: Ein echtes Kunststück
Ist das Künstlerhaus Friedrichstraße in Spekulantenhand? Nach der Kündigung der Ateliernutzer durch den Eigentümer und dessen Räumungsdrohung fragen sich diese: Warum erlaubt ein Gericht die Umwandlung des Wohnraums in Gewerbe, hat Besitzer Brinkmann beim mysteriösen Kauf getrickst?
VON ROLF LAUTENSCHLÄGER
Jahrestage haben mitunter eine merkwürdige Parallelität. Am 11. September 2003, auf den Tag genau zwei Jahre nach dem Terrorangriff auf das World Trade Center in New York, fällt ein Berliner Gericht ein Urteil. Es betrifft das Künstlerhaus Friedrichstraße 206, das berühmte Eckhaus am Checkpoint Charlie, in dem das „Café Adler“ sich im Erdgeschoss befindet. Die Ateliers der 14 Künstler, die dort seit Jahren einen Mietvertrag für Wohnräume mit langer Laufzeit besitzen, dürfen umgewandelt werden, sagt das Gericht. „Das ist Gewerbe“, lautet der Urteilsspruch der Kammer. Eine Katastrophe für die Künstler, stehen ihnen doch damit Mieterhöhungen, ein neuer Vertrag und damit unwägbare Konsequenzen für ihre Bleiberechte ins Haus. Und weil ein Unglück selten allein kommt, setzt es noch einen drauf.
Thomas „Tom“ Brinkmann, seit 1998 Eigentümer der Immobilie, der den Umwandlungsprozess angestrebt hatte, verschickt im Oktober blaue Briefe an die Wohnateliers. „Die Kündigungen sind raus“, erklärt er. Wer nicht Gewerbemieten zahlt – und die sind dort hoch –, wird im Frühjahr 2004 geräumt. Es wäre das Ende eines der ersten Künstlerhäuser in Berlin.
Schaut es auf den ersten Blick aus, als gehöre es zum gegenwärtigen Alltag, dass Haus- und Künstlerhausprojekte der 90er-Jahre im Konflikt mit neuen Besitzern, Erben und deren wirtschaftlichen Begehrlichkeiten liegen, so erhält der Fall Friedrichstraße 206 eine andere Note angesichts der Geschichte des Eigentümers und der des Hauses.
Ulrich Baehr, einer der Ateliernutzer, spricht offen vom „nicht berechtigten Rausschmiss“ sowie dem „Versagen“ der Vorbesitzer. Ein Kollege sagt es so: Der Wohnraumvertrag für das einst öffentlich geförderte und landeseigene Haus sei für ihn „bindend“ und von Brinkmann „ausgehebelt“ worden. Man spricht von „Skandal“, von „unter den Nagel reißen“, von Tom Brinkmanns „lange vorbereiteter Entmietung des Objekts“, das an diesem Standort einmal viel Geld bringen könne – vorausgesetzt, es ist von Künstler samt ihren niedrigen Mieten befreit.
Fakt ist: Ein Gericht hat die gewerbliche Nutzung definiert. Fakt ist aber auch, dass die Bewohner seit ihrem Einzug über unbefristete Wohnmietverträge verfügen – und Besitzerwechsel bricht Mietrecht nicht. Wie also begründen ein neuer Eigentümer und ein Gericht den Widerspruch? Ist da was krumm gelaufen, etwa „Spekulation“, wie die grüne Kulturpolitikerin Alice Ströver mutmaßt?
Ein Blick zurück: In dem Haus an der Friedrich- Ecke Zimmerstraße logierte einst der amerikanische Geheimdienst im Obergeschoss und hoffte, die Kollegen vom KGB, die auf der anderen Straßenseite hockten, ausspähen zu können. 1987 sanierte das Land für fünf Millionen Mark das Haus. Als Pilotprojekt sollte die Atelier-Immobilie zu sozial verträglichen Mieten an Künstler vermarktet werden. Der Berufsverband Bildender Künstler (BBK) fungierte als Gesellschafter und übertrug – gemeinnützig, sozial und bis zum Ende der Mietbindung 2011 – die Räume an Ateliersuchende. Alles okay?
