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Archiv-Artikel

Die offenen Adern Alumbreras

AUS ANDALGALÁ GERHARD DILGER

Sonntagnachmittag in den nordwestargentinischen Anden: Auf dem Hauptplatz des Provinzstädtchens Andalgalá halten vier AktivistInnen der Gruppe „Juan Chelemín“ die Stellung vor einem Zelt, das rund um die Uhr besetzt ist. „3.000 Unterschriften haben wir in den letzten Wochen gesammelt“, erzählt Aída Arellana, die treibende Kraft des Protests. „Wir wollen, dass die Abgaben, die die Bergbaugesellschaft Alumbrera an die Provinzregierung zahlt, endlich bei uns ankommen“, sagt die resolute Mittvierzigerin. „Das Volk hält still. Wie früher die spanischen Eroberer kaufen sie es mit Glasperlen“, meint sie resigniert und weist auf eine Menschenansammlung am Rande des Platzes. Ein paar Dutzend Kinder drängen sich um drei Tische, die mit der blauweißen Fahne Argentiniens und einem großen Alumbrera-Logo geschmückt sind. Fünf Fahrräder werden heute verlost.

„Wir haben uns von der Firma hinters Licht führen lassen“, sagt auch der Gemeinderat Dito Salas. „Arbeitsplätze, Fortschritt, das Blaue vom Himmel haben sie uns versprochen.“ Vor sieben Jahren, als die Pipeline gebaut wurde, durch die jetzt Kupferkonzentrat von der Mine zu einer Verladestation gepumpt wird, habe sich Andalgalá in eine regelrechte Boomtown verwandelt: „Einzelhändler und Vermieter machten das Geschäft ihres Lebens, junge Mädchen wurden reihenweise schwanger, aber als die Mine ihren Betrieb aufnahm, war der Spuk vorbei.“ Heute leben die meisten der 18.000 Einwohner wieder von der Landwirtschaft.

Bis Ende der Achtzigerjahre war Argentiniens Bergbausektor weitgehend abgeschottet. Dann umwarben der ultraliberale Präsident Carlos Menem und sein Wirtschaftsminister Domingo Cavallo ausländische Investoren mit großzügigen Steueranreizen, niedrigen Produktionskosten und einer laxen Umweltgesetzgebung. In der Andenprovinz Catamarca schlug ein australisch-kanadisches Konsortium zu und sicherte sich die Konzession für die Ausbeutung der Alumbrera-Mine, die 50 Kilometer nordwestlich von Andalgalá liegt.

Als Partner der auf der Karibikinsel Antigua eingetragenen Firma Minera Alumbrera Limited (MAA) fungiert die staatliche Gesellschaft Ymad. Die Finanzierung besorgten neben der Weltbank Exportförderagenturen und Banken aus Australien, Kanada, Belgien und Deutschland (siehe Kasten). Im Juli 2003 übernahm der Schweizer Rohstoffkonzern Xstrata die australische MIM Holdings und damit die Federführung im Projekt.

Zeitbombe Sickerwasser

Alumbrera gehört zu den zehn größten Kupfer-Gold-Minen der Welt. Auf einer Höhe von 2.600 Metern, inmitten einer unwirtlichen Mondlandschaft, sind schon von weitem abgeschnittene Riesenkegel zu sehen – Schuttberge, die sechs Jahre lang im Tagebau aufgetürmt wurden. Mindestens bis 2007 soll die Förderung rund um die Uhr weitergehen. Sieben Tage lang wird in 12-Stunden-Schichten gearbeitet, die ebenfalls einwöchigen Ruhephasen verbringen die Angestellten bei ihrer Familie.

Hinter den hochmodernen Verarbeitungsanlagen, einer komfortablen Wohnsiedlung für die fest Angestellten und bescheidenen Baracken für die ArbeiterInnen der Dienstleistungsfirmen liegt ein riesiger Krater, 250 Meter tief und gut einen Kilometer breit. Durch Sprengungen sind unzählige 17 Meter hohe spiralförmige Terrassen entstanden. Die riesigen Bagger und Lastwagen wirken darin wie Spielzeug.

Drei Kilometer weiter liegt ein großer graublauer See. Die dort hineingeleiteten Produktionsabwässer sickern durch die Risse des vulkanischen Gesteins. Dass dieser See ausgerechnet auf einer Bergspalte und ohne eine Plastikmembran angelegt wurde, bezeichnet Héctor Nieva als „fatalen Konstruktionsfehler“. Vor wenigen Monaten hat der Ingenieur, der im Umweltsekretariat von Catamarca arbeitet, mit seiner Magisterarbeit die Befürchtungen von Umweltschützern bestätigt.

So wurde nach Beginn der Förderung eine deutliche Zunahme von Schwefelsäure im Flussbett des Vis Vis festgestellt. Mittlerweile sind die Werte wieder auf das ursprüngliche Niveau zurückgegangen, denn unterhalb des Deichs wird das Sickerwasser größtenteils aufgefangen und nach oben gepumpt. Eine „Zeitbombe“ sei das Projekt dennoch, findet Nieva: „Nach Schließung der Mine muss mindestens zehn Jahre lang weitergepumpt werden. Sonst ist das Süßwasserreservoir in Gefahr, von dem die Landwirtschaft südlich von Andalgalá abhängt.“

Ihr Wasser bezieht die Mine aus den Reserven der nahe gelegenen Gemeinde Santa María. Dort macht man sich Sorgen über die langfristigen Folgen für das Grundwasser – ohne Grund, wie die FunktionärInnen des Bergbausekretariats treuherzig versichern. Bereits 1997 hatte der Gouverneur von Catamarca dem Umweltsekretariat die Zuständigkeit für den Bergbau entzogen, um „den Investoren den Umgang mit der Verwaltung zu erleichern“. Erst zwei Jahre nach Förderbeginn erteilte das Bergbausekretariat die erste Umweltlizenz.

