: Nach Saddams Richtern wird noch gesucht
Der Diktator soll vor ein Tribunal im Irak kommen. Das ist mehr ein Instrument der Rache als der Gerechtigkeit, kritisieren Menschenrechtler
BERLIN taz ■ Dass Saddam Hussein vor ein Gericht gestellt werden soll, war unter allen beteiligten der gestrigen Pressekonferenz in Bagdad unstrittig – nur wann, wo und vor welches, das ließen die Redner seltsam im Unklaren. Während der Sprecher des irakischen Regierungsrates beteuerte, es werde mit Sicherheit ein irakisches Gericht sein, mochten US-Zivilverwalter Paul Bremer und US-General Ricardo Sánchez sich dazu nicht äußern, erst recht nicht zu der Frage, ob oder gar wann Saddam Hussein an die irakischen Sicherheitsbehörden übergeben wird. Vieles spricht allerdings dafür, dass Saddam der wichtigste Angeklagte eben jenes irakischen Kriegsverbrechertribunals wird, dessen Gründung der von den USA eingesetzte Regierungsrat erst vorige Woche bekannt gegeben hatte.
Das Gesetz, mit dem das Tribunal begründet wird, ist von Menschenrechtsorganisationen weltweit kritisiert worden. Die in den USA ansässige Organisation Human Rights Watch (HRW) bemängelt etwa, das Gesetz schließe weder die Todesstrafe noch Verfahren in Abwesenheit aus und sehe nicht den „über jeden vernünftigen Zweifel erhabenen“ Beweis der Schuld als als Grundlage einer Verurteilung vor. Das zusammengenommen, kritisiert HRW, könnte das Tribunal eher als Instrument der Rache als der Gerechtigkeit wahrgenommen werden.
Tatsächlich hatten vor allem Menschenrechtsorganisationen darauf gehofft, die Vereinten Nationen könnten bei der juristischen Aufarbeitung der Verbrechen des Saddam-Regimes eine entscheidende Rolle spielen – ähnlich wie in Ex-Jugoslawien und Ruanda. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag kommt nicht in Frage, weil der Großteil der Saddam zur Last gelegten Straftaten vor dem Inkrafttreten des Rom-Statutes am 1. Juli 2002 begangen wurde – und natürlich auch, weil die USA jegliche Kooperation mit diesem von ihnen bekämpften Gerichtshof ablehnen würden.
Auf jeden Gerichtshof, der sich der irakischen Verbrechen annimmt, kommt eine enorm schwierige Aufgabe zu: International scharf beobachtet, muss er Maßstäbe für eine neue irakische Rechtsstaatlichkeit setzen. Zeugen müssen geschützt werden, die Ermittlungsrichter müssen bei teilweise viele Jahre zurückliegenden Fällen mit den Erinnerungslücken und Autosuggestionen sensibel umgehen, die Frage der direkten Verantwortlichkeit ehemaliger Regierungsspitzen ist – das zeigen zahllose Fälle in Lateinamerika – oft sehr schwer gerichtsfest zu beweisen. Im Hinblick auf den möglichen Prozesse waren Menschenrechtsorganisationen auch sehr besorgt über die undokumentierte Öffnung der Massengräber, die nach dem Sturz des Systems gefunden worden waren – bei allem Verständnis für die Angehörigen, die ihre Toten endlich begraben wollten, verwiesen sie doch auf die Vernichtung von potenziellem Beweismaterial.
Wie ein so schwieriger juristischer Prozess mit einem rein irakisch besetzten Tribunal funktionieren soll, ist zudem derzeit völlig unklar. Dem Irak fehlt ein funktionierendes Rechtssystem mit gut ausgebildeten Juristen. So ist bislang nicht einmal ein Verfahren für die Auswahl der Richter und Ankläger ganz sicher. BERND PICKERT