: Warst du auch lieb?
Aus kaum einem Medienbericht zum Thema SM erfährt man mehr als Raunen. Wir wollten es genauer wissen: Wie „funktioniert“ sadomasochistische Lust? Was spielt sich im Kopf ab, wie reagiert der Körper angesichts von Unterwerfung und Schmerz? Zum Nikolaustag, dem Tag des strengen Herrn mit der Rute, ein Besuch bei Gerd und Pit, einem SM-Paar
Interview von ANDREA ROEDIG
Ihre Wohnung liegt im Berliner Osten, und im Flur hängt eine Collage aus einer DDR-Fahne, einem alten Hammer und einer Sichel, an deren Spitze ein kleines Christuskind hängt. Das ist wie ein Arrangement der Biografien von Pit, 32, aus dem Unterallgäu, und Gerd, 35, aus der Oberlausitz. Gerd ist der Meister und Pit der Sklave: eine Liebesbeziehung.
taz.mag: Gerd und Pit, wie groß ist die Rolle von SM in eurem Leben?
Gerd (denkt nach, lacht): Dreißig, vierzig Prozent. Ich wär auf die Schnelle versucht zu sagen, es ist wie so ’n Hobby. Der Kleingärtner kann dir erzählen, in welchen Abständen der seine Pflanzen setzt und was er so anbaut in seinem Garten – und der SMer zeigt dir voll Freude sein Spielzimmer und was er so alles macht und mit wem.
Ihr habt euch übers Internet kennen gelernt. Hattet ihr euch vor dem ersten Treffen Bilder geschickt? War das Aussehen mit entscheidend?
Pit: Klar war das Aussehen von Gerd nicht unwichtig, ich hatte Bilder von ihm und er von mir. Als ich Gerd kennen lernte, hatte ich eine Art Skin-Ikone im Kopf, ich suchte nach einem linken Skin. Diese Ikone verkörpert für mich einen bestimmten Umgang mit Männlichkeit, die Bereitschaft dazu, Grenzen zu überschreiten. Mich reizt das politisch Unkorrekte daran, aber auch die Bereitschaft, sich damit kritisch auseinander zu setzen.
Gerd: Mir sind Gesicht und Augen wichtig. Aber Pits Kotau hat den größten Eindruck auf mich gemacht. Stell dir vor: Wir hatten verabredet, dass wir uns in einem Club zum ersten Mal sehen – und er wirft sich im Getümmel von Bekannten und Unbekannten vor mich auf die Erde und küsst mir die Stiefel.
Wie würdet ihr eure Lüste beschreiben?
Pit: Feucht, heiß und eng.
Gerd: Alles, was invasiv ist. Spaß macht mir, irgendwo einzudringen, unter die Haut zu fahren, in den Körper reinzukommen, als wenn es so eine Gier wäre, noch näher als nah ranzukommen und noch tiefer rein als nahe dran. Es geht nicht ums Verschmelzen, sondern darum, ganz um Pit drum rum zu sein.
Pit (lacht): Sehr mütterlich …
Gerd: … unter die Haut und dann um den ganzen Körper drum rum …
Pit: Und ich möchte gern in der Fruchtblase schwimmen, ja.
Habt ihr auch konventionellen Sex?
Gerd: Ja, aber es ist schon so, dass es im Kopf immer auch um SM geht.
Ihr seid drei Jahre zusammen …
Pit: Und wir haben immer noch Sex miteinander. Dass es bei uns noch Sex gibt und so viel, das hängt sicher mit SM zusammen.
Wie seid ihr zu SM gekommen?
Gerd: Übers Fisten. Ich bin erst nach der Wende schwul geworden, mit 23. Und beim Fisten hab ich gelernt, dass es bei sexuellen Gelüsten nicht primär nur ums Abspritzen gehen muss, sondern um Erregung überhaupt und ein Changieren zwischen Lust und Schmerz.
