piwik no script img

Archiv-Artikel

Grundschüler hinter Panzerglas

Die Rabin-Schule in Düsseldorf ist eine von zwei jüdischen Grundschulen in NRW. Bewacht, behütet und gesichert, versucht sich die Schule an Normalität

„Den Holocaust darf man nicht vergessen. Aber: Es ist doch jetzt ein anderes Land geworden.“

Von Lutz Debus

Eine bessere Düsseldorfer Wohngegend, fünfstöckige Häuser aus der Gründerzeit und den Fünfziger Jahren, eine Toreinfahrt. Eingeschlossen von Wohnhäusern und einem zwei Meter hohen Metallgitterzaun erreiche ich den Schulhof. Ein Wachmann steht am Zauntor. Ich zeige ihm meinen Ausweis. Er schaut in meine Aktentasche. Ich darf passieren. Gehe an dem Streifenwagen vorbei ins Schulgebäude.

Heidelinde Foster, Schulleiterin der Yitzhak-Rabin-Schule begrüßt mich: „Trinken Sie Ihren Kaffee mit Milch, mit Zucker?“ Nein, sie fühle sich nicht bedroht. Auch ihre SchülerInnen hätten keinen direkten Antisemitismus erlebt. Trotzdem verbieten Eltern ihren Kindern, anderen zu erzählen, auf welche Schule sie gehen. Trotzdem kann ich nicht alle Schülerinnen und Schüler, denen ich begegne, fotografieren, mit ihnen ein Interview führen und dabei ihren Namen erwähnen. Zu groß ist die Sorge vor Gewalt, von außen.

Die Angst hat Ursachen: Vor kurzem verübten Unbekannte in Frankreich einen Brandanschlag auf eine jüdische Schule. An der Synagoge von Düsseldorf brannten Molotow-Cocktails, vor zwei Wochen war die jüdische Gemeinde Istanbuls Opfer von Anschlägen. 60 Jahre nach dem Holocaust hat keine andere Schule in Düsseldorf Panzerglas in den Fenstern. Sechs jüdische Schulen gibt es in Deutschland; in Hamburg, München, Berlin, Frankfurt, Köln und eben in Düsseldorf. Es sind anerkannte Ersatzschulen, ihre Zeugnisse sind bundesweit gültig.

Die Jüdische Gemeinde in Düsseldorf hat 7.300 Mitglieder, Tendenz steigend. Im kommenden Schuljahr wird die Yitzhak-Rabin-Schule zum ersten Mal zwei erste Klassen haben. Dann werden 120 und nicht wie jetzt 95 Schülerinnen und Schüler unterrichtet. Viele Juden kommen aus dem ehemaligen Ostblock, besonders aus den GUS-Ländern sind sie ins Rheinland gezogen. Kinder aus Familien, die schon lange, also schon vor 1933 hier wohnten, sind eine kleine Minderheit. Neun Schulkinder sind nicht jüdischen Glaubens.

Die Schülerinnen und Schüler kommen aus fast allen Ländern dieser Welt, sagt Heidelinde Foster, Integration sei in ihrer Schule kein Problem: „Wir sind doch hier alle Ausländer.“ Die Kinder lernen deutsch, hebräisch und oft auch noch russisch. Der gemeinsame Glaube verbindet sie. Am Ende der Woche feiert die ganze Schule den beginnenden Sabbat. Auch die großen jüdischen Feste werden gemeinsam mit Schülern, Lehrern und Eltern, gefeiert.

Avi Spievak ist stolz auf seine Arbeit. Er ist Geschäftsführer bei RKW Architektur+Städtebau und auch der Architekt des neuen Trakts der Schule. Direkt an das alte Schulgebäude aus der Gründerzeit baute er einen freundlichen, leuchtend roten Erweiterungsbau. Die Architektur ist wie ein Zusammenstoß, sie thematisiert den Bruch, die Zäsur im jüdischen Leben Düsseldorfs. Die Verfolgung der Juden in der NS-Zeit ist auch ein Thema im Sachkunde-, Religions- und Deutschunterricht. Die Kinder der vierten Klasse stellten eine Mappe zusammen, die sich mit dem jüdischen Leben in Düsseldorf vor 1933 beschäftigt. Das Karsch-Haus, eine der feinsten Einkaufsmeilen der Stadt, hatte einen jüdischen Besitzer. Vor der Shoah gab es ein buntes, facettenreiches jüdisches Leben in der Stadt.

