: Aus dem Werk gemogelt
Opel streicht weiter 10.000 Stellen. Unabhängige Betriebsräte sprechen von „betriebsbedingten Kündigungen“. Die Belegschaft ist noch nicht gefragt
AUS RÜSSELSHEIM KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT
Eugen Kahl ist sauer. Er spricht sogar von „Verrat“ und meint damit seine Kollegen von der IG Metall und den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Klaus Franz. Kahl ist unabhängiges Betriebsratsmitglied bei der Adam Opel AG in Rüsselsheim, und er findet, alle Dämme, die noch vor den Verhandlungen mit dem Opel-Vorstand hierzulande um den geforderten Abbau von gut 10.000 Stellen allein bei Opel in Deutschland aufgebaut worden seien, seien nun „eingebrochen“. So seine Worte in einer Erklärung der Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger (AUB).
Nicht nur dass sich die Unternehmensführung beim anvisierten Stellenabbau offenbar in vollem Umfang durchsetzen konnte, empört den „Rebellen von Rüsselsheim“, wie der oft quer zur Linie der IG Metall liegende streitbare Arbeitnehmervertreter von seinen Wählerinnen und Wählern im Werk gerne genannt wird. Europaweit will General Motors 500 Millionen Euro einsparen und 12.000 Stellen abbauen, seit Oktober wird darüber verhandelt. Kahl ärgert sich auch darüber, dass der Betriebsrat in Rüsselsheim schon am Mittwoch vergangener Woche von Franz über eine Teileinigung bei den aktuellen Verhandlungen informiert und gleichzeitig zur Verschwiegenheit verpflichtet worden sei.
Die Belegschaft werde dagegen erst am Donnerstag am Stammwerk in Rüsselsheim davon in Kenntnis gesetzt, dass tatsächlich – wie von der Mutter General Motors (GM) in Detroit gefordert – rund 10.000 Arbeitsplätze gestrichen und die Arbeitnehmer in allen drei westdeutschen Werken von Opel aufgefordert würden, gegen die Zahlung von Abfindungen „freiwillig“ Auflösungsverträge zu unterschreiben. Dafür dürften sie sich dann im Gegenzug in so genannten Beschäftigungs- oder Personalauffanggesellschaften zwei Jahre lang weiterqualifizieren und versuchen, so schnell wie möglich einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Allein der Zeitplan sei schon „Verrat“ an den Arbeitnehmerinteressen, so Kahl. Die Fraktion der AUB bei Opel in Rüsselsheim hat die „Funktionäre“ der IG Metall deshalb aufgefordert, die Beschäftigten noch vor der Entscheidung in Detroit am Dienstag „in vollem Umfang über die Verhandlungsergebnisse zu informieren und Abwehrstrategien zu entwickeln“. In Bochum habe die Belegschaft schließlich schon einmal ihre Macht demonstriert. Die Arbeiter seien aber von Franz und anderen „mit dünnen Begründungen wie der von der Friedenspflicht bei laufenden Verhandlungen“ zurückgepfiffen worden.
Für Kahl und seine Leute sind die Beschäftigungsgesellschaften Mogelpackungen, die faktisch betriebsbedingten Kündigungen gleichkämen. Und die Abfindungen würden den Betroffenen nach dem Auslaufen der entsprechenden Verträge dann möglicherweise noch auf das Arbeitslosengeld angerechnet. „Ein Begräbnis zweiter Klasse kurz vor Weihnachten“, so Kahl.
Tatsächlich sollen die Arbeitnehmer bei Opel, die das Abfindungsangebot annehmen und für maximal zwei Jahre in eine noch zu gründende externe Beschäftigungsgesellschaft wechseln, rund 95 Prozent der bisherigen Lohnsumme behalten dürfen – ohne Zulagen. Rund 60 Prozent davon zahlt die Bundesagentur für Arbeit im Rahmen der Vereinbarungen für Kurzarbeiter respektive der Steuerzahler. Das gilt allerdings nur für Beschäftigungsgesellschaften, die bis zum 20. Januar 2005 gegründet werden. Danach werden solche Personalauffanggesellschaften privatwirtschaftlich strukturierter Unternehmen nur noch ein Jahr lang bezuschusst.
Nach Informationen der taz sollen rund 7.500 Arbeiter und Angestellte von Opel in Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften wechseln und die restlichen 2.500 Stellen „sozialverträglich“ über Frühpensionierungen abgebaut werden, sodass es – wie Franz erklärte – nicht zu betriebsbedingten Kündigungen kommen werde. Eine Option ist auch noch die Auslagerung ganzer Betriebsteile etwa in Bochum oder in Kaiserslautern. Verhandlungen über eine Übernahme des Motorenwerks in Kaiserslautern durch Krupp (Essen) sind allerdings gescheitert.
Ob es im Gegenzug Standortsicherungsverträge für Rüsselsheim, Bochum und Kaiserslautern geben wird, die Frage ist noch offen. So wie auch die Entscheidung über den künftigen Produktionsstandort für die Mittelklassefahrzeuge von GM in Europa – Saab 9.3 und Opel Vectra – noch nicht gefallen ist. Trollhättan in Schweden steht hier alternativ gegen Rüsselsheim. In diesem Zusammenhang wird über den Verzicht auf alle übertariflichen Leistungen bei Opel diskutiert, wohl noch bis in den Januar hinein.
Morgen muss GM dem Teilergebnis der Verhandlungen bei Opel zustimmen, damit die Beschäftigungsgesellschaften noch fristgerecht gegründet werden können. Knapp 1 Milliarde Euro soll die Umstrukturierung den US-Konzern kosten. Viel Geld für den weltweit größten Automobilbauer, der auch in den Staaten in die Verlustzone gefahren ist. Rund 5.000 Beschäftigte von GM in den USA sind bereits in befristetem Zwangsurlaub. Im Sommer 2005 sollen im Werk Linden im Bundesstaat New Jersey 1.000 Arbeitnehmer entlassen werden, weil die Absatzzahlen für die dort gefertigten Modelle Chevrolet Blazer und GMG Jimmy erodieren. Und überall in den Staaten drosselt GM die Produktion um rund 7 Prozentpunkte im Vergleich mit dem Vorjahr.