: Angst essen Döner auf
Holland ist überall (4): Ressentiments gegen andere Kulturen müssen ausgesprochen und diskutiert werden dürfen. Rassistisch ist es nur, Migranten pauschal zu diffamieren
Nach dem Mord an Theo van Gogh feiern viele Konservative wieder einmal das Ende der multikulturellen Gesellschaft. Doch: Multikulturell waren in der Zuwanderergesellschaft ohnehin fast nur die verschiedenen Einwanderergruppen – Osteuropäer, Maghrebiner, Nigerianer, Molukken. Oder haben wir für Schulen in Einwandererbezirken gezielt Lehrer mit Migrationshintergrund ausgebildet, sitzen MigrantInnen in den Parlamenten, bei der Polizei? Das ist ein Entwicklungsprozess, der in den Anfängen steckt und bislang nur halbherzig als Integrationsprozess verfolgt wurde.
Gescheitert ist nicht die multikulturelle Gesellschaft, gescheitert ist allenfalls der naive Glaube an die Möglichkeit eines reibungslosen Zusammenlebens unterschiedlicher Kulturen in einer offenen Zuwanderergesellschaft. Wer hat eigentlich jemals behauptet, dass die offene Zuwanderergesellschaft konfliktfrei ist?
Wir haben Angst vor dem islamistischen Terror. Zu Recht. Wir fühlen uns von den selbst ernannten Gotteskriegern – 11. September, Bali, Djerba und Madrid – bedroht, genauso wie Millionen von Menschen in den arabischen oder indonesischen Ländern, die deren undemokratische, rückschrittliche Machenschaften fürchten. Nun schüren Mörder im Namen Allahs mitten in Europa die Angst vor dem Islam, der uns sowieso in vielem nicht gefällt.
Verdrängte Angst ist der Nährboden für Ressentiments. Wer sagt, ich habe keine Vorurteile, der lügt. Wer sagt, ich habe keine Ressentiments, der lügt auch. Alle Gruppen entwickeln so etwas wie ein Wir-Gefühl. Und dieses Wir der Mehrheitsgesellschaft wird durch den Mord an Theo van Gogh nachhaltig bedroht und provoziert. Angst vor dem Fremden packt uns, wenn der Fremde ins eigene Haus eindringt und die mühsam ausgehandelte Hausordnung nicht einhält: im Geschlechterverhältnis, in der Kleidung, im Erziehungsstil, Lifestyle, im öffentlichen Auftreten. Haust er dann auch noch in der wenig repräsentativen Kellerwohnung, geht jeder Exotismus, jede Faszination verloren.
Wenn es im eigenen Haus zu Übergriffen durch den Fremden kommt, schwindet die Toleranz. Eine angstfreie Debatte über das Unbehagen an der Entwicklung der multikulturellen Gesellschaft, konkret am Islam, muss nun möglich sein. Unsere Angst vor Bartträgern, unser Bild vom eifernden und todessehnsüchtigen Islamisten hat sich eingeprägt.
Ressentiments müssen ausgesprochen und gesehen werden, denn sie zeigen, wo die Konflikte liegen. Nicht das geäußerte Ressentiment ist das Problem, brisant wird es erst dann, wenn es sich der reflektierten Auseinandersetzung entzieht. Nicht die Kritik an Migranten ist rassistisch, sondern wenn diese Kritik pauschal ethisch und nicht differenziert geführt wird.
Die öffentliche Debatte nach dem Mord in den Niederlanden nimmt die Probleme und Konflikte verschärft wahr, die bislang allenfalls von Streetworkern oder engagierten Lehrern, die in den Kampfzonen arbeiten, aufgegriffen wurden. Auch wenn die Debatte überzogen und ressentimentbeladen geführt wird, ist sie richtig. Nur so werden Impulse gegeben, Themen benannt.