Avi Spievaks Tochter besuchte im letzten Schuljahr die 4. Klasse. „Ein typischer jüdischer Vater? Das bin ich sicherlich nicht!“, sagt er und lächelt. Mit seiner Frau zog er 1985 von Israel nach Deutschland, er wollte sein Studium abschließen. Aus zwei Jahren wurden fünf, aus fünf zehn, aus zehn mittlerweile achtzehn. Seine beiden Söhne und seine Tochter sind hier geboren, haben einen israelischen und einen deutschen Pass. Die Familie pendelt mehrmals im Jahr zwischen Israel und Deutschland.

Düsseldorf sei seine Heimatstadt geworden. Ob er Probleme habe, in diesem Land mit dieser Vergangenheit zu leben? „Wenn ich über die Straße gehe, schaue ich nicht in die Gesichter der älteren Menschen und überlege mir, wer was vielleicht getan oder gelassen hat. Den Holocaust darf man nicht vergessen. Aber es ist doch jetzt ein anderes Land geworden.“

Dann erzählt Avi Spievak von seinen Eltern. Sie wurden in Polen geboren, überlebten den Krieg in der Sowjetunion. 1957 zogen sie von Polen nach Israel. Als sie ihren Sohn in Deutschland besuchten, waren sie von der Toleranz der Menschen hier überrascht. In Rostock-Lichtenhagen war gerade der Brandanschlag verübt worden. Alle drei Generationen der Familie Spievak nahmen in Düsseldorf an einer Demonstration teil, sie bildeten mit tausenden anderen eine Lichterkette. „Wir haben hier viele Freunde aus vielen Ländern, auch Deutsche, nicht nur Juden.“

Was er von Martin Hohmann und der Debatte um Tätervölker halte: „Menschen sind doch nicht besser oder schlechter, weil sie einem bestimmten Volk angehören: Palästinenser oder Israelis, Deutsche oder Holländer, Düsseldorfer oder Kölner.“ Beim letzten Begriffspaar muß Spievak ein wenig schmunzeln.

Seine eigene, jüdische Identität ist ihm erst in Deutschland wichtig geworden, in Israel war das anders. Hier in der Diaspora bedeutet ihm der jüdische Glauben, dessen Regeln und Traditionen mehr als früher. “Es ist wichtig, sich zu Hause zu fühlen.“

Die Yitzhak-Rabin-Schule ist ein Zuhause umgeben von Mauern und einem Zaun. Doch müht sich die Schule um Kontakt nach außen. Es gibt eine Partnerschule in Düsseldorf, eine jüdische Partnerschule in Berlin und eine Partnerschule in Jerusalem. Die beiden Düsseldorfer Schulen besuchen sich regelmäßig. Zu der Schule in Jerusalem besteht ein reger Briefaustausch. Wegen der unsicheren Lage gab es noch keine Klassenfahrt nach Israel. Der blutige Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis, auch das wird im Sachkundeunterricht behandelt. Die Kinder aus Israel berichteten in ihren Briefen, wie ihre Angehörigen bei Bombenanschlägen umkamen.

Versteckt und bewacht bleibt die Schule fremd, sie ist noch nicht richtig angekommen in Düsseldorf. Trotz Integrationsbemühungen, den Partnerklassen, der freundlichen Öffentlichkeitsarbeit. Eher kommt der Bundespräsident oder der Westdeutsche Rundfunk zu Besuch als ein Derendorfer Spaziergänger, der sich eine schöne, ungewöhnliche Grundschule ansehen möchte.

Es würde sich lohnen: Das Gebäude, die Ausstattung und ihre Ausstrahlung. Die ausgeklügelte Architektur, die sich an der Folge der Jahreszeiten orientierende Farbgestaltung der Gebäudetrakte erinnert an eine Montessori- oder Waldorffschule – durch Panzerglas sehen die SchülerInnen den Schulhof, Mauern, den Zaun, den Wachmann.

Die Yitzhak-Rabin-Schule ist nicht die erste jüdische Schule in Düsseldorf. Die Jüdische Volksschule Düsseldorf wurde per Erlass im Frühjahr 1942 aufgelöst. Die Schüler waren 1941 deportiert worden. Beim Inkrafttreten des Erlasses lebten sie nicht mehr.