Pit: Ich habe mich schon sehr früh gedanklich mit SM beschäftigt. Es gibt ja diese Gewalt- und Versklavungsgeschichten im Zusammenhang mit der Antike, das sind Geschichten mit einem Soft-SM-Touch. Mein Coming-out hatte ich dann mit 21; und das Schwulsein war solch ein Bruch mit Selbstbildern und Identität, dass plötzlich alle Dämme brachen und es nur noch ein kleiner Schritt war, auch SM zuzulassen.
Gab es da ein Initialerlebnis?
Pit: Ich habe über eine SM-Organisation an einem Sklavenlager teilgenommen: Das ging fünf Tage und war ein heftiger Einstieg. Ich habe mich vollkommen in diese Sklavenidentität reinfallen lassen. Die extreme Abhängigkeit hatte für mich etwas wahnsinnig Befreiendes. Ich hab mich darin auch verletzlich und ausgeliefert gefühlt.
Worauf steht ihr bei SM?
Pit: Es ist nicht der Schmerz, der für mich den Kick macht. Ich muss erst mal in einem mentalen Slavespace [kursiv gesetzte Wörter werden in den Randspalten auf den folgenden Seiten erläutert; Anm. d. Red.] sein, erst dann beginne ich, den Schmerz zu erotisieren, weil ich den Körper anders wahrnehme. Eine Auslieferungssituation muss erst aufgebaut werden. Das kann etwa durch körperliche Überwältigung geschehen, wenn ich spüre, dass jemand stärker ist als ich, wenn ich gefesselt bin, eine Maske aufhabe oder wenn meine Atmung kontrolliert wird.
Gerd: Ich hab noch nie jemanden gesehen, der so darauf reagiert, das ist so intensiv und so zu Herzen gehend, unglaublich. Es war für mich ein Knackpunkt, als wir uns kennen lernten. Wir waren hochstaplerisch und sagten: Wir machen mal so ohne Limits los, und ich hab Pit ziemlich fix einen Katheter reingeschoben. Da ist er regelrecht zusammengebrochen. Er hat sich an meine Stiefel angekuschelt, und mir ging das Herz auf, ich war so überwältigt von der Zuneigung, die ich plötzlich für ihn empfunden habe und dem Ihn-beschützen-und-behüten-Müssen. Das war eine völlig neue Art von Nähe.
Wie fühlt sich das an, einen Katheter gesetzt zu bekommen?
Pit: Es ist nicht schmerzhaft. Heftig daran ist das Ausliefernde, dieses Überwinden von Körpergrenzen, dieses Abgeben von Kontrolle. Da fühle ich mich schwach und schäme mich auch sehr.
Gerd: Ooooh, das ist so süß, wenn der sich schämt.
Pit: Es klappt auch nicht immer, dass ich es genießen kann. Aber in der Situation hab ich es genossen, so schmutzig zu sein und dafür keine Verantwortung zu haben, dass ich mich beschmutze.
Gerd: Das sind zwei große Konstanten, das Schmutzigsein in jeder Form, auch von Arbeit und von Straßendreck, und dann dafür nicht verantwortlich zu sein. Das macht großen Spaß.
Welche Rolle spielt Scham bei SM?
Pit: Eine ganz zentrale. Am Anfang wusste ich gar nicht mehr, was Scham ist, denn mit dem Coming-out hatte sie für mich keine Berechtigung mehr, sie war ein mich selbst behindernder Mechanismus. Mit der Zeit aber fange ich an, meine Scham anders zu spüren.
Wie?
Pit: Der Wunsch, im Slavespace sein zu können, ist für mich total schambesetzt. Das ist etwas, was mit meiner sozialen oder öffentlichen Rolle überhaupt nicht kompatibel ist. Die Master-Slave-Konstellation ist aber für mich ein Schutzraum. Und während ich sonst immer versuche, das zu kontrollieren oder zu verstecken, wofür ich mich schäme, kann ich es dort zeigen. Aber nur, weil ich das Vertrauen habe.
Gerd, schämst du dich auch?
Gerd: Ich bin geneigt zu sagen: nein.
Pit: Doch. Ich finde, dass du dich in der Szene viel mehr schämst als ich. Du fickst nicht gern in der Öffentlichkeit.
Spielt das Aussehen bei SM eine geringere Rolle als sonst bei Schwulen?
