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Archiv-Artikel

Schadet dieser Mann unserer Stadt?

Er knutscht in aller Öffentlichkeit die Dschungel-Queen. Er redet im unpassenden Anzug vor Managern in Bangkok. Er wälzt sich mit einem TV-Moderator vor laufenden Kameras auf dem Boden. Er macht sich in Mexiko zum Clown. Seine Reisen ins Ausland stehen heute im Abgeordnetenhaus zur Debatte. Die CDU sieht die Würde des Amtes gefährdet. Ist Klaus Wowereit als Regierender Bürgermeister von Berlin ungeeignet?

PRO UWE RADA

Symbolische Politik ist unerlässlich. Das wusste schon John F. Kennedy. Und Klaus Wowereit, der Pennäler aus Tempelhof, muss in Geschichte an dieser Stelle aufgewacht sein. Ohne die entsprechende Symbolik, hat ihm sein Geschichtslehrer vielleicht eingebläut, kannst du machen, was du willst, es bleibt unbemerkt. Klaus Wowereit hat verstanden. Seither gesteht er und knutscht und wälzt sich, sobald eine Kamera in der Nähe ist. Was würde der Geschichtslehrer heute dazu sagen?

Vielleicht, dass symbolische Politik nur so lange gut ist, wie sie eine Verstärkerfunktion für die tatsächliche Politik hat. Dass sie aber, wenn es keine wirkliche Politik gibt, zwangsläufig zur Farce gerät. Vielleicht hat Klaus Wowereit zu gut verstanden?

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es geht hier nicht um Dresscodes oder Polit-Knigge, nicht um Partyneid und Spaßbremserei. Es geht um Inszenierungen und deren – gewollte oder unvermeidliche – Botschaften. Mit seinem „Und das ist gut so“ ist Klaus Wowereit auf die politische Bühne gestürmt und hat die Herzen der Berliner im Sturm erobert. Und, Hand auf dieses Herz, würden wir nicht alle auswandern, wenn einer wie Erwin Teufel im Roten Rathaus regierte?

Mit Auftritten wie in Bangkok allerdings verspielt der Mann sein kulturelles Kapital. Das liegt nicht am beigefarbenen Anzug mit der rosa Krawatte, und es liegt auch nicht an einer Rede, die ihm jeder Schüler um die Ohren gehauen hätte.

Hätte Wowereit eine klasse Rede in Beige-Rosa gehalten, alle hätten gesagt: Der hat Stil! Hätte er die miese Rede im grauen Anzug gehalten, hätte keiner ein Wort drüber verloren. Mit beigefarbenem Anzug und dummem Geschwätz freilich wurde er nolens volens zum Politclown. Seht her, da kommt der Paradiesvogel, und nichts ist dahinter.

Kann uns das egal sein? So wie es uns egal ist, was eine Desirée Nick treibt oder ein Lothar Matthäus?

Nein. Klaus Wowereit bekommt sein Gehalt nicht von RTL, sondern aus dem Landeshaushalt. Sein Job ist Repräsentieren und Regieren. Ist er dazu nicht in der Lage, muss man es ihm sagen, als Koalitionspartner, als Freund, als Wähler.

Das ist schon passiert, und Wowereit hat Besserung versprochen. Doch als Kleinbürger aus Tempelhof kann er nicht vom Scheinwerferlicht lassen. Nach einigen Partys, heißt es, habe er Termine nicht wahrgenommen. Manche hat er gar nicht erst in den Kalender genommen, weil sie zu langweilig waren.

Reisen ins Ausland hat er aber immer mitgenommen, während seine Untergebenen jede Fahrt nach Potsdam als Dienstreise antreten müssen. Was werden die denken, wenn er in Mexiko den TV-Clown gibt, oder aus Buenos Aires mit der Botschaft zurückkommt: „Habt euch nicht so, denen geht es dreckiger.“?

Entweder wir alle retten den Mann vor sich selbst. Oder wir beten, dass RTL das entscheidende Angebot macht: „Ich bin im Rathaus, holt mich hier raus!“

CONTRA PHILIPP GESSLER

Manchmal ist „der Regierende“ schon ziemlich cool. Am Montagabend etwa, als Klaus Wowereit (SPD) sarkastisch auf der Bühne des Theaters des Westens zum Moderator der Gala „Künstler gegen Aids“ sagte: „Ich fass es nicht, ein Mann im hellen Anzug!“. Nach einem Begrüßungsküsschen mit der Moderatorin setzte er nach: „Jetzt hab ich schon wieder eine Frau geküsst.“ Um schließlich das Ganze auf die Spitze zu treiben, die die ganze Diskussion der vergangenen Wochen erhellte: „Früher war es ein Skandal, als ich einen Mann geküsst habe, jetzt passiert mir das bei einer Frau.“

Wowereit hat Recht: Es hat eigentlich keinen Sinn, die Diskussionen der vergangenen Wochen (um einen Kuss, einen Sombrero, eine Pseudo-Rauferei und einen hellen Anzug) ernst zu nehmen – man kann ihnen nur noch mit Sarkasmus begegnen. Der Regierende Bürgermeister spielt mit den Medien, wie er es seit seinem ersten Tag im Amt macht. Die Bürgerinnen und Bürger der Stadt wissen, dass er nicht (nur) der nette Partylöwe ist, den er oft gibt, sondern (auch) ein knallharter Machtpolitiker. Dennoch: Ist es peinlich, wenn Wowereit solche Skandälchen provoziert? Schadet er unserer Stadt?

Nein, natürlich nicht. Berlin ist eben auch ein bisschen so, wie Wowereit es manchmal ist: cool, etwas verrückt, spontan. Und Investoren im In- und Ausland wissen dies, ja schätzen dies größtenteils auch. Dies kann durchaus ein Standortvorteil sein – oder warum ist noch mal „Universal“ an die Spree gezogen? Warum engagiert sich die hiesige Wirtschaft so für die „Love Parade“ – weil sie ein cooles Image verbreitet. Und was führte dazu, dass die Stadt mal wieder einen Besucherrekord verbuchen konnte und besonders bei jungen Leuten beliebt ist? Das Verrückte, Spontane, Coole ist es, das lockt. Wowereit hat das, anders als „Ebi“ Diepgen, verstanden.

Zugegeben: Es sind – abgesehen vielleicht vom „Und das ist gut so“ am Anfang seiner Amtszeit – harmlose Tabubrüche, die Wowereit, der immer noch im Haus seiner Mutter in Tempelhof (!) wohnt, vornimmt. Die Coolness hält sich also in Grenzen. Aber glaubt wirklich jemand, auswärtige Unternehmen zögen wegen solcher Petitessen ihre lang überdachten Investitionsentscheidungen für Berlin zurück? Hat Wowi weniger Autorität in der Bundespolitik, weil er mal mit einem zu hellen Anzug gekleidet war und einer Freundin einen Kuss gab? Absurd!

Nein, die Bundesrepublik ist weiter, das Ausland auch, und bei Investoren und anderen Mächtigen spielen ganz andere Bedingungen der Stadt eine Rolle als die Frage, mit wem das Stadtoberhaupt ins Bett geht, wen er küsst, mit wem er rauft oder welche Farbe sein Anzug hat. Im Gegenteil: Wowereit repräsentiert die Stadt, wie sie (auch) ist. Er gibt ihr, das ist nötig in einer Mediengesellschaft, einen Wiedererkennungswert, fördert die Identifikation mit der Stadt und verpasst ihr ein Image, das passt. Solange er vor lauter Partys das Regieren nicht vergisst, geht das in Ordnung. Wowi, hott’ ab!