Die Stimme

Besser gereift als ein Superstar: Rickie Lee Jones in der Kulturbrauerei. Intim, traumverloren und sehr souverän

Fuck Bush: Beunruhigend an der Lage in den USA werden auch die Infantilität und Ratlosigkeit derer, die so etwas wie Opposition darstellen und sich doch nur in leeren Protestritualen verlieren. Dankbar schnappt man nach jedem vorgehaltenen Pappkameraden. Auch Rickie Lee Jones, neben Joni Mitchell die große amerikanische Singer/Songwriterin, stimmt auf ihrem neuen Album in den Protest ein. Bush ist da bloß noch der „Ugly Man“, ein verlogenes Vatersöhnchen, aber jetzt wird kinderleicht und barfuß Revolution gemacht und das Land zurückerobert …

Andererseits ist Rickie Lee Jones mit „The Evening of My Best Day“ eines der besten Alben dieses Jahres gelungen, auf dem sie ihre Infantilität musikalisch jederzeit in eine Stärke verwandeln kann. Etwas verspannt sind die Erwartungen also, als sie am Mittwochabend die Bühne des gut gefüllten Palais der Kulturbrauerei betritt, auf der man sie neben ihren acht Begleitmusikern zunächst kaum sieht.

Rickie und die starken Männer: Eine kleine Schamanin mit langen graublonden Haaren unter der Schiebermütze, älter geworden, in fast schon schockierendem Gegensatz dazu ihre jugendliche Stimme, eindrucksvoll changierend zwischen quengelnd-verschnupftem Näseln und kindlich-melodischer Klarheit. Mit kammermusikalischer Intimität geht es los, gespielt werden fast nur die neuen Songs, jazzige Balladen, die den Blues ebenso wie den Country und Gospel kennen. Dann wird die Mütze abgenommen – „it’s hot in here“, singt Rickie Lee zwischendurch – und der Abend nimmt an Fahrt auf. Die Band (mit Akkordeon und Geige!) ist hervorragend, mittendrin die Sängerin, die sich wie traumverloren in ihre Lieder fallen lässt und sich gleichzeitig sehr bossy und mit großem Selbstvertrauen unter ihren Musikern bewegt. Sie weiß, dass kein Instrument mit ihrer Stimme mithalten kann, die voller und reifer geworden ist. Sie singt „Last Chance Texaco“ von ihrem Debütalbum, als es 1979 kurz so aussah, als würde Rickie Lee Jones der kommende Superstar Amerikas werden. Das ist die einstige Alkoholikerin und heutige Mutter, die auf ihren Konzerten das Rauchen verbieten lässt, nicht geworden. Dafür kann sie sich jetzt ganz gelassen mit einem großartigen Album und einem noch besseren Konzert zurückmelden – auch wenn von der großen Revolution nicht mehr bleiben wird als ein bisschen Hippie-Scheiße – „Everybody needs Love and Understanding“ – und ein paar Latzhosen-Tänzer im Publikum. ANDREAS MERKEL