Pit: Natürlich gibt es Schönheitsnormen in der SM-Szene, aber die sind wesentlich breiter gefächert als anderswo. Ich bin immer wieder verblüfft, welche Leute es schaffen, dort attraktiv zu sein. Es gibt zum Beispiel einen Master, der ist klein und dick und schart jede Menge Sklaven um sich. Er hat eine ungeheure Führungs- und Sozialkompetenz, er weiß, wie man peitscht oder Nadeln setzt, er macht das souverän, er kann diese Souveränität auch vermitteln und abschätzen, wie der andere reagiert.
Das heißt, die Attraktivität liegt eher in der Art Inszenierung, der Selbstdarstellung und der Kompetenz bei bestimmten Praktiken?
Pit: Die SM-Szene bietet die meisten Möglichkeiten für schwule Männer, die sonst aus den Attraktivitätskriterien herausfallen. Das ist nicht weniger normierend, bietet aber andere Nischen. Gerade Tops sind ja oft älter, wie überhaupt das Einstiegsalter bei SM höher ist, weil SM einiges an sexueller Erfahrung, Auseinandersetzung mit Sexualität und sexuellen Fantasien erfordert.
Wie wichtig ist Sex bei SM-Spielen?
Pit: Der Übergang ist fließend. Für den Anfang ist die genitale Erregung meist sehr wichtig, doch je mehr ich mich in den Slavespace hineinfallen lassen kann, desto mehr verliert das an Bedeutung. Diese erotische Empfänglichkeit geht dann auf den ganzen Körper über.
Könnt ihr mal eine Session beschreiben?
Gerd: Der Keuschheitsgürtel war der große Knaller! Es war schwierig, das Ding zu bekommen, und es maßangefertigt zu kriegen, hat lange gedauert. Und kaum war der da, war es wie eine Initialzündung, mir ging es im Kopf ziemlich ab. Der Keuschheitsgürtel hat etwas Überraschendes ausgelöst, nämlich so ein Gefühl der Verfügbarkeit.
Wie sieht denn das Ding aus?
Pit: Der Gürtel ist geformt wie ein String aus Metall, er umfasst den Penis, aber nicht die Hoden.
Gerd: Den gibt’s auch in der rustikalen Ausführung, auf rostig gemacht.
Und wer hat den Schlüssel?
Pit: Den hat Gerd. Ein Sicherheitsschlüssel klebt hinten dran. Das ist nicht ganz so geil. Geiler wär’s, der Schlüssel wäre nicht dran. Das ist ein Zugeständnis an die Vernunft.
Man kann aber keine Erektion haben mit diesem Gürtel.
Pit: Nein, das tut eher weh. Und im Wachzustand krieg ich, wenn ich ihn trage, auch gar keinen Steifen mehr. Ich hab mir sagen lassen, dass, je länger man den trägt, der Körper auch lernt, keine so harte Erektion mehr zu bekommen. Ein Effekt ist, dass ich wahnsinnig geil davon werde und im Slavespace versinke, mich völlig als Lustobjekt fühle und alles erotisch besetzen kann, was man mit mir macht. Etwas, was mich immer mehr entrückt und entführt. Es ist auch, als würde der Schwanz dabei ein bisschen verschwinden.
Wie lange hast du den Gürtel an?
Pit: Bisher war das Längste zehn Tage am Stück. Befriedigt werden geht natürlich nicht, solange ich ihn trage, und dann zieht sozusagen die erotische Empfänglichkeit um in andere Körperstellen. Ich bin als Kind in einem sehr lustfeindlichen Umfeld aufgewachsen, hab mich immer sehr fürs Wichsen geschämt. Lange habe ich versucht, es nicht zu machen, mich selber zu binden, den Schwanz nicht anzufassen. Da ist die Erotik wohl in andere Bereiche abgewandert und hat sich neue Provinzen gesucht. Mit dem Keuschheitsgürtel kann ich das wieder erschließen.
Du wiederholst das Verbot?
