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Archiv-Artikel

Victoria und ihre Liebhaber

STADTENTWICKLUNG Streit um Ex-Kaserne in Altona: Bezirk will betreutes Wohnen, interessierte Baugemeinschaften fordern eine offene Vergabe

Wohnprojekte

Der Senat will Baugemeinschaften fördern und hat dafür eine Agentur gegründet. 20 Prozent der Geschosswohnungsfläche auf Grundstücken der Stadt soll an Gruppen vergeben werden, die als Genossenschaft oder Eigentümer gemeinschaftlich bauen wollen.

■ Seit Gründung der Agentur 2004 hat der Senat 26 Grundstücke an Baugemeinschaften verkauft. Die Nachfrage nach solchen Grundstücken ist höher als das Angebot, so dass lange Wartezeiten die Regel sind. Von 2002 bis 2008 sind 758 Wohnungen im Rahmen solcher Projekte errichtet worden.

Es ist ein Streit darüber ausgebrochen, wer die ehemalige Victoria-Kaserne in der Nähe des Altonaer Amtsgerichts in Zukunft nutzen darf. Die Bezirksversammlung wünscht sich dort betreutes Wohnen und hat die Finanzbehörde gebeten, auf eine Ausschreibung des Grundstücks zu verzichten. Am Montag haben sich fünf Wohnprojekte gemeldet, die dort ebenfalls gerne einziehen wollen und eine „offenes und transparentes Vergabeverfahren“ fordern.

Die in den Jahren 1878 bis 1883 erbaute Kaserne liegt in dem ruhigen, aber zentralen Quartier zwischen Holstenstraße und Max-Brauer-Allee. Der wuchtige Ziegelbau mit der Anmutung einer Festung umfasst im rechten Winkel einen Hof. Mit 6.000 Quadratmetern Geschossfläche und fünf Treppenaufgängen bietet er reichlich Platz. Bis vor einiger Zeit waren Einrichtungen der Universität dort untergebracht. Die Finanzbehörde will das leer stehende, denkmalgeschützte Gebäude verkaufen.

Ein Trägerverbund, dem der Verein Jugend hilft Jugend und die Wohnungsbaugenossenschaft Altonaer Spar- und Bauverein angehören, hat Interesse angemeldet und die Unterstützung von CDU, GAL und SPD in der Bezirksversammlung eingeworben. In einem Antrag der drei Fraktionen vom März heißt es, die Träger planten betreutes Altenwohnen, eine Dementen-Wohngemeinschaft, Hospizplätze und Betreuungseinrichtungen für Suchtkranke. Die Finanzbehörde solle die Kaserne „wegen der gemeinnützigen Bedeutung des Projekts“ direkt dem Trägerverbund anhand geben und nicht an den Meistbietenden verkaufen. Die Bezirksversammlung hat ein Druckmittel in der Hand: Für eine neue Nutzung der Victoria-Kaserne müsste der Bebauungsplan geändert werden.

AnwohnerInnen sehen das Vorhaben des Trägerverbunds skeptisch. Suchtkranke gebe es im Viertel schon genug , sagt Gila Touré von der Nachbarschaftsinitiative Zeise-Netzwerk. Sie hier zu konzentrieren, sei schlecht für die Kinder.

Einige Nachbarn gehören zu den Gruppen, die hier eine der dünn gesäten Chancen erkennen, ein Wohnprojekt zu verwirklichen. „Neben dem Wunsch, gemeinsam zu wohnen, wollen wir uns auch im Stadtteil engagieren“, versichern sie. Kleine Betriebe seien willkommen. Eine Food Coop ist ebenso angedacht wie gemeinsames Singen und Musizieren und ein öffentliches Wohnzimmer, in dem sich Jung und Alt interkulturell begegnen können sollen. GERNOT KNÖDLER