piwik no script img

Archiv-Artikel

Egon Krenz als Jahresendflügelfigur

Bürgerrechtler kritisieren Aussetzung der Haft auf Bewährung für letzten Staatsratsvorsitzenden der DDR. Der will sich für eine gerechte Bewertung der DDR einsetzen und ein Buch schreiben. Gauck wünscht ihm „viele neue Einsichten“

BERLIN taz ■ Der letzte prominente Vertreter der DDR-Regierung, Egon Krenz, ist am Donnerstag überraschend vorzeitig aus der Haft entlassen worden. Das kommt einem Schlussstrich unter all die schwierigen Verfahren gleich, das Unrecht des DDR-Staats juristisch zu ahnden.

Frühere Bürgerrechtler der DDR haben die Nachricht zum Großteil kritisch aufgenommen. Ehrhart Neubert, stellvertretender Vorsitzender des Bürgerbüros zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, empfindet die Entscheidung zum jetzigen Zeitpunkt als „peinlich für die Justiz“. Er sagte der taz: „Da gibt es sentimentale Leute, die meinen, dass Krenz als seine eigene Jahresendflügelfigur unterm Weihnachtsbaum sitzen muss.“ Dieses Weihnachtsgeschenk hätte seiner Meinung nach nicht sein müssen, es zeige, wie die westdeutsche Justiz mit DDR-Straftaten umgehe. Opfer von DDR-Unrecht hätten viel größere Schwierigkeiten, ihre Rehabilitation juristisch durchzusetzen. „Aber das Staatsunrecht der DDR ist minimal juristisch aufgearbeitet worden.“

Ulrike Poppe, Referentin an der Evangelischen Akademie in Berlin, betonte: „Die vorzeitige Haftentlassung nimmt nichts von dem Schuldspruch gegen Egon Krenz zurück.“ Trotzdem akzeptiert sie die Entscheidung des Berliner Kammergerichts aus juristischer Sicht: „Ihm wird zuteil, was er seinen Untertanen vorenthalten hat: Rechtsstaatlichkeit.“

Der Ehrenvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Landesverband Sachsen-Anhalt, Hans-Jochen Tschiche, findet die Haftentlassung nach knapp vier Jahren „in Ordnung“. Tschiche steht auf dem Standpunkt, dass das Ende der DDR nicht juristisch, sondern nur politisch aufzuarbeiten sei. Positiv bewertet auch der Theologe Richard Schröder die Haftentlassung. „Das soll uns allen gefallen, dass Krenz Weihnachten zu Hause ist. Aber an unserer Meinung über ihn ändert das nichts.“ Wolfgang Templin ist da ganz anderer Meinung. In der Berliner Zeitung sagte Templin: „Es gibt nichts, was die vorzeitige Entlassung rechtfertigt.“

Egon Krenz hat es immer an Einsicht in die Verurteilung gefehlt. Der 66-jährige fühlte sich als Opfer einer „Siegerjustiz“. Der Antrag auf „Aussetzung der Haft zur Bewährung“ wurde von Krenz’ Anwalt Robert Unger zweimal gestellt und zweimal vom Landgericht „wegen besonderer Schwere der Schuld“ abschlägig beschieden. Erst die Beschwerde beim Berliner Kammergericht hat die vorzeitige Haftentlassung ermöglicht.

Als Krenz die Haftanstalt Plötzensee am Donnerstag verließ, sagte er, dass er sich für eine gerechte Bewertung der DDR einsetzen und seine Biografie schreiben wolle. Joachim Gauck, der ehemalige Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde, wünschte ihm „frohe Weihnachten und viele neue Einsichten über das alte Leben“. GESINE WULF