: Vermieter, verzweifelt gesucht
Wenn der Hausbesitzer autobiografische Skizzen verschickt, sollte man gewarnt sein. Wenn er die Mietgeldannahme verweigert, ist meist alles zu spät: Anmerkungen über die saisonale Depression auf dem Ostberliner Wohnungsmarkt
VON ANSGAR WARNER
Es gibt eine Ästhetik des Erscheinens, und es gibt eine Ästhetik des Verschwindens. Herr Behrendt war ein Meister in beiden Disziplinen. Im Sommer 1998 erhielt ich überraschend einen Brief: „Lieber Herr W., ich möchte mich Ihnen heute als Ihr neuer Vermieter vorstellen!“, dröhnte ein lyrisches Ich, das der Adresse zufolge in Schleswig-Holstein lebte. Nach langen juristischen Auseinandersetzungen mit der Wohnungsbaugesellschaft Prenzlauer Berg sei das Haus in der Schönfließer Straße nun endlich in Familienbesitz rückübertragen worden: „Ich habe hinter diesen Mauern gleichsam meine unbeschwerte Kindheit und Jugendzeit verbracht!“
Die autobiografische Skizze ging dann über zu aktionistischen Formulierungen wie „Ich beabsichtige zukünftig das Objekt im Sinne einer guten Hausgemeinschaft zu führen“ und, noch einen Dreh performativer, „Ab jetzt tritt die Phase der schonenden Sanierung in Kraft“. Angeheftet war das Formular einer Einzugsermächtigung. Passiert ist seit dem nicht sehr viel. „Denkmalgeschütztes Gebäude“, verkündet ein rostendes Emailleschild über dem bröckelnden Putz des Portals. Denkmal wofür!? Die vorhanglosen Fensterscheiben der weinroten Fassade blicken ratlos wie die Gläser dutzender Kassenbrillen in Richtung Westen.
Bei seinem leibhaftigen Erscheinen stellte sich Herr Behrendt als ein Mann irgendwo zwischen Quarter- und Midlife-Crisis heraus. In den Räumen der Betroffenenvertretung des Milieuschutzgebietes Arnimplatz präsentierte er den Hausbewohnern das Sanierungskonzept. Schnürsenkellose Halbschuhe, weinrote Hose mit Bügelfalten, graues Jackett, eine Nummer zu groß, Kassenbrille.
Die Verschlüsse eines kunstledernen Aktenköfferchens schnappten auf, und der neue Proprietär entwickelte das logistische Konzept umfangreicher Modernisierungspläne: neue Zentralheizung, neue sanitäre Anlagen, neuer Außenputz, neue Fenster.
Tatsächlich erschienen einige Zeit später Handwerker der Firma Kruschinski. Die Männer in blauen Overalls begannen mit dem Verlegen von Rohren für die projektierte Heizungsanlage. Sie bohrten Löcher. Sie gipsten die Löcher wieder zu. Sie bohrten neue Löcher. Parallel dazu wurden einige der noch vorhandenen Ofenheizungen abgerissen. Doch nach einigen Tagen waren die blauen Männer plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Eine Lücke hinterließ gleichzeitig auch Herr Behrendt. Niemand hat ihn seitdem mehr Kontakt mit ihm gehabt. Er geht nicht ans Telefon. Briefe kommen zurück: „Annahme verweigert“.
Auch die Miete kann man inzwischen nicht mehr zahlen, das Geld kommt mit der Nachricht zurück: „Konto erloschen“. Geld allein macht ja bekanntlich nicht glücklich. Herr Behrendt, der irgendwo in der Behörde des Hamburger Finanzsenators arbeiten soll, hat angeblich eine „Winterdepression“. Solche und andere Geschichten erzählen sich in kalten Dezembernächten die Mieter in den ungeheizten Wohnungen des Hinterhauses. Mittlerweile ist die Situation weiter eskaliert. Der Hausmeister hat gerade seinen Vertrag gekündigt, die Treppenreinigung ebenfalls. Die blauen und gelben Abfalltonnen wurden eiligst von der Entsorgungsfirma evakuiert. Und die Berliner Wasserbetriebe fordern von den Mietern 10.000 Euro Nachzahlung. Ansonsten droht die sofortige Wassersperre.
Neulich war wieder eine Mieterversammlung im Vorderhaus. Einige der Mieter waren relativ gelassen. Wasser sei ein Grundnahrungmittel, das jedem zusteht, sagte Herr D. aus der Beletage. Ja, nicht nur das, sondern sogar ein Menschenrecht, ergänzte Herr R. aus dem linken Seitenflügel. Andere waren pessimistischer: „Menschenrechte!? Da macht sich doch dett Wasserwerk keenen Kopp drum, die ham doch nur Wasser im Kopp!“ Schließlich einigte man sich darauf, gemeinsam einen Rechtsanwalt zu beauftragen, um die Interessen der Mieter gegenüber der wachsenden Schar von Gläubigern zu vertreten. Außerdem soll beim Wohnungsamt des Bezirks eine „Abwesenheitspflegschaft“ beantragt werden, vulgo: öffentliche Zwangsverwaltung.
So kommt das Haus vierzehn Jahre nach der Wende wieder zurück in den Schoß des Staates. Ich habe allerdings die Hoffnung nicht aufgegeben, dass eines Tages der Mann erscheint, auf dem all unsere Hoffnungen ruhen. Mal ganz abgesehen von meiner Mietkaution und der Betriebskostenabrechnung. Hallo! Herr Behrendt! Können Sie mich hören? Ich weiß, dass Sie irgendwo da draußen sind! Bitte melden Sie sich! Ich verzeihe Ihnen! Es ist alles nicht so schlimm! Glauben Sie mir, ich kann Sie sehr gut verstehen. Berlin im Winter, das macht einen fertig. Die Stadt ist kalt und grau, Hundeködel frieren am Gehsteig fest, ringsherum sieht es aus wie in den psychedelischen Aquarellen von Horst Janssen.
Doch im Frühjahr, wenn die Tage länger werden, die Alpenpässe wieder freigeschaufelt sind und die Zugvögel zurückkommen: wollen nicht auch Sie dann mal wieder vorbeischauen!? Alles wird gut! Ehrlich!