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Archiv-Artikel

Remis im Vogelkäfig

Torhüter Hans-Jörg Butt pariert einen Elfmeter von Figo, rettet Bayer Leverkusen damit ein 1:1 bei Real Madrid und hält seinem Verein somit alle Möglichkeiten zum Erreichen des Achtelfinals offen

AUS MADRID CHRISTIANE MITATSELIS

Der dunkelhaarige Herr, der da aus der Kabine von Real Madrid stürmte, trug einen edlen Wollmantel, dessen Kragen er hochgezogen hatte. Nur weg hier, und das möglichst schnell, wollte Luis Figo. Der Super-Portugiese von Real Madrid war genervt – und er gab sich keine Mühe, dies auch nur ansatzweise zu verbergen. Die Ursache für den Unmut des 32 Jahre alten Stars im Starklub lag in der 81. Minute. In der hatte sich Hans-Jörg Butt, Torhüter von Bayer 04 Leverkusen, erdreistet, einen von Figo persönlich geschossenen Elfmeter zu halten. Als Unverfrorenheit muss Figo das gewertet haben, denn so endete das Champions-League-Spiel zwischen Real und Bayer 1:1. Madrid muss somit nun lästigerweise am letzten Vorrundenspieltag beim AS Rom gewinnen, um ins Achtelfinale einzuziehen; Leverkusen kann mit einem Heimsieg gegen Dynamo Kiew auf jeden Fall die nächste Runde erreichen.

Während Figo vermutlich schon zu Hause saß und seiner schönen Frau den traurigsten aller Fados vorsang, unterrichtete Butt die Weltpresse über die Umstände seiner Großtat. „Natürlich“, sprach er, „habe ich schon ein paar Elfer von Luis Figo gesehen, das habe ich ausgenutzt.“ Konkret sah das so aus: Figo zielte in die von ihm aus gesehene linke Ecke, Butt ahnte dies und boxte den hart geschossenen Ball übers Tor. Neun Elfmeter hat Figo für Madrid in der Champions League bisher verwandelt, drei vergab der Vize-Europameister. Überdies fand Butt: „Einen Punkt in Madrid zu holen ist immer eine gute Sache. Trotzdem ist es ein bisschen schade, denn es war mehr drin.“

Madrid schien in der ersten Halbzeit noch gelähmt von der 0:3-Schande am Samstag beim FC Barcelona und spielte erneut unheimlich schlecht. Die Auswahl um Ronaldo und David Beckham, der in der 54. Minute gegen Fernando Morientes ausgewechselt wurde, hatte große Probleme mit der Raumaufteilung. Kein Realo wusste, wohin er laufen sollte, und auf dem Platz bot sich ein ähnliches Bild wie in einem Vogelkäfig, auf den man zuvor mit der flachen Hand geschlagen hat. Bayer brauchte zwar ein wenig Zeit, um zu realisieren, dass Real wirklich so extrem schwach war, nach ein paar schüchternen Ansätzen machte Leverkusen dann aber das Spiel – und profitierte beim 1:0 in der 36. Minute prompt von der Madrider Konfusion: Ein Kopfball von Andrej Woronin ging an die Latte, den Abpraller köpfelte der Brasilianer Samuel freundlicherweise vors Tor – als Vorlage für Dimitar Berbatow, der aus zwei Metern traf.

Erst in der zweiten Halbzeit fand Madrid besser zu sich und in einigen Momenten sogar zu seinem gefürchteten Offensivspiel. In der 70. Minute konnte Figo ohne Leverkusener Widerstand ein Solo bis zum Strafraum hinlegen, spielte Doppelpass mit Zinedine Zidane, legte auf Raúl vor – und es stand 1:1. „Real hat wieder Stolz gezeigt“, befand anderntags Marca. Den gewünschten Kampfgeist und die völlige Hingabe für den berühmten Klub machte das Real-treue Kampfblatt jedoch nur bei Raúl aus, der sein 49. Europapokaltor schoss und damit Ehren-„Madridista“ Alfredo di Stefano einholte. „Nur Raúl hat die gravierende Bedeutung dieses Spiels verstanden. Er lief und lief und tat alles für Madrid“, stand da geschrieben.

Wolfgang Holzhäuser, Geschäftsführer von Bayer 04 Leverkusen, ließ sich anstecken von so viel südländischer Übertreibung. Was kein Wunder war. Beim Mitternachts-Bankett im schicken „Intercontinental“ auf dem Paseo de la Castellana lief dramatischer Flamenco, und Holzhäuser deklamierte mit ungewohnter Leidenschaft: „Wir haben uns durch dieses 1:1 Sympathien in Deutschland, Europa, ja sogar der ganzen Welt erworben.“ Abwehrspieler Juan wirkte derweil irgendwie beseelt. „Danke Hans-Jörg Butt, dass du ihn gehalten hast“, sagte der Brasilianer. Er nämlich hatte das Foul an Zidane begangen, das zu Figos Elfmeter geführt hatte.