Alles in Ordnung! In Ordnung war auch, als Tom Brinkmann 1993 als Geschäftsführer von der BBK für das Objekt und die „Atelier-GmbH“ bestellt wurde. Es gab viel zu tun im Haus, mit den Mietern und deren Aktionen. Nicht ungewöhnlich ist auch, dass der Künstlerverband 1996 beschloss, sich als Gesellschafter zurückzuziehen. „Wir wollten uns von der Immobilie trennen“, betont Herbert Mondry, Chef des BBK. Der Investitionsbedarf machte dem Verband zu schaffen. „Es ist nicht die Aufgabe eines Berufsverbandes mit geringen Einkünften, aus Mitgliedsbeiträgen eine Immobilie in Schuss zu halten.“
Dass ausgerechnet nun Brinkmann als Interessent Nummer eins zur Weiterführung der Geschäfte auftritt, hätten das Land, den Bezirk und auch den BBK veranlassen müssen, die Sache wasserdicht zu halten, standen sie doch in der Verpflichtung, Brinkmann und dessen neue „Atelier-Verwaltungs-GmbH“ per Vertrag zur Fortsetzung der bisherigen Bedingungen für Haus und Bewohner zu bewegen.
Es sollen zwar diese Bedingungen verabredet worden sein – wie ein Anwalt die Übertragung bewertet –, doch schriftlich kann man es bis dato nicht nachvollziehen. „Wir wollten die Belegungsbindung, wir wollten, dass die Künstler dort zu vernünftigen Mieten arbeiten, wir wollten Wohnmietverträge“, das sei vereinbart worden, sagt Mondry. Um gleich hinzuzufügen, dass aber „alles nicht sehr glücklich gelaufen“ sei.
Denn unglücklich lief das, was heute Künstler und andere als Unter-den-Nagel-Reißen bezeichnen, Brinkmann jedoch bestreitet: Binnen zweier Jahre gelingt es Tom Brinkmann, wesentliche Hürden für einen rentablen Hauskauf zu beseitigen. 1998 kauft die Atelier-Verwaltungs-GmbH (Geschäftsführer: Tom Brinkmann) für 827.000 Mark das Gebäude.
1999 wird aus deren Satzung die Gemeinnützigkeit gestrichen. In einem weiteren Vertrag wird das Erbbaurecht bis 2061 gelöscht. 2000 steht Brinkmanns GmbH im Grundbuch und überträgt in einem notariellen Nachtrag als Treuhänder des Grundstücks dieses an Brinkmann selbst. Angeblich ohne finanzielle Gegenleistung. Also für „null“, wie ein Anwalt sagt. Seit 2002 wird Brinkmann als alleiniger Eigentümer von Grundstück und Gebäude geführt, das einst dem Land gehörte. Und das rechtens sowie als Retter einer erneut sanierungsbedürftigen Immobilie, die er nun am Bein hat? Oder nicht?
Sieht man einmal von der Pikanterie der Selbstübereignung ab, muss sich der Eigentümer, der auch in anderen Kunstprojekten und Künstlerhäusern wie dem Tacheles engagiert war, nicht nur die Frage nach der Beanstandung einstmals ausgehandelter Mieten, der Massenkündigung, Räumungsdrohnung und dem möglichen Wortbruch gegenüber dem BBK gefallen lassen. Ebenfalls hinterfragenswert sind Vorwürfe, die nur vom Land aus der Welt geschafft werden könnten – die Bauverwaltung und der Bezirk sehen sich aber dazu nicht genötigt. Warum wurde der Nutzungszweck nicht festgeschrieben und mögliche Zweckentfremdung nicht verhindert? Sind zweckgebundene Mittel zurückgezahlt worden, und warum hat man überhaupt den Deal gemacht, wie die Grüne Ströver fragt? Antworten sind nötig.
Den BBK – immerhin ein Verband von 2.000 Künstlern mit erfolgreicher Atelierpolitik – überkommt indessen wohl das schlechte Gewissen, damals schlecht gemanagt zu haben. Man verhandle im Auftrag der Künstler mit Brinkmann und wolle den zu „vernünftigen Mieten“ überreden. Ob guter Wille allein hilft, muss bezweifelt werden.