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Archiv-Artikel

„Mit Islamisten muss man umgehen wie mit Rechtsradikalen“, sagt Marieluise Beck

Zum Dialog mit dem Islam gibt es keine Alternative. Nur Experten können bestimmen, wer dazu taugt – und wer nicht

taz: Frau Beck, plötzlich ist der Antisemitismus der muslimischen Einwanderer und ihrer Kinder ein Thema. Handelt es sich dabei wirklich um ein neues Phänomen?

Marieluise Beck: Es gibt kein Fieberthermometer für Antisemitismus bestimmter Gruppen, Antisemitismus ist nicht in Zahlen messbar. Aber wir können unter Berufung auf Lehrer und Experten aller Art sagen, dass der Antisemitismus der arabischen, palästinensischen und türkischen Milieus gewachsen ist. Sie haben den Nahostkonflikt hierher importiert. Dadurch haben sie den bestehenden Konflikten der Gesellschaft – Antisemitismus von rechts, Ausländerfeindlichkeit von rechts – eine weitere Konfliktlinie hinzugefügt. In einer Einwanderergesellschaft gehören Pluralität und Konflikte zur Normalität. Aber dass wir eine Einwanderergesellschaft sind, wollte ja bislang niemand anerkennen.

Und was machen wir jetzt mit den muslimischen Antisemiten in Deutschland?

Wir sollten mit ihnen umgehen wie mit den Rechtsradikalen. Es gibt einen Kern von Gruppen, mit denen sich Polizei und Verfassungsschutz befassen müssen. Die Milieus ringsum aber, die müssen wir in einen zivilen, demokratischen Dialog einbeziehen und sie dadurch abtrennen vom harten Kern. Das ist vor allem Aufgabe in den Kommunen.

Sie finden, beim Kampf gegen rechts funktioniert das?

Der Weg ist alternativlos. Und in manchem Örtchen in der Uckermark soll es gelungen sein, dass Punks den Marktplatz wieder unbeschadet überqueren konnten.

Für eine solche Einbeziehung brauchen die Behörden aber Ansprechpartner. Woher wissen Sie, mit wem Sie reden können? Bayerns Innenminister Günter Beckstein wusste es offenbar nicht, als er Ende November mit den Grauen Wölfen einen Repräsentationstermin wahrnahm.

Das ist genau das Problem. Erst einmal muss man natürlich unterscheiden etwa zwischen Repräsentationsterminen, dem kritischen Dialog und einer finanziellen Förderung. Beckstein hat da einen großen Fehler gemacht. Aber es hilft nichts, nur nach dem Motto „Haltet den Dieb!“ sich gegenseitig vorzuwerfen, wer sich mit wem wann auf welchem Podium gezeigt hat. Auch wir mussten kürzlich die finanzielle Förderung der Muslimischen Jugend in jährlich fünfstelliger Höhe einstellen, weil die in ihren Veröffentlichungen politische Unappetitlichkeiten verbreitete, obwohl sie in ihren Projekten immer ganz grundgesetztreu agierte.

Das Problem der hidden agenda oder der doppelten Öffentlichkeit: Die islamischen Gruppen passen sich nach außen hin der Mehrheitsgesellschaft an, betreiben aber gleichzeitig Missionierung und undemokratische Identitätspolitik.

Nach vorne bieten manche Gruppen eine saubere Schablone, nach hinten werden Verbindungen zu Organisationen aufgenommen, die weit außerhalb des Verfassungsbogens stehen. Gemeinsam arbeiten solche Gruppen an Unterwanderungsstrategien und bilden grundgesetzferne Parallelgesellschaften aus.

Reicht es, in diesem Zusammenhang mit der Verfassung zu argumentieren? Kann der Buchstabe des Grundgesetzes der einzige Maßstab sein, politische Aktivitäten zu bewerten?

Nein, das reicht nicht, das stimmt. Sehen Sie sich die Absurditäten der Kopftuchdebatte etwa in Berlin an: Der Senat macht jetzt ein Riesenbuhei um das Kopftuch in der Schule, weil es undemokratisch sei. Aber gleichzeitig muss er der dubiosen Islamischen Föderation den Islamunterrricht in die Hände geben, weil er selbst keinen auf die Beine stellt. Das ist peinlich. Solche Widersprüche haben damit zu tun, dass Politiker in der Einwanderungsfrage erst spät auf kulturellen Wandel reagieren. Dass das Instrumentarium des Verfassungsschutzes nicht reicht, sieht man schon daran, dass auch die PDS beobachtet wird: eine Regierungspartei. Allerdings ist die Beobachtung noch kein Urteil und kein Ausschluss.

Aber eine Vorverurteilung.

Wir haben keine Wahl: Wir müssen unter Zuhilfenahme von Experten, auch des Verfassungsschutzes, Einschätzungen finden, die wir dann öffentlich vertreten. Wir müssen einen Kodex entwickeln, mit wem wir reden. Wir betreten da glitschiges Terrain, aber es geht nicht anders. Wir müssen zu einem Dialog finden – in meinem Bremer Wohnzimmer etwa trifft sich regelmäßig eine palästinensisch-jüdisch-christliche Gruppe …

Na, das scheinen ja nicht viele Dialogpartner zu sein.

Jedes Milieu hat Kerne, Menschen, die sich für ihr Milieu artikulieren. Diese Menschen müssen wir finden.

INTERVIEW: ULRIKE WINKELMANN