Der Anwalt der Schwachen

JURIST Benedikt Hopmann war Hilfsarbeiter und Musiker. Mit 50 Jahren wird er Anwalt. Nun kämpft er gegen Tricks von Arbeitgebern

■ Der Jurist ist 59 Jahre alt. In seiner Berliner Kanzlei kümmert er sich um Arbeitnehmerinteressen. Seine Mandantin Barbara E. wurde als die Kassiererin Emmely bekannt, die wegen angeblicher Unterschlagung eines Getränkebons vom Konzern Kaiser’s gefeuert wurde. Hopmann vertritt derzeit auch Schlecker-Betriebsrätinnen.

WALTRAUD SCHWAB
(TEXT) UND SANTIAGO ENGELHARDT (FOTO)

Benedikt Hopmann hat ein Faible fürs Einfache. Für arme Menschen, die ihre Würde einfordern zum Beispiel. Auch für Fenster ohne Vorhänge. Oder für den Klang von Maschinen in Fabriken. Für ihn klingt das wie Neue Musik. Bald wird er 60. Erst seit seine Haare weiß sind, arbeitet er als Rechtsanwalt. Die weiße Farbe passt zu ihm. Seine Entschlossenheit wirkt dadurch weich.

Hopmann vertritt Barbara E. Bekannt geworden ist die Kassiererin aus Berlin-Hohenschönhausen unter dem Namen Emmely. Die Supermarktkette Kaiser’s hat ihr nach 31 Jahren Betriebszugehörigkeit Anfang 2008 gekündigt. Man wirft ihr vor, Getränkebons eines Kunden im Wert von 1,30 Euro zu ihren eigenen Gunsten verrechnet zu haben. „Eine Verdachtskündigung ist es. Der Arbeitgeber muss nur die Dringlichkeit des Verdachts beweisen, aber nicht den Pflichtverstoß selbst“, erklärt Hopmann

Emmelys Klage vor dem Arbeitsgericht wurde in zweiter Instanz abgewiesen. Nun will sie ihre Glaubwürdigkeit zurück und klagt. Hopmann hat eine Verfassungsbeschwerde vorbereitet. Ende März wurde sie eingereicht. Bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wollen sie gehen. Jetzt, Ende April, reicht Hopmann auch noch eine Beschwerde beim Bundesarbeitsgericht ein. Die richtet sich dagegen, dass die Richterin, als sie Emmelys Klage gegen die Verdachtskündigung abwies, keine Revision zugelassen hat. Seit dem Urteil steht Emmely so da, als hätte sie die Bons tatsächlich für sich abgerechnet. Emmely will ihren guten Ruf zurück. Sie hat nichts zu verlieren. Heute lebt sie von Hartz IV.

Hopmanns Kanzlei liegt an der Schönhauser Allee – in einem Szeneviertel in Berlin. Die Geschichte von Emmely lässt den 59-Jährigen nicht ruhen. Sein Gerechtigkeitsempfinden ist herausgefordert. Unruhig läuft er zum Schreibtisch vor dem Fenster und wieder zurück. Vorbei an einer Collage mit dem Konterfei von Karl Marx und einem Plakat, das Schiller zeigt. „Verbunden sind die Schwachen mächtig“, steht darauf.

Für Hopmann ist die Entscheidung der Arbeitsrichterin gegen Emmely ein Fehlurteil. Er glaubt, dass mit dieser Rechtsprechung die Tragweite des Artikels 12 im Grundgesetz verkannt wird, der das Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes zum Inhalt hat. „Das Gesetz schützt vor staatlichen Maßnahmen, die zur Aufgabe eines bestimmten Arbeitsplatzes zwingen. Dieses Gerichtsurteil ist eine solche staatliche Maßnahme“, sagt der Anwalt. Deshalb die Verfassungsbeschwerde. „Unser Prozess ist von grundlegender Bedeutung.“

Hopmann hat es in den 70er-Jahren nach Berlin verschlagen. Davor hat er Mathematik studiert. Und das Studium abgebrochen. Lieber ist er mit zwei Freunden eine Zeit lang als Straßenmusiker durch Süddeutschland gezogen. „Tabernakel“ hieß die Band. Hopmann hat eine der zwei Geigen gespielt. Der Dritte spielte Gitarre. Seit Jahren allerdings liegt sein Instrument nun im Koffer auf dem Schrank. „Eigentlich finde ich es nicht richtig, dass man sein Talent so vergeudet“, sagt er.

