble Rimini Protokoll mit „Airport Kids“ hinzunahm, eine Verbeugung vor der Realität: Von „Third Culture Kids“ handelt deren Stück – Kindern also, deren Eltern rund um die Welt leben und arbeiten und die sich mühsam eine eigene Sprache und Identität zusammenschustern. Berührend, tragisch nicht. Das besorgt Elfriede Jelineks Stück „Rechnitz (Der Würgeengel)“. Es handelt vom Massaker, das am 25. 3. 1945 SS-Offiziere und andere Nazi-Anhänger auf Schloss Rechnitz an 200 jüdischen Zwangsarbeitern verübten. PETRA SCHELLEN
25. 4. – 10. 5. , Thalia Theater, Alstertor 1, www.thalia-theater.de