: Mangel macht Stil
„But Beautiful. Ein Buch über Jazz“ – Matthias Brandt liest Geoff Dyers Geschichten über die Jazzmusiker Thelonious Monk, Charles Mingus, Chet Baker und Lester Young
Archie Shepp hat mal gesagt, wenn Jazzmusiker nicht ständig gezwungen worden wären, sich um ihr materielles Überleben zu kümmern, hätte die Musik noch viel mehr kreativen Input erlebt. Bei Geoff Dyer aber ist der Mangel im wirklichen Leben das stilbildende Moment der Musik. Dyers prämierter Roman „But Beautiful“ erschien 2001, zehn Jahre nach der englischen Erstveröffentlichung, in deutscher Übersetzung (Argon).
„But Beautiful“ handelt von den Schattenseiten des Jazzlebens, von zu viel Drogen und Alkohol. Dyers Geschichten drehen sich um seine Wahrnehmungen von Jazzmusikern und ihrer Musik. Dyer ist Jahrgang 1958, seine Helden hat er nicht mehr kennen gelernt. Die Typen rekonstruiert er aus dem, was Fotos und Platten über sie aussagen – Dyer bedient sich aus der Schatztruhe biografischer Details und setzte sie neu zusammen. Aus Sachgeschichten macht er Literatur, und man ist sich nie ganz sicher, ob die Zitate, die er den Musikern in den Mund legt, auch authentisch sind.
Für das Hörbuch „But Beautiful. Ein Buch über Jazz“ hat man sich auf Dyers Geschichten über Thelonious Monk, Charles Mingus, Chet Baker und Lester Young beschränkt. Das Auffallendste, was die Protagonisten seines Buches gemeinsam haben, ist, dass sie nicht alt wurden. Dyer beschreibt, wie Young beim Militär von einem weißen Vorgesetzten schikaniert, ja, regelrecht misshandelt wird. Doch wie viel muss man durchlitten haben, um den Blues zu spielen? 1964, kurz nach seinem 36. Geburtstag, stirbt der afroamerikanische Avantgardist Eric Dolphy in Berlin: Charles Mingus komponiert „So long, Eric“ und schreit Mord. Dyers Buch handelt von Männern, die Balladen lieben und große Kullertränen weinen. Davon, dass Jazz zum Fluch für die werden kann, die ihn spielen. Und von Musikern, deren Köpfe voll gestopft sind mit Absichten und Fragmenten.
Matthias Brandt liest „But Beautiful“, auch Helge Schneider und Till Brönner sind in kleinen Nebenrollen zu hören. Durch die zaghafte Verwendung von Gastsprechern und Musik entsteht zwar noch kein Hörspiel, sie trägt aber zur atmosphärischen Dichte bei. Der Titel „But Beautiful“ bezieht sich auf die Musik, die sich hinter den diskografischen Hinweisen im Booklet verbirgt –nur ein paar Takte, wie das Intro zu diesem Hörbuch, reichen schon, um in die Jazzwelt zu sinken. Barney Kessels Gitarrenintro zu „These Foolish Things“, dann der große zarte Sound von Lester Young, und Abbruch der Aufnahme. Irgendwas stimmte nicht, klang schief, verzerrt; „noch mal“, sagt die Produzentenstimme aus dem Off. „But Beautiful“ startet mit Jazz, doch schon nach 50 Sekunden Musik gibt es keine Vermittlung mehr. Dann ist man allein mit Brandt. „Wie Hawk klingen“, rezitiert er. Die Stimme klar und ruhig, trocken. Im Lexikon steht, dass Coleman Hawkins am kommenden Sonntag 100 Jahre alt geworden wäre und dass er das Tenorsaxofon revolutioniert, ja, erfunden habe. Nicht Adolphe Sax sei es gewesen, sondern Hawk. Bei Dyer heißen sie nur Hawk und Lester – da muss man durch beim Hören dieses Buches.
Man wird dann aber belohnt mit dem schönsten Hörbuch, das es bislang in deutscher Sprache über Jazz gibt. Auf der zweiten CD, im Teil über den afroamerikanischen Bassisten Charles Mingus, taucht dessen Kollege Jimmy Woode, Jahrgang 1929, in einer Gastsprecherrolle auf. Da geht es um den Wunsch eines Gastes, den Mingus nicht erfüllen will. Zum Schluss schiebt er dem Besucher seinen Bass ins Gesicht und sagt: „You play it!“
CHRISTIAN BRÖCKING
Geoff Dyer: „But Beautiful. Ein Buch über Jazz“. Mit Matthias Brandt, Helge Schneider, Till Brönner u. a. Roof Music, 3 CDs, 25,90 €