Theoretische Gefahr durch feuchte Kissen

Justizposse: Hersteller von Dinkelstreu für Kissenfüllungen steht vor Gericht, weil ein Exempel statuiert werden soll

GIENGEN taz ■ Wissenschaftlich erwiesen ist es nicht, aber zahllose Käufer schwören, Dinkelspreu (Spelz) habe auf ihren Organismus heilende Wirkung. Dinkel, so steht in Werbeprospekten zu lesen, bestehe zu etwa 90 Prozent aus Kieselsäure, wodurch Verspannungen, Schlafstörungen, Migräne und manches Leiden mehr gelindert werden könne. Ein entsprechend befülltes Kissen unterm Kopf oder auf dem Bauch verbessere das Befinden.

Die Firma Zirn lebt gut von dem Geschäft, hat sich zum größten deutschen Dinkelspreu-Veredler gemausert. 500 bis 600 Tonnen des Pflanzenmaterials werden jährlich in der Stadt an der Brenz fertig gemacht, das reicht für rund 600.000 Kissen. Auch der Kaffeeröster Tchibo zählt zu Zirns Kunden.

Der Berliner Betrieb für zentrale gesundheitliche Aufgaben, kurz BBGes, hat sich nun angeschickt, dieses Geschäft zu verderben. Die Kontrollbehörde in Diensten des Landes Berlin hat stichprobenartig zwei Dinkelspelzkissen getestet – und darin Schimmelpilze gefunden. Genauer gesagt: 1.000 koloniebildende Einheiten pro Gramm Staub. Die Spur führte nach Giengen (Kreis Heidenheim). Im Zuge der Amtshilfe schickte der baden-württembergische Wirtschaftskontrolldienst Geschäftsführer Michael Zirn prompt einen Strafbefehl ins Haus. Der weigerte sich zu zahlen. Da kam es zu einem Prozess vor dem Amtsgericht in Heidenheim. Ein Urteil steht bisher aus.

Schimmelpilze, schimpft Geschäftsführer Zirn, seien in jedem Hausstäubchen vorhanden. Seine Firma reinige den Dinkelspelz vor der Kissenbefüllung mehrfach, danach werde die Spreu rund eine Stunde lang bei 60 bis 70 Grad Celsius erhitzt, um Erreger abzutöten. Mehr sei nicht machbar. Noch nie sei jemand wegen eines Dinkelkissens erkrankt.

In diesem Punkt gibt der Lebensmitteltechniker Jürgen Jung von der BBGes Zirn Recht. „Fälle von Erkrankten gibt es nicht.“ Außerdem sei anzunehmen, dass „alle diese Kissen entsprechend belastet sind“, also nicht nur die der Firma Zirn. „Auch wenn Sie Getreide für Ernährungszwecke kaufen, sind da Schimmelpilze drin“, sagt Jung.

Warum dann der Strafbefehl? „Das ist ein theoretischer Ansatz“, erläutert der Lebensmitteltechniker. Trocken stellten die Dinkelspelzkissen kein Problem dar, doch der nächtliche Schläfer sondere Feuchtigkeit ab, und so könne ein Klima entstehen, unter dem sich der Schimmelpilz gefährlich vermehren könnte. Sei ein kritisches Maß erreicht, könnten Mykotoxine zum Beispiel Krebs auslösen. Ganz zu schweigen von Allergikern, die – theoretisch – Schäden davontragen könnten.

Die Behörde räumt ein, dass es sich um den ersten Versuch einer Klärung zum Thema Dinkelkissen handelt. Dass dem Unternehmer Zirn Ärger und Kosten entstehen, ist für die Berliner kein Grund zum Innehalten. Man sieht sich im Geiste des Umweltbundesamtes. Die BBGes hat dort die Erarbeitung eines Gesundheitsgutachtens zum Dinkelkissen angeregt, einen „Schimmelpilzratgeber“ gebe es ja schon. RÜDIGER BLÄSSLER