Muslime demonstrieren nun öffentlich gegen militante Islamisten und grenzen sich ab. Politiker fordern Integration. Medien diskutieren längst bekannte, aber ignorierte Missstände der Einwanderergesellschaft rauf und runter: „Allahs rechtlose Töchter“ leiden unter religiös verbrämten patriarchalen Familienstrukturen. Migrantenkinder mit fehlenden Sprachkenntnissen sind ein Problem für das Lernklima einer Klasse. Das Kopftuch ist zu Recht umstritten, es wirkt in deutschen Schulen mittelalterlich. Die Mehrheit will es nicht. Der Anspruch des Islam auf Strukturierung der Lebensverhältnisse, die Scharia als Gesetz, widerstrebt grundsätzlich der aufgeklärten, säkularen Gesellschaft, in der Religion Privatsache ist. Und wenn junge Mädchen wegen dieses konservativ-religiösen Weltbilds nicht am Sportunterricht oder der Klassenfahrt teilnehmen dürfen, wird das zum Integrationshindernis.
Das alles ist nicht neu. Die Konflikte wurden längst benannt. Nur die große Mehrheit hat sich nicht wirklich dafür interessiert. Scheinbare Toleranz war im Kern Indifferenz. Wenn etwa Baden-Württemberg und die Grünen einen Gesetzentwurf gegen Zwangsheirat einbringen, ist das die adäquate politische Reaktion, um die Rechte junger Frauen zu stärken. Dies und das Zuwanderungsgesetz mit konkreten Auflagen etwa zum Spracherwerb sind politische Antworten auf Ungleichzeitigkeiten und Missstände. Es sind strukturelle Integrationsangebote – und nur so geht es voran im Zusammenleben. Diese Angebote müssen von der Mehrheitsgesellschaft kommen, die Migranten müssen sie annehmen. Die Sprache des Landes zu erlernen, in der man lebt, war noch nie zu viel verlangt.
Die Debatte neigt jedoch in Deutschland immer zu Verbissenheit und Grundsätzlichem: Können wir überhaupt zusammenleben? So fühlen sich MigrantInnen hier nicht wirklich angekommen und angenommen, sondern als „Gäste“, allenfalls als „Gastarbeiter“ geduldet. Angst haben deshalb auch die MigrantInnen: Sie fürchten sich vor Identitätsverlust, Generalverdacht, Demütigung und oft um ihre Existenz. Und manche flüchten sich in pseudoreligiöse Gewissheiten und starre Strukturen, die sie in ihrer Herkunftsgesellschaft wohl längst hinter sich gelassen hätten.
In Deutschland leben rund 3,2 Millionen Muslime. Nach Einschätzung der Bundesregierung ist ihr Organisationsgrad in Deutschland gering; am höchsten ist er bei den Türken. In einer Umfrage gaben 76 Prozent der Muslime an, dass sie das deutsche Grundgesetz ohne Schwierigkeiten mit der Religion vereinbaren können; 21 Prozent waren gegenteiliger Meinung.
21 Prozent potenzielle Terroristen? Opfer ihrer starren religiösen Auslegung des Korans? Patriarchen, die ihre Frauen unterdrücken? Fanatiker, die die Mehrheitsgesellschaft bedrohen? Auf jeden Fall zu viele, die hier noch nicht angekommen sind. Ob sie sich integrieren, hängt von den Angeboten der Mehrheitsgesellschaft ab. Ob sie sich radikalisieren und abschotten, muss aufmerksam hinterfragt werden. Integration muss von beiden Seiten kommen. Angst muss auf beiden Seiten abgebaut werden, auch die Berührungsangst. Angst lähmt die Auseinandersetzung.
Wenn Angst dominiert, könnten Millionen von Muslimen in der Nachbarschaft, die uns immer schon befremden, leicht zum Sicherheitsrisiko werden. Nur durch Auseinandersetzung und konstruktive Kritik werden auch Migranten ernst genommen statt nur geduldet. Widersprüche ohne Denunziation aufzuzeigen, Ungleichzeitigkeiten und Differenzen zu konstatieren, ohne sie abzuwerten und zur eigenen Selbstvergewisserung zu missbrauchen – das wäre ein echtes Integrationsangebot. EDITH KRESTA