piwik no script img

Archiv-Artikel

„Das gesellschaftliche Band ist zerrissen“

Einst galt Rachid Taha als Sprachrohr der jungen Einwanderer in Frankreich, noch heute wünscht er sich eine Massenvernichtungswaffe gegen Vorurteile. Ein Gespräch mit dem Rockmusiker über sein Album „Tékitoi“, den Frust der arabischen Jugend, den Krieg im Irak und die Krise der arabischen Welt

INTERVIEW BJÖRN DÖRING

taz: Herr Taha, Ihr neues Album „Tékitoi“ klingt sehr rockig, sehr wütend. Warum?

Rachid Taha: Ich wollte meine Albträume bannen. Es gibt keinen einzigen Tag, an dem nicht ein Mord geschieht. Es gibt keinen Tag, an dem die arabische Kultur nicht im Zusammenhang mit irgendwelchen Schreckensnachrichten im Radio und im Fernsehen genannt wird. Diese Darstellungen sind oft bis zur Karikatur verzerrt.

Mit diesem Album wollte ich eine Massenvernichtungswaffe gegen Vorurteile schaffen. Denn mir geht es um Menschen, die in ihrem Wesen nicht anders sind als wir, die wir in Westeuropa leben. Ich wollte mit dieser Platte der Schizophrenie entgegenarbeiten, die im Okzident gegenüber der arabischen Welt herrscht.

Pete Townshend hat mal gesagt, dass The Who schwere Waffen, nämlich großen Lärm, benötigten, um das Publikum aus seiner Lethargie zu reißen. Genau darum geht es mir. Ich teile diese Meinung, und ich bin ein großer Fan von The Who.

Diesen Willen merkt man auch den Texten an: Die sind recht schnörkellos und direkt.

Früher habe ich oft in Metaphern gesprochen, um meine Gedanken auszudrücken. Auf der neuen Platte spreche ich die Dinge aber lieber direkt an. Ich kritisiere direkt die Art und Weise, in der die Amerikaner im Irak Krieg führen. Ich kritisiere, dass es in vielen arabischen Ländern Diktaturen gibt. Ich kritisiere den Missbrauch des Demokratiegedankens.

Und ich klage die Regierungen von vielen arabischen Staaten an, weil sie mit dafür verantwortlich sind für das, was uns momentan zustößt. Mir geht es darum, die Lügen aufzudecken. Die Lügen auf beiden Seiten.

Wie reagiert das Publikum, wenn Sie in arabischen Ländern spielen?

Ich spiele nur selten in arabischen Ländern.

Warum? Dürfen Sie dort nicht auftreten?

In vielen anderen Ländern geht das nicht, weil meine Texte oft zu brutal, zu schonungslos gegenüber den Mythen der arabischen Welt sind. Ich würde gern häufiger in arabischen Ländern spielen, aber das ist für mich sehr schwer. In vielen Ländern regieren nun einmal die Stimme und das Gesetz der Heuchler, Redefreiheit im westlichen Sinne gibt es dort nicht. Die arabischen Länder kennen nur die Kultur der Einparteienherrschaft. Das ist einer der Gründe, weshalb dort momentan die Frustration der Bevölkerung einfach überschwappt.

Die USA führen ihren Krieg im Irak ja mit dem Argument, die Demokratie dorthin zu bringen. Was halten Sie davon?

Das, was die Amerikaner jetzt in den Irak bringen, ist ein Modell, das der Demokratie diametral widerspricht. Und das hat zur Folge, dass gerade die jungen Leute die Demokratie für immer ablehnen werden, weil sie ganz sicher nicht das wollen, was ihnen da mit Bomben und Terror ins Land gebracht wird. Die USA sorgen mit ihrem Krieg dafür, dass dort eine Generation aufwächst, die in erster Linie nur den Hass kennt. Man ist dabei, die Demokratie zu töten.

Spürt man diese Haltung auch unter jungen Arabern in Frankreich?

Es gibt auf jeden Fall eine Abkapselung von jungen Leuten gegenüber der Gesellschaft. Das kommt unter anderem daher, dass man die arabischen Einwanderer und deren in Frankreich geborene Kinder über einen sehr langen Zeitraum fast völlig ignoriert hat – dass man sie nicht ins Berufsleben integriert hat und dass ihre Musik, ihre Kultur nicht gerade mit offenen Armen willkommen geheißen wurde.

Man hat diesen Leuten keine anständigen Wohnungen gegeben, man lässt sie nicht in die Diskotheken. Als Reaktion auf diese Ausgrenzung werden die Leute erst frustriert, dann radikalisieren sie sich – oder sind zumindest den Verführungen von radikalen Kräften stärker ausgeliefert.

Das sieht man auch an der Debatte, die sich um die Frage eines EU-Beitritts der Türkei entzündet hat. Diese Diskussion wäre sicherlich längst nicht so heftig, wenn die Türkei kein islamisches Land wäre. Aber durch diese Ablehnung des Westens entsteht natürlich auch auf der anderen Seite eine Animosität, ein Gefühl des Rassismus.

Kann man als Künstler in diese Prozesse eingreifen?

Ich versuche es. Ich versuche darüber aufzuklären, dass es vor allem die Politiker sind, die hier in der Verantwortung stehen, weil sie ein falsches Spiel spielen, das von Hass und von Demagogie geprägt ist. Ich möchte immer wieder appellieren, dass man mit Vernunft agieren muss. Und ich möchte darüber aufklären, dass man nicht weiter kommt, wenn man sich zu irgendeiner Form von Radikalismus bekennt.

Sie galten einmal als Sprachrohr jener Einwandererkinder, die in Frankreich aufgewachsen sind. Haben Sie das Gefühl, die junge Generation heute noch zu erreichen?

Nein, das schaffe ich nicht mehr. Man hat uns da das Gras unter den Füßen abgeschnitten. Man hat die Basis zerstört, auf der ein Dialog hätte stattfinden können. Man muss einfach auch sagen, dass da über einen langen Zeitraum hinweg die völlig falsche Politik gemacht wurde. Insbesondere die Sozialistische Partei in Frankreich hat große Fehler in ihrem Umgang mit Einwanderern gemacht, die dazu beigetragen haben, dass das gesellschaftliche Band zerrissen ist.

Diese Entwicklung hat eine sehr reaktionäre Politik hervorgerufen. Auch eine Initiative wie S.O.S. Racisme war letztlich nur ein Feigenblatt für die gescheiterten Versuche der Integration. Eine Organisation wie S.O.S. Racisme war nichts anderes als eine Schöpfung der Sozialistischen Partei, um die Stimmen der arabischen Einwanderer für sich zu gewinnen. Und der Beweis dafür ist ganz einfach: Alle, die früher bei S.O.S. Racisme gearbeitet haben, bekleiden jetzt hohe Parteiposten und Mandate für die Sozialistische Partei in Frankreich. Das war der Hühnerhof der Sozialisten.

Tour: 1. 12. Karlsruhe, 2. 12. Hamburg,3. 12. Berlin (mit Zap Mama),4. 12. München, 5. 12. Köln