: Die einzige Art, sich zu wehren
Bei den legendären Fehlfarben stieg Peter Hein aus, um mit dem Soul Punk seiner nächsten, nicht minder einflussreichenBand Family 5 nie berühmt zu werden. Nun haben sie mit „Wege zum Ruhm“ ein großartiges neues Album veröffentlicht
VON ULRICH GUTMEIR
1981 erschien eine Maxi-Single, die man heute womöglich auf einer jener historisierenden Compilations wieder veröffentlichen würde, die jungen Leuten und alten Sammlern vergangene Zeiten heraufbeschwören sollen – wäre sie in Sheffield oder New York und nicht in Düsseldorf produziert worden. Tatsächlich aber ist sie seit Jahrzehnten vergessen. Dabei markiert „Bring deinen Körper auf die Party“ von Family 5 womöglich den Anfang einer Auseinandersetzung deutschsprachiger Popmusik mit schwarzer Partykultur, der über das so selbstvergessene wie fragwürdige Einverleiben des glamourösen Anderen hinausgeht. Im Auseinander-Fallen von sprachlicher Wirklichkeit und direkter Übersetzung der Kommandos aus den Discos der Unterprivilegierten wird diese Platte vom Bewusstsein über das Verhältnis des Zitats zum Zitierten angetrieben, über die Möglichkeiten, die man hat oder nicht hat, wenn es darum geht, sich mit Leuten und ihrer Musik zu identifizieren, die unter ganz anderen Bedingungen leben.
Seither machten Family 5 nie irgendetwas anderes, als sich ihre Lieblingsmusiken mit der nötigen Distanz zu Eigen zu machen, sich immer wieder selbst zu zitieren und eigenen Stücken neue Texte zu verpassen. Family 5 machten so in jedem Augenblick klar, dass einem das begehrte Andere genauso wenig gehören kann wie die Individualität, die man der großen Verwertungsmaschinerie abtrotzt, deren Grundlage sie ist.
Dabei ist die Tatsache, dass „Bring deinen Körper auf die Party“ dennoch nie in den Hipster-Kanon einging, keinesfalls symptomatisch für die Rezeptionsgeschichte der Band. Sie wurde zwar vom Mainstream konsequent ignoriert, für ein paar tausend Leute war sie aber als ästhetisches Programm und Abgrenzungsmodell ungemein wichtig: „Manchmal ist dann auch noch jemand da, der ähnlich ist wie ich / Dann fällt die trübe Masse draußen gar nicht mehr so ins Gewicht / Wir trugen unser Geld in die Plattenläden / Die einzige Art, sich zu wehren“, hieß es etwa in „Tagein, tagaus“ von 1983.
Zu ihren Fans zählte Jochen Diestelmeyer, und ohne Family 5 würden wohl nicht nur die Texte von Blumfeld anders klingen. Der Grund für die Begeisterung der verschworenen Familie der 5.000 lag unter anderem daran, dass der Sänger der Family 5 kein anderer als Peter Hein war, von dem die offizielle Legende seit jeher nur wissen wollte, dass er eine zu erwartende Karriere mit Fehlfarben zugunsten seines Jobs bei Rank Xerox hingeschmissen und damit Deutschland einen großen Popmythos vorenthalten habe. Eben diese Geschichte hat den Fans von Family 5 immer heimliches Vergnügen bereitet: Denn außer einigen Singles und EPs, einer Hymne für Fortuna Düsseldorf veröffentlichten Family 5 nach diversen Problemen mit verschiedenen kleinen und großen Plattenfirmen im Jahre 1985 „Resistance“, eine der grandiosesten Platten, die je in Deutschland erschienen sind und deren 5.000 Kopien konsequenterweise innerhalb kürzester Zeit ausverkauft waren.
Heins Texte waren so pathetisch wie von einer fast biblisch anmutenden Negation der herrschenden Zustände beseelt: „Wir werden immer etwas finden, gegen das wir sind“, sang Hein, und ganz konkret: „Zum Kotzen, dass niemand mehr Bonn bombardiert“, ohne aber jemals in jene traurige Haltung deutscher Bands zu verfallen, die sich seither die eigene kleine Welt als letzte Bastion gegen eine irgendwie böse, womöglich gar noch „globalisierte“ Welt verkaufen wollen. Family 5 sprachen zwar gern von einem „Wir“, das prinzipiell alle einschloss, die guten Willens sind. Sie trauten aber „uns“ und damit auch sich selbst nie über den Weg. Ihre „Resistance“ verstand sich als Guerilla mit sich selbst, dabei hatte Hein zwar seinen Vonnegut, aber wohl nicht eine Zeile von Deleuze gelesen.
