: Ein Säufer auf Tour
Graubärtig. Graumähnig. Noch ist Harry Rowohlt mit seiner Lesung unterwegs in Nordrhein-Westfalen, noch
Eigentlich ist Harry Rowohlt ja Übersetzer, Vorleser und Zeit-Kolumnist. Nebenbei aber arbeitet der Hanseat bekanntlich als Penner in der „Lindenstraße“. Fast jeden Sonntag trottet er durch die Gaga-Serie über Pappmaschee-Kulissen stracks zu Vasily, dem netten Nachbargriechen. In der Kneipe presst Rowohlt dann seinen massigen Leib gegen den Tresen, erlaubt sich ein, zwei Bierchen, brummt Weisheiten und zupft an seinem Bart, dessen südliche Ausläufer gegen seine breite Brust titschen. Auf die Frage, was der Penner Harry mit dem echten Harry gemein habe, hat Rowohlt mal geantwortet: „Beide sind Säufer, aber keine Alkoholiker!`“
Dass dem so ist, wird Rowohlt am Samstag in der Wittener Werkstadt beweisen. Und dabei vermutlich aussehen wie immer: graubärtig, graumähnig wie Karl Marx oder eben jetzt der Erdlochdiktator Saddam Hussein.
Mit dem Unterschied, dass sich Rowohlt bei seinen Lesungen beachtliche Mengen irischen Whiskey einflößt: Wenn er bei einer Lesung nicht saufe, weiß Rowohlt, fühle sich sein Publikum quasi verarscht. Meistens harrt er trotz immensen Blutalkoholsmehrere Stunden aus, liest Texte von Flann O‘Brien, liest aus „Pu, der Bär“ oder einem anderen der über hundert Werke, die er bereits ins Deutsche übertragen hat.
Dazwischen teilt er mit seiner dunklen Stimme Anekdoten und Bosheiten aus. Der Meister des Satzbaus hasst nämlich nichts mehr als Lesungen, bei denen irgendeine Doppelnamen-Tusse vierzig Minuten lang Gedichte vorliest, die sich nicht reimen, dazu stilles Wasser trinkt und anschließend mit dem Publikum diskutiert. Dann doch lieber vier Stunden keine Gedichte lesen, dafür prächtige Prosa, dazu stillen Whiskey trinken und nicht diskutieren.
Nehmen Sie sich am Samstag also nach der Lesung nichts mehr vor – es wird spät, sehr spät.
BORIS R. ROSENKRANZ
Fr., Saal der Sparkasse Bocholt, 20 Uhr Sa., Werkstatt Witten, 20 Uhr, So., Theaterpädagogisches Zentrum, Lingen, 20 Uhr, Mo., Roland Frosch Variety, Münster, 20 Uhr