ukraine : Die Macht schlägt zurück
Das Kalkül der ukrainischen Machthaber ist offensichtlich: Sie spielen auf Zeit. Länger als ein, zwei Wochen lassen sich die Massenproteste nicht aufrechterhalten, vermuten sie. Auch das Interesse der Weltöffentlichkeit halten sie für eine flüchtige Ressource der Opposition. Altpräsident Leonid Kutschma und sein angeblicher Nachfolger Wiktor Janukowitsch waren tagelang in der Defensive. Mit der offiziellen Ernennung Janukowitschs zum Wahlsieger gehen sie zur Offensive über. Der Beschluss der Wahlkommission lässt die Krise eskalieren, er bedeutet die befürchtete Kampfansage an die Opposition.
KOMMENTARVON HEIKE HOLDINGHAUSEN
Aber durchkommen werden sie damit nicht. Die Demonstranten auf den Straßen sind zwar erschrocken, aber von einer verzweifelten Entschlossenheit. Sie wissen, dass sie nur jetzt noch die Chance auf eine demokratische Entwicklung ihres Landes haben – oder sich wieder für lange Zeit in dem traurigen Verbund autoritär regierter Staaten unter russischer Führung wiederfinden.
Ihren Protest kann die Regierung auf die Schnelle nur mit Gewalt zum Schweigen bringen – und beide Seiten wissen das. Zugleich würde Janukowitsch sein Land völlig von EU und USA isolieren. Das haben, jetzt endlich, auch die westeuropäischen Staaten klar gemacht. Und sie haben auch Moskau bedeutet, es in der Ukraine nicht zu übertreiben.
Zwar betrachtet Wladimir Putin seinen westlichen Nachbarn als natürlichen Einflussbereich und hat aus seiner Sympathie für Janukowitsch keinen Hehl gemacht. Eine offene Konfrontation mit dem Westen kann er sich aber nicht leisten. Abgesehen davon: Wiktor Janukowitsch mag sich Russland zwar näher fühlen als Europa, aber als bloße Marionette Moskaus sieht er sich nicht. Zu mehr würde es aber nicht reichen, ließe er sich jetzt – womöglich gar gewaltsam – von Putin ins Amt hieven.
Obwohl es nach Janukowitschs Selbstinthronisierung nicht so aussieht – um die Sache der Opposition steht es noch immer recht gut, wenn sich Juschtschenko hinter den Kulissen als geschickter Verhandler erweist und Putin sowie die ukrainischen Oligarchen davon überzeugt, dass sie von ihm nichts zu befürchten haben. Auf der Straße allerdings wird es jetzt gefährlich. Die Demonstranten haben die Solidarität und die Aufmerksamkeit aus den Ländern Europas genau registriert. Bisher hat sie diese Unterstützung nur bestärkt. In den nächsten Tagen sind sie darauf angewiesen.