: Vandalismus heute
Schuld sind immer dieselben: Nichts Neues vom Volk der Gepäckbandschänder
Das Volk der Vandalen gilt seit längerem als ziemlich ausgestorben. So heißt es in der Propyläen-Weltgeschichte von 1961 geradezu vernichtend: „Das Reich der Vandalen wurde in wenigen Tagen entscheidend geschlagen, in wenigen Monaten aus der Reihe der Mittelmeerstaaten gestrichen.“ Man möchte hinzufügen: … wurde aber noch Jahrtausende lang gemobbt. Denn es erstaunt, dass nicht nur hier und da, sondern sozusagen erdoberflächendeckend alle Schweinereien dieser Welt ausgerechnet den Vandalen in die Schuhe geschoben werden. Weder Kimbern noch Teutonen, weder West- noch Ostgoten, geschweige denn Ober- oder Niederdeutsche, Angeln oder Reusen müssen für den Zusammenbruch der hiesigen Infrastruktur herhalten, wenn es um die Schuldzuweisung geht.
Keinem Volk der Erde läuft es derart übel aus dem Leumund. Im geschlossenen Schalterfensterchen des Bahnhofs Bodenfelde hing über Jahre ein Papierschild mit der Aufschrift „Wegen Vandalismusschäden geschlossen – Ihr DB-Service-Team.“ Selbst als das Gebäude wegen fortgesetzter Baufälligkeit ins Schotterbett der Gleisanlage sank, wehte das Dokument noch pappnass mahnend ins 21. Jahrhundert. Nun klebt seit Monaten ein drucktypengleiches Schild an allen Kofferbändern zu den Gleisen 2 bis 6 des Bahnhofs Wabern, jener hessischen Station, die bekannt ist aus der Heidegger-Verfilmung „Brodelnder Zeitgeist“.
Sie kommen also jede Nacht und machen sich wie Automarder über arme Gummiplatten her und hindern deren Lauf. Wenn es der Vandale will, stehen alle Bänder still. Hartmut Mehdorns umtriebige Serviceteams werden zwar gewiss allmorgens schon in der Dämmerung versuchen, die Schäden wieder zu beheben, aber der Vandale kann eben länger. Und dennoch hat die Bahnpolizei bislang noch keine ernsthaften Beweise. Fingerabdrücke? Fehlanzeige! Motivlage? Äußerst dürftig! Hinterlassene Waffensysteme? Keinerlei gefunden, nicht einmal Papyrusschwerter. Man könnte sogar behaupten: Wenn es physiognomische Archetypen gäbe, die dem Vandalen nahe kommen, so wäre es sicher etwas in der Art der ledrigen Kofferköpfigkeit eines Hartmut Mehdorn, dieser Führergestalt also, die nach dem täglichen Kunden- und Preisschlachten abends gern noch die eine oder andere Wildsau „nach Art des Hauses“ rauslässt.
Doch soll nicht Spekulation dort walten, wo es um Fakten geht. Ursprünglich irgendwo im Flussdreieck zwischen Dnjepr, Dnjestr und Nochunaussprcklkr beheimatet, sind die Vandalen vor vielen, vielen Jahren ohne Kursbuch oder Shellatlas in Richtung Westen aufgebrochen und machten erst Halt, als es nicht mehr weiterging. Da blieb ihnen am Ende nur der Sprung von den Affenfelsen Gibraltars in einen Erdteil, von dem sie an den Grundschulen im Dreieck zwischen Dnjepr, Dnjestr und Nochunaussprcklkr nie etwas gehört hatten. Im Sonnenparadies Marokkos und Tunesiens zählten sie schließlich zu den allerersten Dumpfbeuteln aus dem Hohen Norden, die sich einer modischen Lehre annahmen: das Neue Testament. Deshalb wurden sie schnell zu Ketzern erklärt und dem allgemeinen Völkermorden ausgeliefert.
Dabei standen ihre Gelehrten wie Flavius Stilicho lange an der Spitze des römischen Staates und haben unter anderem das Freilassen von Gefangenen erfunden; einer aus ihrer Mitte mit Namen Erich Geis brachte es als Geiserich sogar zum König. Selbst angenommen, die Vandalen hätten in menschlichen Einzelstücken bis in unsere Tage überlebt, sollte man da vermuten, sie würden bei den unerschwinglichen Bahnfahrpreisen von heute als Erstes nach Wabern reisen, um dort Kofferbänder zu schänden?
Woher also kommt dieses unerhörte Maß an Vorverurteilung bei allen Dingen, die kaputtgegangen sind? Eine Erklärung liegt vielleicht im Gleichklang der Worte: „Wer macht hier Randale? / Immer der Vandale!“ Aber warum macht man sich nicht einen ganz anderen Reim auf die Rabauken, etwa „Wer zerstört hier Kofferbänder? / Sicher diese Niederländer!“ Oder: „Warum ist der Schalter zu? / Schuld sind Söldner aus Peru.“ Das ließe sich beliebig fortsetzen, muss aber unterbleiben, weil auch das Ohr ein Anrecht auf eine Zeit der Stille hat – genauso übrigens wie der Vandale auf Unversehrtheit seines Rufes und Ansehens. Das hat übrigens schon zu Lebzeiten keiner so klar zum Ausdruck gebracht wie der ostgotische Stummbarde Geiso van Dalen: „Hat so wunde Beine / läuft halt viel durch Sand. / Vandalen, die ich meine, / ruh’n nachts im Kofferband.“
Und das tät’s dann alles erklären … REINHARD UMBACH