Das verlangte den Humor der Verzweifelten, den die Familie zur Genüge hatte und in ihre Bläsersätze legte, die von dem Versuch übrig geblieben waren, deutsch zu singen und trotzdem funky zu sein, und mit denen sie einen Sound namens Soul Punk schuf, der selbst am besten davon erzählte, was möglich sein könnte in einer besseren Welt. Die vergriffenen Vinyls sind in den letzten Jahren allesamt von der kleinen Plattenfirma Paul! aus Wuppertal wieder veröffentlicht worden und wären womöglich endgültig ein Fall für die Geschichtsbücher geworden, wäre Hein nicht vor kurzem nach über zwanzig Jahren Betriebszugehörigkeit bei Rank Xerox entlassen worden.
Der Mann, der nie große Lust zeigte, sich den Mechanismen der Popindustrien und den Erwartungen des Publikums zu unterwerfen, ist auf seine alten Tage notgedrungen ganz offiziell Musiker geworden. Nun hat die Familie mit „Wege zum Ruhm“ (Paul!/ Rough Trade) ein neues Album veröffentlicht, das schon 1997 fast fertig war und heute von Teilen der Kritik mit seltener Brutalität beantwortet wird, die in der Behauptung des Musikmagazins Intro gipfelt, es ignoriere „alle erfolgreichen Anstrengungen der letzten drei Jahrzehnte, Deutsch als Vehikel für populäre Musik weiterzubringen“.
Wohin diese Anstrengungen geführt haben, konnte man dieser Tage der Mitteilung entnehmen, dass Monika Griefahn, ihres Zeichens Vorsitzende des Kulturausschusses des Bundestags und unermüdliche Vorkämpferin deutscher Kulturidentität, ankündigte, man werde den Ländern „Daumenschrauben“ anlegen, damit diese eine 35-Prozent-Quote für deutschsprachige Musik in die Rundfunkstaatsverträge aufnehmen. Soviel deutschen Wahn kontern Family 5 auf „Wege zum Ruhm“ mit dem hämischen „Quotenmucker“.
Ansonsten ist alles so, wie es immer war, Family 5 waren ja sinnfälligerweise immer schon der Ansicht, „dass sich nichts geändert hat“. Hein trifft wie gehabt manchmal den falschen Ton, hat aber wie kein anderer Sänger deutscher Zunge ein Gefühl für Satzmelodien und Rhythmen. Hein rappt über die Liebe, über Geldprobleme – „totales Deckelverbot“ –, und formuliert rührende Aufrufe zur Revolution, in denen er sich selbst zitiert: „Keine Atempause, umgeschichtet wird die Macht“.
Am Telefon macht er keinen Hehl daraus, dass er von zeitgenössischer Musik keine Ahnung hat, und das gilt vermutlich auch für seine Bandkollegen. Songwriter Xao Seffcheque, der mit „Resistance“ sein Meisterstück ja schon abgeliefert hat, und seine Kollegen bedienen sich bei allem, was ihnen Spaß macht, den Beatles, Iggy Pops „Passenger“, den Riffs von Brian May und eben den Bläserarrangements aus Motown, die noch auf keiner Family-5-Platte so perfekt arrangiert waren und immer wieder überraschende harmonische Wendungen nehmen.
Coverversionen von Syph, dem KFC und Fehlfarben sorgen für den Bezug auf eben allgemein wieder entdeckte lokale Traditionen, auch der mythische Herr Walter, der seit den Tagen bei der Band Mittagspause durch Heins Lyrics geistert, ist wieder mit von der Partie. Das alles mag irgendwie wie von gestern klingen, Hein ficht es nicht an: „Lauf der Zeit doch einfach davon“. Hein hat noch nie davor zurückgeschreckt, peinlich zu sein, sich lächerlich zu machen und mit dem „Du“ seiner Anklagen womöglich sich selbst zu meinen, und eben das zeichnet wahre Größe ja wohl aus: „Die müde Fassade, die nur noch verdeckt, was keiner mehr sehn will, sinnlos versteckt“, singt er da.
Aber eben hier ist Skepsis an der sowieso koketten Hein’schen Selbstdemontage angesagt. Denn man kann diese Platte so anachronistisch finden, wie man will, wer die Familie live sieht, wird sich auch heute kaum der Bühnenpräsenz Heins entziehen können, die Zeit und Raum schrumpfen, an eine auf merkwürdige Weise unbeholfene Version von Brian Ferry denken lässt und dabei nur ein Gebot kennt: Bring deinen Körper auf die Party, etwas anderes hast du nicht.