Schwarz für einen Sekundenbruchteil

Schriften zu Zeitschriften: Das neue Heft von „Frauen und Film“ vergleicht Alt und Neu, Analog und Digital

Warum ist ein LCD-Bildschirm nicht in der Lage, ein Gefühl von der vergehenden Zeit zu vermitteln?

Frauen und Film, 1975 von Helke Sander gegründet, wandelte sich im Laufe der Jahre von einem aktivistisch-feministischen Heft zu einem an der psychoanalytischen feministischen Filmtheorie und der Kritischen Theorie orientierten Band, der lange Zeit überhaupt die einzige Filmtheorie-Zeitschrift im deutschsprachigen Raum war. Die Akademisierung der feministischen Filmwissenschaft wurde nicht erst auf der 25-jährigen Jubiläumsveranstaltung im Jahr 2000 beklagt, als sich (fast) alle Positionen so richtig aneinander reiben konnten. Frauen-und-Film-Heft Nr. 64 geht nun eher beiläufig (aber auch selbstverständlich) mit feministischen Fragen um und wendet sich dem Thema „Das Alte und das Neue“ zu. Damit sind die Mischformen der alten und der neuen Medien gemeint und natürlich auch die Polemiken, die beileibe nicht nur im Zwist um Zelluloidkorn oder Pixel aufgehen.

Den Auftakt des Hefts bildet ein inspirierender Text der Kamerafrau und Regisseurin Babette Mangolte: „Eine Frage der Zeit: Analog versus Digital – Die immer wiederkehrende Frage nach der Bedeutung sich ständig verändernder Technologien für die Odyssee einer Experimentalfilmmacherin“. Den Text umklammern tagebuchartige Aufzeichnungen. Sie setzen 1970 ein, als Mangolte von Michael Snows Film „Wavelength“ hörte und dem Ruf dieser „komplexen Zeitmaschine“, dieses „philosophischen Spielzeugs“ nach New York folgte; sie reichen bis hin zu den Erfahrungen, die sie in ihrem nahe bei Ground Zero gelegenen Studio nach dem 11. September 2001 machte.

Für Mangolte steht Zeit im Zentrum des Unterschieds zwischen Analogem und Digitalem. „Warum ist die Helligkeit des LCD-Bildschirms, die unbarmherzige Grelle des digitalen Bildes, ohne die Gnade der Blende, ohne das Hin und Her zwischen der einachtundvierzigstel Sekunde Dunkelheit, gefolgt von der einachtundvierzigstel Sekunde projizierten Bildes, […] nicht in der Lage, ein erfahrbares Gefühl von vergehender Zeit zu vermitteln und zu konstruieren?“ Sie stellt Zeiterfahrung genauso wie Materialökonomien und Schnittprozesse zur Diskussion, aber auch Tiefenschärfe und Weichheit von Filmkorn und digitalem Pixel und kommt mit ihren aus der Praxis der Filmarbeit gewonnenen Erfahrungen zu Einschätzungen, die sich der aktuellen Debatte um digitales und analoges Kino stellen und zugleich auch deren nostalgische Momente verhandelbar machen.

Wie sich Film- und Medienwissenschaften zueinander verhalten, untersucht Annette Brauerhoch, eine der Herausgeberinnen von Frauen und Film und selbst Professorin an einem Studiengang für Medienwissenschaften. „Filmwahrnehmung transzendiert reine Wissens- und damit Beherrschungszusammenhänge.“ Brauerhoch problematisiert den Einsatz von Video und DVD, die weit verbreitete „Lehre mit Band und Beam“, die die genuine Film- und Kinoerfahrung zugunsten von reduzierter Verfügbarkeit und Referenzialität abschöpft.

Ein weiterer Text lässt sich gut im Dialog dazu lesen. Sabine Nessel fragt: „Stimmt es wirklich, dass dem Kino zugunsten der Betrachtung des Filmtexts eine nachgeordnete Bedeutung eingeräumt wird?“ Vor Christian Metz' textuellen Untersuchungen gab es Gilbert Cohen-Séats Unterscheidung zwischen „filmischem Tatbestand und kinematografischem Tatbestand“, Ereignis und Text galten ihm als gleichwertig. Nessel überführt diese theoriehistorische Spurensuche in eine Beschreibung des Films „Love Me“ von Laetitia Masson, den sie als Film nach dem Kino schildert, der dieses jedoch wie einen Wiedergänger in sich trägt.

„Die ständige Interaktion zwischen Analogem und Digitalem ist in jeden Schritt des Filmemachens eingeschrieben“, notiert Mangolte. Weitere Texte zu Filmen der sowohl für das Kino als auch für Kunstinstallationen produzierenden Eija-Liisa Ahtila, zu Karin Jurschiks schmerzhafter Vater-Auseinandersetzung „Danach hätte es schön sein sollen“, zu Agnès Vardas „Die Sammler und die Sammlerin“ und zu Claire Denis' postkolonialem Tableau „Beau Travail“ versuchen diese Interaktion, versuchen, das jeweils Kino- und Medienspezifische im Blick zu behalten. Sie behandeln die Filme aus wohltuend subjektiven Inspirationen heraus, verlieren sich jedoch gelegentlich in harmoniefreudigen Schilderungen, denen eine Auseinandersetzung mit den nahe liegenden politischen Implikationen der Filme abgeht.

Kerstin Herlts Interviews mit sechs Filmemacherinnen zur ironischen Frage „Was in aller Welt wäre weiblich am digitalen Video?“ führt noch einmal direkt zur praktischen Ökonomie des Produzierens. Und Claudia Lenssens Text über Helke Sanders publizistische Arbeit mit der frühen Frauen und Film schlägt einen unnostalgischen historischen Bogen zur Protest-Energie und den dazugehörigen Grabenkämpfen der Vergangenheit.

MADELEINE BERNSTORFF

„Frauen und Film“, Heft Nr. 64: „Das Alte und das Neue“. Hg. v. Annette Brauerhoch, Heide Schlüpmann u. a., 185 Seiten, 20 €