Früher hat ihn die Neue Musik begeistert. Einen Kurs hat er bei dem Komponisten Frederic Rzewski gemacht. Alltagsgeräusche haben sie gesammelt und zu einer Komposition zusammengefügt. Dass im ungefilterten Krach des Alltags immer auch Musik und eine ästhetische Logik stecken können, hat ihn begeistert. Es passt zu seinem Leitspruch. Der heißt: „Es sollen alle ein gutes Leben haben.“

Hopmann fühlt sich dem Schönen verbunden – Schiller, Marx, Geigen und Neue Musik, sie stehen dafür. Sein Vater, ein Arzt, sei verrückt geworden am Krieg. „Ich habe ihn nur einmal gesehen.“ Seine Mutter musste die fünf Kinder allein durchbringen. Hopmann ist einer aus der Nachkriegsgeneration, der Gehorsam mit Notwendigkeit verknüpfte, nicht mit Autorität.

Mit dieser Haltung konnte er sich, nachdem er 1972 nach Berlin kam, auch bis 1989 als Schweißer und Schlosser in verschiedenen Metallbetrieben der Stadt verdingen. Und das Schöne? Wo hat er das in der Fabrik noch gefunden? „Im Zwischenmenschlichen mit den Kollegen“, antwortet er.

Schon in den 70er-Jahren kritisiert er auf Betriebsversammlungen, dass Unternehmen aus Profitgründen viele Arbeitsstellen wegrationalisieren. In den 80er-Jahren wird er selbst Betriebsrat. Zudem ist er damals, zu Hoch-Zeiten der Westberliner Hausbesetzerbewegung, auch im Mieterrat. Und zur Zeit des rot-grünen Berliner Senats, der vor der Wiedervereinigung die Stadt regiert, als Mitglied der Alternativen Liste Abgeordneter im Abgeordnetenhaus

„Dort fühlte ich mich fremd mit meinen Gewerkschaftspositionen“, sagt er heute. Gewerkschaftsarbeit, das ist praktische Politik. Die Frage danach, was links ist, was rechts ist, wo die Mitte liegt, war ihm dagegen zu abstrakt. „Mich hat interessiert, wie die Arbeit in den Betrieben organisiert ist, warum die Eigentumsverhältnisse so ungerecht sind, warum die Politik das zulässt.“

Es wirkt, als suche er eine kompositorische Logik dahinter, die man, hat man sie erst verstanden, anders benutzen kann. „Ich bin Sozialist. Ich finde unsere Gesellschaft nicht gerecht.“ Diese Überzeugung treibt Benedikt Hopmann an.

Nach der Wiedervereinigung, die einen Rechtsruck in Berlin brachte und zur Folge hatte, dass die CDU lange Jahre die Berliner Landesregierung anführte, ging Hopmann zurück in die Fabrik. Bald allerdings wurde er entlassen und sollte eine Umschulung machen, die ihn doch nur wieder in die Arbeitslosigkeit katapultiert hätte. Denn der Industriestandort Berlin wurde nach der Wende systematisch abgebaut. Da bewirbt sich Hopmann, 44-jährig, um einen Studienplatz in Jura, wird angenommen, macht Ende des fünften Semesters sein erstes Staatsexamen und 50-jährig im Jahr 2000 sein zweites. Als Rechtsanwalt vertritt er vor allem Betriebsräte. Das könne er am besten, sagt er. Er sucht Recht, Gerechtigkeit im Kleinen. Dort, wo es die Menschen direkt trifft.