Kreative Buchführung

Offizielle Handelsstatistiken weisen Alumbrera als zwölftgrößten Devisenbringer des Landes aus, doch für die umliegenden Gemeinden fällt kaum etwas ab. Wie zu Kolonialzeiten wird die gesamte Produktion exportiert. Argentinien, sagt MAA-Vizepräsident Julián Rooney, bräuchte noch zwei Projekte von der Größe Alumbreras, bevor sich eine Weiterverarbeitung im Land lohne.

Und auch Arbeitsplätze für die Einheimischen sind kaum entstanden. „Dabei haben sie uns tausende Jobs versprochen“, empört sich Guillermo Valdez von der Basisgruppe „Die Stimme des Volkes“, die die Firma schon vor Jahren durch Straßenblockaden zu Zugeständnissen zwingen wollte. Die meisten der gut 1.200 Angestellten stammen aus der Nachbarprovinz Tucumán. Denn diese ist an der staatlichen Eigentümergesellschaft Ymad beteiligt.

Wie viele Einheimische ist Valdez überzeugt, dass weit mehr als die deklarierten Fördermengen und Metalle außer Landes geschafft werden. So gebe es keine funktionierenden Kontrollen, neben Kupfer und Gold würden Uran und andere wertvolle Rohstoffe gefördert, vermuten die Staatsanwälte, die zurzeit wegen der verschiedenen Umweltverstöße der Mine ermitteln. Zudem seien die 50 Millionen Dollar an Abgaben, die die Firma an die Provinzregierung gezahlt habe, in dunklen Kanälen versickert.

Die staatliche Partnerfirma Ymad arbeite mit „doppelter Buchführung“, sagt Ciro Aguirre, Andalgalás früherer Bürgermeister, der jetzt als peronistischer Oppositionsabgeordneter im Provinzparlament sitzt. Seit Jahren legt Ymad keine Bilanzen vor. In einer Machbarkeitsstudie aus dem Jahr 1994 war noch ein Gesamtgewinn von 2,4 Milliarden Dollar vorhergesagt worden, ab 2002 sollte die Mine schwarze Zahlen schreiben. Eine intene Ymad-Berechnung aus dem vorigen Jahr kommt jedoch zu dem Schluss, das Projekt werde mit einem Minus von 213 Millonen Dollar abschließen.

Catamarca, wo zwei von drei Einwohnern als arm gelten, werde für diese Schulden mit Ausbeutung weiterer Bodenschätze aufkommen müssen, sagt ein Ingenieur, der an der Explorationsphase beteiligt war. Ein „Riesenschwindel“ also, wie die Peronisten zu Wahlkampfzeiten getönt haben? Ja, meint Aguirre schulterzuckend: „Unser Traum hat sich als Fata Morgana entpuppt.“ Schuld sei allerdings die „inkompetente“ Provinzregierung, die seit 12 Jahren von der Radikalen Partei gestellt wird. Die wiederum ist gerade im Amt bestätigt worden – auch, weil die Peronisten als noch korrupter gelten.

Vernetzter Widerstand

In Andalgalá zieht der Widerwillen gegen die Bergbaumultis immer weitere Kreise. Neben der Studie des Ingenieurs Nieva trug dazu vor allem ein Besuch der Gemeinderäte in der Patagonien-Provinz Chubut bei. In der dortigen Kleinstadt Esquel zieht eine breite Bürgerbewegung erfolgreich gegen die Pläne des kanadischen Konzerns Meridian Gold zu Felde.

Auch die politische Großwetterlage ist günstig. Ebenso wie der neu gewählte Gouverneur von Chubut hat Präsident Néstor Kirchner versichert, das Megaprojekt in Esquel nicht gegen den Willen der Bevölkerung durchsetzen zu wollen. Das wiederum beflügelt die Minenkritiker, die sich auf Initiative von Patagoniern und Andalgalensern zu einem landesweiten Netzwerk zusammengeschlossen haben.

Im Fall Alumbrera allerdings sei „der Zug abgefahren“, befürchtet Gemeinderat Dito Salas, der jetzt regelmäßig eine Radiosendung zu Umweltthemen moderiert. Dass die laufenden Ermittlungen der Staatsanwälte die Firma in Bedrängnis bringen könnten, bezweifelt er.

Eng könnte es für das noch näher bei Andalgalá gelegene Großprojekt Agua Rica werden, das der kanadische Alumbrera-Teilhaber Northern Orion nach jahrelangen Explorationsarbeiten jetzt alleine vorantreiben will. „Wir wollen keine Geisterstadt werden“, warnt die Gruppe „Andalgalenses Autoconvocados“ in einem Manifest gegen Agua Rica: „Lasst uns die fatale Geschichte nicht wiederholen.“