: Taktiker am Dirigentenpult
Kaum hat der Musiker Daniel Barenboim mit dem Abgang aus Berlin gedroht, macht er schon wieder einen Rückzieher
Es geht um Geld, um viel Geld – und um große Leidenschaft. Die drei Hauptakteure sind in ein Wahnsystem verstrickt, das sie allesamt unvermeidlich in den Untergang führen wird. Die eine stirbt vor Schreck, die zweite stürzt sich in den Fluss, der dritte richtet sich selbst mit dem Messer. Dazu spielt die Berliner Staatskapelle Tschaikowskys Musik, wild lodernd, vorwärts drängend, dann plötzlich wieder ganz zurückgenommen. Am Pult steht Daniel Barenboim, und als er am Ende auf die Bühne humpelt, applaudiert das Publikum begeistert.
Doch just in jenen Tagen, in denen Barenboim mit „Pique Dame“ an seiner Staatsoper wieder mal Triumphe feiert, kocht auch das reale Operndrama in der Hauptstadt hoch. Zum 1. Januar sollen die drei Musiktheater der klammen Metropole unter dem Dach einer rettenden Stiftung verschmelzen – bei Wahrung der künstlerischen Freiheit, wie es heißt. Barenboim glaubt nicht daran und droht mit Rücktritt. Er fürchtet wohl eine versteckte Übernahme durch die Deutsche Oper, die dahindümpelnde Renommierbühne des alten Westberlin.
Denn sehr zum Ärger mancher Lokalgrößen hat Barenboim, den der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker gleich 1990 nach Berlin holte, sein Haus längst als die wahre Hauptstadt-Oper etabliert. Der Dirigent vergleicht sein 130-köpfiges Spitzenorchester gern mit einem antiken Möbelstück, dessen stets vorhandene Qualitäten er durch emsiges Polieren wieder zum Vorschein gebracht habe. Als Mittel dienten ihm dabei die zehn großen Opern Richard Wagners, die er in jährlicher Folge neu herausbrachte – um sie im Frühjahr 2002, wahrlich rekordverdächtig, alle am Stück zu dirigieren.
Mit Wagner verbindet sich aber nicht nur das künstlerische, sondern auch das politische Wirken des Kosmopoliten, der 1942 in Buenos Aires geboren wurde und später in Israel aufwuchs. Vor drei Jahren provozierte er bei einem Konzert in Tel Aviv einen Eklat, weil er als Zugabe ein Stück des deutschen Komponisten aufführte. Der Umgang mit Wagner, erklärte er damals, sei „symptomatisch für den Umgang mit nichtjüdischen Angelegenheiten überhaupt“ – und damit auch für den Umgang mit den Palästinensern. Barenboim wetterte gegen die Scharfmacher auf beiden Seiten, initiierte ein israelisch-arabisches Jugendorchester, trat im August gar in Ramallah auf. In Israel sorgt er damit für Unmut, aber international wird er für sein Engagement mit Auszeichnungen überhäuft.
Dieses Renommee hilft ihm auch auf Berlins Politbühne. Schon wegen seines prominenten Namens ist die Gefahr gering, dass ausgerechnet die Staatsoper dem Stiftungsplan zum Opfer fällt. Ob Barenboim das selbst bemerkt hat oder ob es ihm die Kulturpolitik eilig zugesichert hat – eines steht fest: Die Rücktrittsdrohung hat Barenboim schon wieder halb zurückgenommen, kaum dass sie ausgesprochen war.
RALPH BOLLMANN