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Archiv-Artikel

Licht auf dem Blech

Das Automobil als reine Form: Die Ausstellung „Volkswagenwerk 1953“ im Kunstmuseum Wolfsburg zeigt Aufnahmen des Fotografen Peter Keetman

Die Serie stellt keine Reportage zur Arbeitswelt dar, sondern Fotokunst

VON BRIGITTE WERNEBURG

Das Ornament der Masse, das Siegfried Kracauer in der Weimarer Republik kritisch sondiert hatte, war in den Parteitagsveranstaltungen des Nationalsozialismus zu ungeahnten Dimensionen gewachsen. Es war aber auch nach dem Krieg, in den Aufbaujahren der Bundesrepublik, nicht aus den Bildern zu vertreiben. Anders als im jüngst untergegangenen Regime oder in der Praxis des sozialistischen Deutschlands waren es jedoch nicht mehr die Körper, die in Film und Fotografie das Ornament lieferten, sondern die Dinge.

Das Motiv des standardisierten, seriell aufgereihten Produkts oder Teilprodukts prägt die moderne Industriefotografie der Nachkriegszeit. Insbesondere die Serie von rund 150 Aufnahmen, die der damals 36-jährige Fotograf Peter Keetman im April 1953 im Volkswagenwerk Wolfsburg schoss – unabhängig, in eigenem Auftrag, allerdings mit Genehmigung der Werksleitung.

Durch die Wahl des Ausschnitts, seinen Umgang mit dem vorhandenen Licht und den Bildaufbau zeigt Keetman die Kotflügel, Türen, Radkappen, Zylinder oder Getriebegehäuse als reine Form. Dass sie Teile einer Fließbandproduktion sind, ist kaum zu erkennen. Entsprechend sind auch Fabrikarbeiter in Keetmans Serie kaum vertreten. „Volkswagenwerk 1953“ will keinesfalls eine Reportage zur Arbeitswelt sein. Es geht um Fotokunst oder „fotoform“, wie sich eine kleine Gruppe von Fotografen um Otto Steinert nannte, die 1950 bei der Kölner Photokina für Aufsehen gesorgt hatte.

Keetman, der zu dieser Gruppe gehörte, fotografiert also Lichtspuren auf mattem Stahl oder hochglänzendem Blech. Ihn interessieren die Helldunkelkontraste der Linienstrukturen, die die gestapelten Bauteile zeigen, kurz: Masse und Struktur.

Diese Ästhetik knüpft durchaus nostalgisch an die Neue Sachlichkeit der Weimarer Repbulik an. Albert Renger-Patsch ist als der Pate der Keetman’schen Ästhetik kenntlich, die auch ein Stück jenes Wunsches nach Verdrängung der Alltags- und Lebenswelt repräsentiert, für die die 50er-Jahre berühmt und berüchtigt sind.

Vielleicht war den Bildern eben deshalb nicht der erhoffte Erfolg beschieden. Erst Mitte der 80er-Jahre wurden sie durch die Veröffentlichung einer Monografie wie eines Portfolios dem Vergessen entrissen. Und erst letztes Jahr wurden die 151 Aufnahmen von der Volkswagen-Bank erworben. Mit einiger Bewunderung erkennt man nun wieder die eigenständige formale Ausdruckkraft, mit der Keetman trotz der Problematik seines Ansatzes, in diesen Fotografien glänzt. – Und nur eine Dekade später überragte ja auch der VW-Bus als bevorzugtes Band- oder WG-Gefährt die Mainstream-Ikone Käfer bei weitem.

Bis 22. Februar, Katalog 42 €