„Ich bin Sozialist. Ich finde unsere Gesellschaft nicht gerecht.“ Diese Überzeugung treibt Hopmann an

Wie sehr Recht und Gerechtigkeit aber zwei Paar Schuhe sind, das merkt man in einem anderen Prozess, mit dem Hopmann zu tun hat. Im Raum 227 des Berliner Landesarbeitsgerichts – einem schmucklosen 70er-Jahre-Betonbau mit verglaster Front – sitzen Benedikt Hopmann und Frank Hahn dem Richter Jochen Corts gegenüber. Hopmann, als Vertreter von Schlecker-Betriebsrätinnen, kommt in ausgetretenen braunen Schuhen mit abgewetztem Flechtmuster daher. Frank Hahn, eingeflogen aus Stuttgart, ist Vertreter der Schlecker-Geschäftsführung. An ihm ist alles tadellos glänzend. Nicht nur die schwarzen Schuhe. Auch das schwarze, nach hinten gegelte Haar.

Schlecker unterwandert die Haustarifverträge und hält sich nicht an die Betriebsvereinbarungen. Aushilfskräfte, die vorher nach Haustarif bezahlt wurden, erhalten plötzlich bis zu 15 Prozent weniger Lohn. „Wenn so etwas gemacht wird, muss der Betriebsrat unterrichtet werden und kann sein Veto abgeben“, erklärt Hopmann. Dagegen hat Schlecker verstoßen. Die Firma, bekannt für schlechte Arbeitsbedingungen, verhandelt lieber einzeln mit den Frauen. Diese unterschreiben die schlechteren Verträge, aus Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Die Betriebsräte, vertreten durch Hopmann, fordern vor Gericht Unterlassung.

„Dieses Verfahren kann Jahre gehen“, sagt Hopmann, „weil keine gefestigte Rechtsprechung für solche Fälle vorliegt.“ Er will, dass sich das ändert. Da ist er wieder, der Mann auf der Suche nach einer gerechteren Struktur. „Harmonisch ist es, wenn es gerecht ist.“

Dass Hopmann heute seinen Lebensunterhalt mit solch schwierigen Prozessen verdient, liegt daran, dass sich die Aufgaben, die er übernommen hat – im Mieterrat, im Betriebsrat, im Abgeordnetenhaus – geändert haben. Nichts geändert aber hat sich an seiner Mitgliedschaft in der Gewerkschaft. Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Betrieb, das ist für ihn einer der Schlüssel zu mehr Gerechtigkeit.

Fragt man diesen Mann, der nachdenklich in seiner Kanzlei auf und ab geht, nach seinem privaten Leben, bleibt er stehen. Gerade so, als entdecke er etwas, was sonst flüchtig bleibt. Kinder hat er keine, aber seine Lebensgefährtin hat welche. „Ja sogar Enkel schon.“ Sie nennen ihn Benni. „Der Blick der Kinder, so unverfälscht“, sagt er. Das rührt ihn an. Für mehr Smalltalk taugt er kaum. Hobbys, Reisen, Urlaub? „Ich bin nicht viel um die Welt gefahren“, sagt er. Eher jetzt, mit seiner Lebensgefährtin, probiert er das aus. „Wir haben schon tiefe Erlebnisse gehabt“, erzählt er. „Sechs Wochen waren wir in Krakau. Eine tolle Stadt.“ Dann schweigt er eine Weile, schaut aus dem Fenster, als finge hinter der Hochbahn Kazimierz an, das ehemalige jüdische Viertel Krakaus.

„Ich war Musiker, Hilfsarbeiter, Schweißer, ohne Arbeit und Beamter auf Zeit. Jetzt bin ich Rechtsanwalt“, fasst er sein Leben zusammen. Emmely vertritt er. Die Schlecker-Betriebsräte. Andere. „Jede Kündigung ist eine Demütigung“, sagt er.