Pit: Ja, ich wiederhole und verschiebe und bearbeite das Trauma. Es ist das Gefühl, kontrolliert, aber auch geborgen und geil zu sein. Ich habe das bürgerliche Umfeld meines Elternhauses als sehr beengend erfahren. Sexualität war für mich sehr wichtig, um mich zu emanzipieren. Und ich provoziere immer noch gerne, gehe gerne Konflikte ein. Macht ist für mich ein Problem und zugleich ein faszinierendes Thema.
Gerd: Der eigentliche Reiz speist sich daraus, dass diejenigen, die den Gürtel tragen, sich an allem erregen können.
Pit: Du wirst auf einmal sehr genügsam und dankbar, dir machen plötzlich viel mehr Dinge Spaß. Es hat etwas von einer Verzauberung der Welt, es fordert ein Opfer. Aber dafür kriegt man viel geschenkt. Ich glaube, der Aufschub des Orgasmus ist total wichtig für SM, weil es dazu führt, dass erotische Energien freigesetzt werden, die sich dann jenseits des Genitals festmachen.
Gerd: Eigentlich ist jede SM-Session darauf ausgelegt, genau diesen Orgasmus zu produzieren, egal, wie es dann passiert. Es ist wie eine Dramaturgie, man muss es immer weiter auf einen Höhepunkt hin zuspitzen, die Intensität immer weiter steigern. Das Finale liegt darin, dass man abbricht und den Bottom frei macht. Und dann kommt – schlupp, flupp – dieses Zusammenbrechen. Als wenn der Marathon jetzt gelaufen wäre und man ist am Ziel, Feierabend, dann kommt diese Erlösung.
Wie fühlt es sich an, wenn du schneidest oder pierct?
Gerd: Man muss schon so ’ne Fleischermentalität haben, Augen zu und durch. Es ist ja oft so, dass, wenn man eine Nadel durchpiekt, der Partner zuckt oder sich unkontrolliert bewegt, da kann man ja nicht selber zurückschrecken. (Zu Pit:) Geschnitten hab ich dich noch gar nicht, oder?
Pit: Aber gepierct.
Pit: Ich glaube, physiologisch kann man Schmerz und Lust nicht unterscheiden. Nach dem Orgasmus tun plötzlich Dinge weh, die vorher Lust gemacht haben. Einmal hat Gerd eine Nadelsession mit mir gemacht, die war nicht schmerzhaft, aber ich hatte solche Angst.
Gerd: Jooh, das hat Spaß gemacht. Du warst sehr aufgeregt, und dann war es bei mir so ein Schwanken zwischen dem Besorgtsein, dir die Angst nehmen, und auf der anderen Seite das auszukosten, mit dem Hintergedanken, dass das längst nicht so schlimm wird, wie du dir denkst. Das hat mich sehr angemacht. Komischerweise am meisten die Vorbereitung.
Angemacht? Ist das klar sexuell?
Gerd: Wenn ich aktiv bin, ist es klar zentriert auf den Schwanz, aber bei solchen Nadelspielen überhaupt nicht. Nee, das geht dann nur im Kopf ab.
Pit: Die Lust von ’nem Top fühlt sich anders an als die von ’nem Bottom.
Gerd: Die vom Bottom ist ein bisschen wirr und durcheinander, find ich. Die Lust vom Top geht schon mehr durch den Kopf. Das ist das Schizophrene beim Toppen: zu wissen, ich quäl ihn jetzt, und auf der anderen Seite dieses Mütterliche, Fürsorgliche.
Habt ihr feste Regeln für euer Spiel?
Pit: Die Grenzen sind nicht fest. Was mich an SM reizt, ist ja gerade das Verschieben von Grenzen. Dabei müssen die persönlichen Limits immer neu ausgehandelt werden. Wir hatten zum Beispiel mal ein „Regelbuch“, in dem bestimmte Vereinbarungen der Beziehung formuliert und immer mal wieder überarbeitet wurden, je nachdem, wie die Erfahrungen damit waren.
Gerd: Aber es war schwierig, das immer einzuhalten, und man hat bei Regeln schnell das Gefühl, dass man sich zum Sklaven seiner eigenen Regeln macht.
Es heißt oft, das Spiel mit Grenzerfahrungen führe zur Steigerung ins immer Extremere. Wie seht ihr das?
