So retten Sie das Klima!

VON BERNHARD PÖTTER

1. Vergessen Sie Kioto! Wieder einmal haben Sie sich bei der Klimakonferenz in Mailand als Verhandlungsleiterin der Europäischen Union die Nächte um die Ohren geschlagen, Frau Wallström. Doch als EU-Kommissarin für Umwelt wissen Sie schon längst: Das Kioto-Protokoll zum Klimaschutz, das vor sechs Jahren unterzeichnet wurde, ist ein Papiertiger. Dort haben die Industriestaaten und die Staaten des ehemaligen Ostblocks sich darauf geeinigt, ihre Emissionen an klimaschädlichen Treibhausgasen (vor allem CO2) bis 2012 um insgesamt 5,2 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Das Ergebnis ist ernüchternd: Nach neuesten UN-Zahlen stoßen die Industriestaaten in diesem Jahrzehnt nicht weniger, sondern insgesamt 17 Prozent mehr Kohlendioxid aus. Allein die osteuropäischen Länder (Russland: minus 35 Prozent), Großbritannien und Ihre Heimat Schweden sind auf Kurs. Deutschland hat noch eine gute Chance, sein Ziel von 21 Prozent Minus zu erreichen. Doch die übrigen Industrieländer blasen CO2 in die Atmosphäre, als hätten sie sich nicht zu einer Reduktion verpflichtet. Die USA und Australien, zwei der größten Verschmutzer, fühlen sich an Kioto nicht mehr gebunden. Kioto ist scheintot.

2. Retten Sie Kioto! Etwas Besseres haben Sie schließlich nicht. Wenn Sie hinter Kioto zurückgehen, fangen sie nicht bei null, sondern bei minus zehn an. Staaten wie die USA oder Australien haben in Kioto immerhin ihre Verpflichtung zum Klimaschutz anerkannt, auch wenn sie heute das Abkommen nicht ratifizieren. Heutzutage würden sie sich wahrscheinlich nicht noch einmal auf völkerrechtlich verbindliche Reduktionen ihrer Emissionen einlassen. Und Ihnen als oberster Klimaschützerin der EU fehlen Instrumente des internationalen Klimaschutzes wie der Emissionshandel, die Anrechnung von Investitionen in Entwicklungsländern, die Ausgleichszahlungen an Länder, die unter dem Klimawandel besonders leiden, oder Sanktionen.

3. Malen Sie ruhig ein bisschen schwarz. Sie haben Grund dazu. Die Öffentlichkeit will Horrorszenarien. Damit können Sie dienen: So sehen US-Ozeanografen bereits erste Anzeichen für eine Abschwächung des Golfstroms, der in Nordeuropa das Klima bestimmt. Nach Angaben der UNO haben klimabezogene Unwetter 2003 insgesamt Schäden von rund 50 Milliarden Euro verursacht – 10 Prozent mehr als im Vorjahr. Malen Sie ruhig mal wieder den Teufel an die Wand: Immerhin erscheint Wissenschaftlern auch der „Runaway-Treibhauseffekt“ als möglich, wenn die Klimaerwärmung große Mengen Methandioxid am Meeresboden freisetzt. Andere potenzielle Katastrophen: Das Muster der Monsunwinde verändert sich, oder die Eispanzer der Antarktis oder Grönlands schmelzen.

4. Bringen Sie die Frage der Gerechtigkeit ins Spiel. Auch beim Klimawandel gilt: Der Norden prasst, der Süden leidet. 20 Prozent der Weltbevölkerung in den Industriestaaten stoßen 80 Prozent der Treibhausgase aus. Der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU) hat für Ihren deutschen Kollegen Trittin errechnet, was passiert, wenn die Durchschnittstemperaturen bis 2100 um mehr als 2 Grad steigen: 65 Entwicklungsländer verlieren 16 Prozent ihrer landwirtschaftlichen Produktion – dafür profitiert die europäische Landwirtschaft, die ohnehin hoch subventioniert wird. In 80 Jahren sind fünfmal mehr Menschen als heute von Sturmfluten bedroht, vor allem in armen Ländern. Bereits heute fordert der Klimawandel nach Hochrechnungen der Weltgesundheitsorganisation jährlich 150.000 Todesopfer infolge von Infektionskrankheiten – am stärksten betroffen: Schwarzafrika und Südasien. Gerechtigkeit heißt beim Klimaschutz, den Pro-Kopf-Ausstoß von CO2 bis 2050 weltweit anzugleichen – für uns und andere Industriestaaten heißt das eine Reduktionen der Treibhausgase um 80 Prozent. Das ist eine unpopuläre Forderung. Aber Sie müssen als EU-Kommissarin ja nicht um Ihre Wiederwahl fürchten, Frau Wallström.

