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Archiv-Artikel

Von Meiler zu Meiler

ATOM-DEBATTE Der Beinahe-GAU im ukrainischen Tschernobyl jährt sich zum 23. Mal – deshalb wird nun im Norden gegen die Atomkraft demonstriert. Im Zentrum des Protestes steht das AKW Krümmel an der Unterelbe

Kundgebung vor dem AKW Krümmel

Für diesen Sonntag, 26. April, rufen sämtliche Anti-Atom-Initiativen und Umweltverbände in Norddeutschland sowie Grüne und Linkspartei auf zur Demonstration gegen die Atomenergie.

■ Im Zentrum des Protestes steht der Atommeiler Krümmel bei Geesthacht. Die Kundgebung mit Kulturprogramm vor dem Werkstor dauert etwa von 14 bis 17 Uhr.

■ Für die Anreise gibt es mehrere Möglichkeiten. Ab Bergedorf: Radtour ab 12.30 Uhr vom Alten Bahnhof Bergedorf / Neuer Weg (Frascatiplatz), Eintreffen in Geesthacht, Post, ca. 13.30 Uhr, dann weiter zum AKW-Gelände.

■ Vom Alten Bahnhof Bergedorf startet um 13 Uhr eine Eisenbahn-Sonderfahrt über Börnsen und Escheburg nach Geesthacht und bis zum Werksgelände. Kosten: 5 Euro Sonderpreis für Hin- und Rückfahrt, Kinder frei. Anmeldung schnellstens erforderlich unter ☎ 04152 / 56 69.

■ Ab Lüneburg: Radtour ab 10.30 Uhr vom Park an der Reichenbachbrücke. Ab Uelzen: Busfahrt über Lüneburg nach Krümmel, Kosten: 8 Euro.  SMV

VON SVEN-MICHAEL VEIT

Wenn es nach dem Energiekonzern Vattenfall geht, geht das Atomkraftwerk Krümmel schon bald wieder ans Netz. „Wir sind auf der Zielgeraden“, erklärte Unternehmenssprecherin Barbara Meyer-Bukow am Freitag auf taz-Anfrage. Mit der Wiederinbetriebnahme des nach einem Störfall seit dem 28. Juni 2007 stillstehenden Reaktors werde „wohl noch in diesem Jahr“ zu rechnen sein. Beim ebenfalls abgeschalteten Atommeiler Brunsbüttel werde es hingegen „etwas länger dauern“.

Diese Ankündigung wird die norddeutsche Anti-Atom-Bewegung nicht erfreuen, die sich am Sonntag vor dem Meiler bei Geesthacht zum Protest gegen die Atomkraft versammeln wird (siehe Kasten). Anlass ist der 23. Jahrestag der Beinahe-Katastrophe im ukrainischen Reaktor Tschernobyl. Am 26. April 1986 war es dort zu einer Explosion und fast zur Kernschmelze – dem größten anzunehmenden Unfall (GAU) – gekommen. Mehr als 100.000 Menschen starben oder erkrankten, über eine Viertelmillion musste ihre Heimat verlassen, große Teile Ost- und Nordeuropas wurden mittelschwer radioaktiv verseucht.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace war bereits in der Nacht zum Samstag vor Ort: Auf die Schutzhülle, die um die Reaktorruine betoniert wurde, projizierten Aktivisten den Schriftzug „Tschernobyl: Schon vergessen, Frau Merkel?“. Damit sollten Bundeskanzlerin und CDU gemahnt werden, „sich nicht für längere Laufzeiten der Atomkraftwerke einzusetzen“, so der Atom-Experte von Greenpeace, Tobias Münchmeyer.

Eine entsprechende Taktik vermuten Atomkraftgegner hinter den anhaltenden Reparaturen in Krümmel und Brunsbüttel: Beide Meiler waren Ende Juni 2007 nach diversen Pannen abgeschaltet worden. Besonders spektakulär war der Vorfall in Krümmel. Dort brannte eine Transformatorenstation vollständig aus. Diese befand sich zwar auf dem Werksgelände außerhalb des Reaktorsicherheitsgebäudes, Radioaktivität wurde nicht freigesetzt. Die Bilder von meterhohen Flammen und Rauchwolken über einem Atomkraftwerk allerdings waren dazu angetan, das Vertrauen auch von Atomkraftbefürwortern in diese Technologie zu erschüttern.

Die Reparaturen würden bis nach der Bundestagswahl im September hinausgezögert, befürchten Atomkraftgegner. Vattenfall spekuliere darauf, dass die im Atomkonsens befristeten Restlaufzeiten der Meiler von einer neuen schwarz-gelben Bundesregierung aufgehoben würden. Ohne den fast zweijährigen Stillstand würde Brunsbüttel 2010 abgeschaltet werden müssen. Vattenfall dementierte diese Taktik mehrfach unter Verweis auf Einnahmeverluste. Der schwedische Konzernchef Lars G. Joseffson bezifferte diese jüngst auf 600 Millionen Euro bis Ende 2008.

Nach Angaben der schleswig-holsteinischen Atomaufsicht im Sozialministerium führt Vattenfall derzeit „noch umfangreiche Arbeiten durch“. Anträge auf ein Wiederanfahren der beiden Meiler lägen nicht vor, und wenn sie eingereicht würden, „werden wir sie gründlichst prüfen“, versichert Sprecher Christian Kohl.

Zugleich erklärte er, dass einer Aufforderung des Oberverwaltungsgerichts Schleswig „selbstverständlich“ Folge geleistet würde. Das Gericht forderte Anfang dieser Woche in einem Schreiben, alle Unterlagen zur Betriebsgenehmigung für Krümmel „in ungekürzter und ungeschwärzter Form“ binnen eines Monats zu übermitteln. Grund ist eine Klage von Andreas Meihsies, einst für die Grünen im niedersächsischen Landtag, die Betriebserlaubnis zu wiederrufen. Der 17 Kilometer vom Reaktor entfernt in Lüneburg wohnende Meihsies bezweifelt, dass der Atommeiler einen Flugzeugabsturz überstehen könne, insbesondere nicht einen terroristischen Anschlag mit einem großen Passagierjet.

Sein Antrag an die Kieler Atomaufsicht, Krümmel deshalb stillzulegen, war jedoch abgelehnt worden. Das Ministerium hatte ihn im Januar darüber aufgeklärt, dass „der (terroristische) Flugzeugabsturz kein Störfall im Sinne der Vorschriften“ und „ein absoluter Schutz letztlich nicht erreichbar“ sei.

Genau das kritisieren ja alle, die sich am Sonntag vor dem AKW versammeln werden.