Gerd: Ich würde das mit einem Rotwein-Genießer vergleichen: Wer gerne guten Wein trinkt und hier immer weiter seinen Geschmack austestet, wird auch nicht öfter Alkoholiker als ein normaler Biertrinker. Die Frage nach der Steigerung ins Extrem artikuliert doch nur die Abwehr gegen SM.
Wie viel Raum nimmt SM in eurer Beziehung ein?
Pit: Unterschiedlich, manchmal nur ein paar Stunden, manchmal ein, zwei Tage. Und ich habe immer noch die Fantasie, das mal viel länger zu machen, also die Idee von einer 24/7-Beziehung auszuprobieren. Im Moment spricht allerdings viel dagegen, beruflich und finanziell, und ich müsste da selber mit mir ein bisschen kämpfen und ins Reine kommen. Aber ein Wunsch wäre, für längere Zeit, vielleicht ein Jahr, ganz von diesen Verpflichtungen frei zu sein und mich voll auf meine sklavische Seite konzentrieren zu können.
Wie wäre die Fantasie? Du bist nur zu Hause?
Pit: Nönönö.
Gerd: Eine Vorstellung wäre zum Beispiel, dass er in diesem Jahr eine Berufsausbildung macht, eine ganz profane handwerkliche, Fleischer, Mechaniker oder Autoschlosser, oder dass er eine landwirtschaftliche Lehre macht.
Pit: Also etwas, wo ich zwar nicht zu Hause bin, aber mich trotzdem mehr in diese Sklavenrolle reinfallen lassen kann, weil ich nicht intellektuell präsent sein muss in diesem Beruf.
Was bedeutet SM für eure Beziehung?
Pit: Es ist ein Sicherheitsmechanismus für mich. SM ist eine Sprache der Liebe und der Nähe. Ich brauche die widersprüchlichen Bilder, in denen ich diese Nähe ausdrücke. Zudem kann ich in SM das hineinpacken, was ich sonst aus einer Beziehung eher raushalten möchte, weil ich ja eher diese modernen oder postmodernen Ansprüche von Gleichberechtigung habe.
Gerd: Für mich ist SM ein Paralleluniversum, in dem die Regeln von draußen nicht gelten, in dem man seinen eigenen Lüsten, seinen eigenen Begierden nachhängen kann, ohne dass man sich reglementiert fühlt.
Habt ihr Kontakte zur Hetero-SM-Szene?
Pit: Wenig, ich würde das gerne ausbauen. Es wäre schon mein Interesse, schwulen, lesbischen und Hetero-SM stärker zusammenzubringen.
Gerd: Die Ästhetik ist völlig anders bei Hetero-SM. Schwarz, Corsagen und roter Samt herrschen vor. Und die Stiefel sehen anders aus, die sind noch höher geschnürt und haben spitze Absätze.
Pit: Für Hetero-SM gibt es andere Projektionsfolien, es geht viel um Zofen, Feudalismus und Boudoir, was im schwulen SM gar nicht vorkommt. Es gibt dort zwei Geschlechterideale statt eines einzigen, das macht irre viel aus. Und es gibt manchmal Transvestiten auf den Hetero-SM-Partys, während es im schwulen SM normalerweise eben das eine Männlichkeitsideal gibt, dem alle versuchen nachzueifern.
Gerd: Virile Männlichkeit eben.
Pit: Der Bauarbeiter, der Motorradfahrer, der Skinhead. Skater sind keine Projektionsflächen für SM, die sind zu jung. Es ist schon eher eine ältere, härtere, proletarische Männlichkeit, die hier als Ideal gilt. Und ich kenne keine Geschichte von „gender play“ in der schwulen SM-Szene, es ging immer darum, die Männlichkeit zurückzuerobern, die einem von der homophoben Gesellschaft abgesprochen wird. Und trotzdem Passivität und Hingabe leben zu können, ohne dabei kastriert oder entmännlicht zu werden.
Was du spielst, ist doch auch in der Nähe von Kastration?!
