: Mildes Plädoyer auf wackeligen Beinen
Bundesanwaltschaft fordert zwischen zwei und vier Jahren Haft für angebliche Mitglieder der Revolutionären Zellen. Urteil in dem mehr als zweijährigen Prozess wird im Januar erwartet. Mögliche Strafen wahrscheinlich durch U-Haft bereits abgegolten
von CHRISTOPH VILLINGER
Haftstrafen zwischen zweieinhalb Jahren und vier Jahren drei Monate forderte gestern die Bundesanwaltschaft (BAW) für die fünf Angeklagten im Prozess gegen angebliche Mitglieder der Revolutionären Zellen (RZ). In seinem sechsstündigen Plädoyer zeigte sich Oberbundesanwalt Michael Bruns und sein Kollege Bundesanwalt Wallanta von der Schuld der Angeklagten überzeugt. „Einerseits sind die Taten der Angeklagten hochkriminell“, führte Bruns aus, anderseits erkenne aber auch er an, dass „die Taten über zehn Jahre zurückliegen und die Angeklagten inzwischen ein bürgerliches Leben führten“. So bewegten sich seine Strafanträge im unteren Drittel dessen, was bei einem Schuldspruch möglich wäre. Mit einer erneuten Inhaftierung müssen die Angeklagten nicht rechnen. Sie hatten rund zwei Jahre in Untersuchungshaft gesessen. Die Haftbefehle sollten aufgehoben werden, meint die BAW.
Seit März 2001 verhandelt das Kammergericht gegen den Werkzeugmacher Rudolf Schindler (61), die Galeristin Sabine Eckle (57), den früheren Leiter des Auslandsamtes der TU Berlin, Matthias Borgmann (55), den Politologen Harald Glöde (55) sowie den Hausmeister des Mehringhofs, Axel Haug (53). Neben der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung wirft die BAW den fünf in unterschiedlichen Zusammensetzungen die Beteiligung an den Knieschüssen auf den damaligen Chef der Berliner Ausländerpolizei Harald Hollenberg 1986 sowie den Vorsitzenden Richter des Bundesverwaltungsgerichts Günter Korbmacher 1987 und mehrere Sprengstoffanschläge vor. Die Vorwürfe beruhen im Wesentlichen allein auf den Aussagen des Kronzeugen Tarek Mousli.
Überraschend hatte die BAW am vergangenen Freitag, dem 157. Prozesstag, auf Drängen des Gerichts mit ihrem Pladoyer begonnen. Zuerst warf Bruns den Angeklagten vor, nicht vor Gericht über eine „ideologische Aufarbeitung der RZ zu diskutieren“, sondern sich „wie eine Autoschieberbande zu verhalten“. Borgmann, Schindler und Eckle warf der Oberbundesanwaltvor, die „Rädelsführer“ der Berliner RZ gewesen zu sein. Deshalb forderte er für Schindler und Eckle jeweils drei Jahre und neun Monate, für Borgmann vier Jahre und drei Monate. Für Glöde, den er „als Mittäter in der zweiten Reihe“ einschätzte, forderte er zwei Jahre und neun Monate, für Haug zwei Monate weniger.
Unbeeindruckt ließ die Bundesanwälte, dass für viele der Vorwürfe weiterhin außer den Behauptungen ihres Kronzeugen jeglicher Beweis fehlt. So „hat die BAW keinen Zweifel, dass es ein Sprengstoffdepot im Mehringhof gab“, obwohl dort trotz zweier aufwändiger Durchsuchungen nicht einmal Spuren von Sprengstoff gefunden wurden. „Es wurde eben vom Bundeskriminalamt lange nicht jedes potenzielle Versteck untersucht“, meinte die BAW dazu.
Nach Einschätzung von Prozessbeobachtern trug die BAW lediglich eine Neufassung ihrer Anklageschrift vor. Der Prozess wird am kommenden Donnerstag mit den Plädoyers der Verteidigung fortgesetzt. Mit einer Urteilsverkündung ist im Januar nächsten Jahres zu rechnen.