5. Holen Sie Russland ins Boot. Russland hat in der Vergangenheit von der EU nach Meinung vieler Experten mehr als genug Zugeständnisse bekommen. Jetzt sollten Sie den Russen klar machen, dass sie von einem Beitritt zu Kioto keine ökonomischen Nachteile, sondern Vorteile zu erwarten haben. Und Ihren Kollegen Pascal Lamy, den EU-Kommissar für Handel, könnten Sie bitten, beim nächsten Moskau-Besuch intern mir Sanktionen zu drohen, wenn Russland weiter zögert.

6. Vergessen Sie Washington. Hoffen Sie nicht auf die Wahlen im nächsten Jahr. Auch ein Demokrat im Weißen Haus macht kaum einen Unterschied. Hilfe kommt höchstens von einzelnen US-Staaten wie Kalifornien, die signalisiert haben, freiwillig beim Klimaschutz mitzumachen. Besuchen Sie doch mal Arnold Schwarzenegger.

7. Ganz wichtig: Binden Sie die Schwellenländer ein. In der Perspektive noch wichtiger sind Staaten wie China, Indien oder Brasilien. Sie sind als Schwellenländer durch Kioto nicht gebunden und werden in 10 bis 20 Jahren die größten Emittenden von CO2 sein. Hier müssen Sie sich wirklich etwas einfallen lassen: Denn die Länder haben einen riesigen Bedarf, ihren materiellen Lebensstandard zu heben. Stellen Sie effiziente Energietechnik zur Verfügung, helfen Sie beim Aufbau sauberer Energien, unterstützen Sie Armutsbekämpfung und soziale Reformen. Kurz: Helfen Sie den Ländern, unsere Fehler zu vermeiden.

8. Vertrauen Sie auf die Natur. Auch den Klimasündern wird es langsam heiß: In Alaska taut der Permafrostboden auf, im Westen der USA nehmen Dürre und Waldbrände zu. In Australien wird die durchschnittliche Temperatur bis 2070 nach offiziellen Berechnungen um 6 Grad steigen. Dürren werden Bauern zur Aufgabe zwingen, das Trinkwasser wird an den Küsten noch knapper werden. Vielleicht überdenken beide Staaten bald ihre Haltung, dass Klimaschutz „nicht im nationalen Interesse“ liege. Franzosen und Deutsche haben das in diesem Jahr durch Überschwemmungen und Dürre bereits erfahren.

9. Machen Sie weiter aus dem Klimaschutz ein lohnendes Geschäft. Da sind Sie ja schon auf dem richtigen Weg. Ab 2005 startet in der EU der Emissionshandel. Kraftwerke oder Fabriken bekommen eine Obergrenze von CO2 zugeteilt. Brauchen sie weniger, dürfen sie die Zertifikate verkaufen, wer mehr braucht, muss zukaufen. Regelmäßig werden die Lizenzen vom Markt genommen, um die CO2-Obergrenze nach unten zu drücken. Die weltweit größten Verschmutzer, die USA, machen bisher nicht mit. Wenn das System einmal läuft, sollen die Entwicklungsländer daraus jährlich 84 bis 128 Milliarden Dollar von den Industriestaaten bekommen.

10. Machen Sie einfach Ihr eigenes Ding. Statt über das Ende von Kioto zu jammern, sollten Sie eine „Koalition der Willigen“ bilden: Die EU mit ihren Erweiterungsstaaten sollte sich mit den Schwellen- und Entwicklungsländern zusammenschließen, um die in Kioto gefassten Beschlüsse umzusetzen – auch wenn sie nicht rechtlich bindend sind. Das Kalkül: Wenn eine solche „Friends of Kioto“-Gruppe einmal funktioniert, wird es Druck auf die russische Regierung geben, am Emissionshandel zu verdienen. Und auch einzelne US-Staaten haben Interesse daran, an einem solchen Handel teilzunehmen.

11. Fassen Sie sich erst einmal an die eigene Nase. Bringen Sie erst einmal Ihr eigenes Haus in Ordnung. Denn statt der bis 2010 angepeilten minus 8 Prozent Kohlendioxidausstoß hat die EU derzeit nur minus 2,2 Prozent vorzuweisen.