Pit: Aber ich zieh dabei nicht noch ’nen Fummel an, das wäre für mich demütigend. Obwohl das, was ich tue, natürlich ein Abarbeiten an der Geschlechterdifferenz und Homophobie und Misogynie und am Kastrationskomplex ist. Der Keuschheitsgürtel hat etwas Kastrierendes, klar, aber das ist ja das Spezifische, dass der Phallus bei Schwulen manchmal der Penis ist, aber nicht nur, manchmal sind es die Stiefel, manchmal ist es der Arsch.
Ist das beim Hetero-SM nicht so?
Pit: Selten. Ich weiß, dass es eine Fantasie von vielen ist und auch praktiziert wird, dass sich Heterosklaven von ihren Dominas ficken lassen, also in den Arsch, aber es geschieht im Geheimen. Es gibt auch männliche Zofen in der Hetero-SM-Szene, was sich dann „forced feminisation“ nennt und als Demütigung eingesetzt wird. So etwas will ich nicht! Ich hab auch ein bisschen SM-Fantasien im Fummel, aber ich kann mir mich da erst mal nur als sehr dominant vorstellen. Und ich möchte nicht, dass der Fummel als ein Demütigungsinstrument eingesetzt wird – nicht zuletzt, weil ich das politisch ablehne.
Braucht man für SM ein eigenes Coming-out?
Pit: Die schwule Fetisch- und SM-Szene, von der ich nicht restlos begeistert bin, ist relativ groß, sehr kommerziell. Ich hatte in der Schwulenszene, anders als meine lesbischen Freundinnen es von sich erzählen, keine Probleme, mich als SMer zu outen. Unter Schwulen gilt es eher als chic, weil es mit einem Bild männlicher Sexualität verbunden ist: sexuell umtriebig sein et cetera.
Wie ist die Akzeptanz in den anderen Szenen?
Pit: Ich war mal in einem heterosexuellen SM-Gesprächskreis und sehr verblüfft, dass SM für die eine richtige sexuelle Identität ist, wie für mich Schwulsein, mit allem, was dazugehört: dem Gefühl von Anderssein, Diskriminiertsein. Auch für meine lesbischen Freundinnen ist SM eine eigene Identität, die politisieren SM ganz anders, womit ich dann auch Probleme habe.
Was ist politisch an SM, oder besser: Was daran wäre politisierbar?
Pit: Ich finde, SM ist eine Form von Lebenspolitik, eine Umgangsweise mit gesellschaftlichen Widersprüchen, mit Macht- und Gewaltverhältnissen. Ein Sichabarbeiten daran – und deshalb ist es eine Form von Mikropolitik.
Fragt ihr euch, warum ihr auf SM steht?
Gerd: Joah, aber nicht so direkt.
Pit: Ich frage mich schon. Aber nicht, warum ich jetzt diese „tragische Veranlagung“ habe. Ich frage, weil ich versuche, mein Leben zu verstehen, und es manchmal auf der Hand liegt, was ich mit SM bearbeite.
„Das Trauma wiederholen und bearbeiten“, ist das eine Funktion?
Pit: Ja, aber das ist bei weitem nicht alles. Durchs Trauma muss man oft hindurch, um sich bestimmte Formen von Genuss wieder erschließen zu können, aber dabei soll es nicht stehen bleiben. Wenn das Trauma bearbeitet ist, heißt das, dass mein SM sich ändert und ich lustvoller mit der Sklavenrolle umgehen kann.
Eure Wohnung hat zwei Käfige. Wie fühlst du dich, wenn du darin eingesperrt bist?
Pit: Geborgen. Weil der zu ist, weil mich jemand da eingesperrt hat, der mich da auch rausholen kann. Weil ich da nicht hinauskann, weil ich mich deshalb auch nicht um das kümmern kann, was außerhalb des Käfigs abläuft.
Gerd: Eigentlich könnte der Käfig nicht nur Stäbe haben, sondern richtig zu sein, ringsrum Bretter, richtig dunkel und schwarz und warm. Wie ein Tunnel oder eine Höhle. Kinder spielen gern in kleinen, dunklen Höhlen, da kannst du rumtrubbeln und rumspielen.
