: Erst Mathe, dann Tischlern
Das Projekt „Lern-Werk“ hilft Hauptschülern mit Praxisangeboten, den Einstieg in den Beruf zu meistern. Die Schule Hermannstal in Hamburgs armem Osten hat damit Erfolg. Jetzt soll sie schließen
Von Eva Weikert
Isabel sägt Holz. Die 15-Jährige steht an einer Werkbank in der Integrierten Haupt- und Realschule Hermannstal in Billstedt-Horn. Das ausgeschnittene Stück sieht wie ein Hase aus, später wird die Schülerin es rot anstreichen. „Das Tischlerhandwerk ist nicht wirklich was für mich“, sagt Isabel. Nach dem Hauptschulabschluss im nächsten Jahr will die Halbwaise, deren Mutter als Pausenaufsicht in der Schule arbeitet, darum eine Ausbildung zur Sozialtherapeutischen Assistentin anschließen: „Da bin ich durch Kliton drauf gekommen.“
Kliton Pleqi ist Sozialpädagoge und hilft den 270 Schülern der Ganztagsschule bei der Berufsplanung. Vor drei Jahren wurde Pleqis Stelle eingerichtet – mit Hilfe der Zeit-Stiftung, die damals die Lehrstätte im Hamburger Osten in ihr Förderprogramm „Lern-Werk“ aufnahm. Die Initiative unterstützt die auch bei Fachleuten als „Problemfall“ in Verruf geratene Schulform der Hauptschule mit Geld und Beratung, um deren Akzeptanz und Angebot zu verbessern und Absolventen somit den Einstieg ins Arbeitsleben zu erleichtern.
„Hauptschüler stehen am unteren Ende der Bildungsskala“, warnt der Hamburger Erziehungswissenschaftler Reiner Lehberger, der Lern-Werk mitentwickelt hat (siehe Kasten). Nur ein Bruchteil schaffe den Sprung in den Beruf. „Der Ruf, dass Hauptschüler letzte Wahl sind, hat sich in den Betrieben verfestigt“, beklagt auch Lehrerin Ingrid Hellmann. Darum könnten sie sich auf dem engen Lehrstellenmarkt kaum behaupten. Praxisangebote sind das wichtigste Instrument, mit dem die geförderten Schulen „Motivation und Selbstbewusstsein ihrer Schüler stärken wollen“, so Lehberger: „Wir müssen klar machen, dass der Beruf die Chance auf ein selbständiges Leben ist.“
Sarah arbeitet an diesem Nachmittag neben Isabel an der Werkbank. Maschinenbautechniker Guido Sachs zeigt der 14-Jährigen aus der 9a, wie sie die Feile richtig ansetzt. Nach einem dreiwöchigen Praktikum in einer Tischlerei weiß auch sie, „dass Tischlern nicht mein Ding ist“. Lieber will Sarah Hotelfachfrau werden, „weil ich gern mit Leuten zusammen bin“.
Ab Klasse Sechs gehört Berufsorientierung im Hermannstal zum Unterricht. Die Jüngsten befragt Pädagoge Pleqi über die Tätigkeit der Eltern und eigene Zukunftswünsche. „Die meisten haben erstmal Traumberufe im Kopf“, sagt Schulleiterin Silke Breuer. Zugleich hätten viele Schüler Eltern ohne Job, die auf Sozialhilfe angewiesen sind. Mut, sich Ausbildung und Arbeit zu suchen, sollen in den höheren Klassen Schnuppertage und dreiwöchige Praktika in Betrieben machen. Neben Coachings geben Bewerbungstrainings und die Fremdeinschätzung durch Klassenkameraden Sicherheit. Einen Nachmittag die Woche gibt es Praxiskurse in der Metall- und Holzwerkstatt mit Sachs, wo die Schüler Computertische, Bänke und Regale bauen. „Die Mädchen sagen grundsätzlich, ,Ich kann das nicht‘“, erzählt der Ausbilder, „ich beweise ihnen das Gegenteil.“
Wie lange noch, ist indes ungewiss. Die Schule steht auf der Streichliste von Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig (parteilos), deren Sparwut rund 50 Lehrstätten geopfert werden sollen. „Wir sind fassungslos über die Streichliste“, sagt Frauke Hamann, Sprecherin der Zeit-Stiftung. Schließlich hätten Dinges-Dierigs Vorgänger signalisiert, durch Übernahme das Modellprojekt verstetigen zu wollen.
Denn seit drei Jahren wächst in der Schule Hermannstal die Zahl der Absolventen stetig, die den Sprung ins duale System schaffen. Die Quote kletterte auf zuletzt 13 Prozent. „Früher“, so Schulleiterin Breuer, „waren wir froh, wenn wir auch nur einen von 40 Absolventen unterbringen konnten.“