Pit: Ich glaube, dass ich, bildlich gesprochen, das Kind, das unterm Tisch sitzt und spielt, mehr rauslassen kann, wenn jemand anderes die Kontrolle hat.
Gerd: … und dir sagt, dass du das jetzt genau so tun sollst …
Pit: Genau, und ich sozusagen meinem Überich eine Falle stelle. Weil der Top für mich das Überich ist, das mir genau das befiehlt, was mein Unbewusstes will. Es war eine meiner frühesten SM-Fantasien, die ich noch nicht als SM bezeichnet hätte: dass ich gekidnappt werde von einer Jungsbande, die mich sexuell traktiert. Die machen genau das mit mir, was ich zwar gerne machen würde, ich aber eigentlich nicht darf. Kann ich sagen: Ich bin nicht schuld.
Gerd: Im Prinzip kannst du sogar zur Mama gehen und sagen: Guck mal, was die Jungs mit mir gemacht haben. Und dann nimmt dich die Mama sogar dafür in Schutz, und es war trotzdem geil.
Pit, du sagst manchmal: „mein Masochismus“. Was bedeutet das?
Pit: Meine individuelle Form von Sexualität und Masochismus. So wie ich sagen würde: „mein Schwulsein“. Hat dich daran etwas irritiert?
Ja. Es ist, als ob du „deinen“ Masochismus hegen würdest …
Gerd: Das ist doch auch sehr individuell, diese Devotion und das Kindliche, das Pit hat. Das macht nicht jeder so.
Pit: Kann sein, dass ich da ein Bild von Kindlichem entwerfe. Das ist meine Kindheit, die ich mit mir herumtrage.
Masochismus hieße dann: mein Wille, mich quälen zu lassen?
Gerd: Das trifft’s doch nicht …!
Pit: Das trifft’s zum Teil aber doch. Diese Faszination an Macht und Gewalt, die Lust an der Hingabe, die hat was Kindliches. Kinder finden ihre Eltern ja immer toll und finden Autoritäten gut. Irgendwann kam natürlich die Phase, in der ich das sehr kritisch gesehen habe, aber es gibt in mir immer noch so eine Sehnsucht nach Hingabe an Autorität. Also das Faschistoide, wenn man will … Und dann auch eine bestimmte Faszination von Tod und Selbstauslöschung, eine Form von Selbsthass, die auch was Beunruhigendes haben kann … Es ist auch viel Selbstzerstörerisches dabei, und es ist gut, wenn man aufpasst, in wessen Hände man das gibt.
Was wäre denn der Selbsthass?
Gerd (sehr leise): Die fehlenden Muckis und das fehlende breite Kreuz …
Pit: Sicherlich ein Hass, dass ich mich nicht männlich genug fühle. Diese Sklavenrolle hat auch was Gehasstes. Wobei sich das ein bisschen geändert hat, früher war das viel stärker, dass ich mich darin gehasst habe … Womit ich aber noch keinen Frieden geschlossen habe, ist, dass ich immer noch gerne einen anderen, einen männlicheren, muskulöseren Körper hätte und gerne stärker wäre. Das geht mir natürlich nicht alleine so, es ist ein Teil des Selbsthasses in der homophoben Gesellschaft.
Geht es beim SM also um die Sehnsucht, der große Mann zu sein – und sei es qua Negation?
Pit: Es geht um einen Widerspruch, eine Hassliebe. Es ist der Hass auf diese tolle Männerrolle und die Liebe dazu. Und es ist der Hass auf den eigenen Körper, aber auch der Wunsch, den eigenen Körper zu lieben. Für so etwas ist SM ein adäquater Ausdruck, weil er Dinge widersprüchlich ausdrücken kann, weil er Geborgenheit in das Bild vom Käfig packt und weil der große, tolle Macker nicht nur bestätigt wird, sondern zugleich auch der Aggressor ist. Weil man sich Fetische aufbaut, aber auf der anderen Seite auch eine Heidenlust daran hat, Fetische zerplatzen zu lassen.
ANDREA ROEDIG, 42, ist Ressortleiterin Kultur bei der Wochenzeitung „Freitag“