: Ewig unverbesserlich
Beklemmung und Satire am Deutschen Theater: Michael Thalheimer schraubt Hauptmanns „Einsame Menschen“ unbarmherzig auf der Bühne fest. Eher ein Kabarett führen „Die Vögel“ auf
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
„Pinocchio“, das familienfreundliche Stück zu Weihnachten, läuft schon seit Wochen, da bietet das Deutsche Theater noch zwei letzte Premieren in diesem Jahr an: „Einsame Menschen“ von Gerhard Hauptmann“ und „Die Vögel“ nach Aristophanes. Das eine Stück ist messerscharf und gar nicht menschenfreundlich gesinnt, das andere butterweich und wie ein Silvesterscherz mit Gags gespickt.
Was für eine Beklemmung. Wenn sich das Bühnenbild, ein Gitter aus Lichtwänden, das erste Mal dreht in Michael Thalheimers Inszenierung der „Einsamen Menschen“, möchte man eintauchen in diesen Schwindel, um endlich herausgeschleudert zu werden aus diesem glasklaren Käfig. Aber da ist nach 90 Minuten schon alles zu Ende. Unbarmherzig hat der Regisseur bis dahin die Charaktere festgefräst, mit jedem Auftritt ihre Konturen schärfer geschnitten: Sie sind einem nicht sympathisch, nicht die lächelnd das Elend ertragene Käthe, nicht die verkniffene Schwiegermutter und schon gar nicht Johannes, der Künstler, der alle Forderungen des „Pragmatismus“ als Kleingeisterei von sich abwehrt und in den Wehen seiner nie vollendeten Gedanken windet.
Leid tun sie einem, das ja und gleich dreifach: zum Ersten, weil Gerhart Hauptmann ihnen diesen entblößenden Text geschrieben hat, der so schnell jede Spur von Idealismus und Enthusiasmus von den Figuren herunterschält. Zum Zweiten, weil der Inszenator Thalheimer das so gnadenlos ins Bild setzt, ihr Festfahren in der eigenen Haltung, ihre Unfähigkeit in der Wahrnehmung anderer und vor allem, wie der Druck auf ihnen wächst: Er schickt die meisten ein paar Schritte nur auf die Bühne und lässt sie da stehen, ein Festrammen des inneren Aufruhrs auf der Stelle. Wie im Standbild eingefroren wirken sie. Nur Johannes, der Dichter und Selbstsucher, zappelt, wuselt und verwischt sein Bild zu ständiger Bewegungsunschärfe.
Drittens aber hat man Mitleid mit diesen Figuren, weil man ihre Probleme wieder erkennt. Kacke, denkt man, eigentlich müssten sich solche Verhaltensweisen zwischen Mann und Frau längst erledigt haben. Haben sie aber nicht.
Denn „Einsame Menschen“ ist ein Ehedrama, dessen Plot um die Frauenfrage kreist, ein Pflichtprogramm der dem Realismus verpflichteten Autoren. „Wollen sollst du“, das ist die Essenz der Forderungen, mit denen Johannes (Robert Gallinowski) seine Frau Käthe (Nina Hoss) fertig macht. Er fühlt sich von Selbstständigkeit und Bildung angezogen und wirft seiner Käthe ihren Mangel an geistiger Größe, Freiheit und Entscheidungsfreudigkeit vor. Im Stück beruht dies alles auf der Ungleichheit der Bildungschancen und der engen Definition der Geschlechterrollen, die von den Eltern noch eisern bewacht wird.
So steckte in dem Text wenigstens einmal die Utopie, mit der Änderung der Rollen dieser schizophrenen Ehefalle zu entkommen. Das Eklige aber ist – und das stellt die Inszenierung Thalheimers glänzend aus – dass dieses Spiel, dem Partner die Schuld zu geben für den Mangel an eigener Freiheit, noch immer stattfindet. Die Motive aber, warum das geschieht, haben sich verschoben; doch darüber erzählt die Inszenierung nichts.
Doch so genau Thalheimer und das großartige Ensemble jeden Satz ausleuchten, so präzise ihr Konzept von Anfang an keinen Zweifel an ihrer Haltung zu den Figuren lässt, am Ende bleibt man unzufrieden auf der Frage sitzen, warum dieses Stück? Vielleicht liegt der Schlüssel in der Werkbiografie des Regisseurs verborgen, seinem Durchqueren der deutschen Literaturgeschichte. Vielleicht sind seine Inszenierungen ein Test über die Brauchbarkeit der Dramen, und bei Lessing, Schnitzler und Büchner hat er dann eben mehr für die Gegenwart zu entdecken gewusst als bei Schiller und Hauptmann.
Die Mühe, die Gegenwart zu gewinnen mit vielen kleinen Anspielungen und sie doch im Anspruch der Allgemeingültigkeit ständig zu verpassen, prägte auch „Die Vögel“ nach Aristophanes. Sie werden in den Kammerspielen des Deutschen Theaters in der Regie von Christian Weise und Christian Tschirner und unter Mitwirkung von zwölf Studenten der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ aufgeführt, und in einer berlinspezifisch kalauernden Bearbeitung von Sören Voima.
„Die Vögel“ beginnt wie eine Kabarettnummer, wenn die beiden Athener Bürger Schlauberger und Schönhoff, müde der Stadt, der Zivilisation und der Steuergesetze, im Gebirge ankommen auf der Suche nach einem Platz, ihre hedonistischen Aussteigerträume zu leben. Es wird zum Märchen, wenn sie den Vögeln begegnen, und zum Evolutions-Comic, projiziert auf die Felswand im Hintergrund, wenn sie die Idee von der Gründung eines neuen Reiches zwischen Himmel und Erde, zwischen den Göttern und den Menschen, ausmalen. Von dort an verfolgt der Text das Experiment, wie der Mensch, wenn er denn die Chance hat, von vorne zu beginnen, sich die alten Fehler mit großer Begeisterung von neuem ausdenkt. Die Formen queren dabei einen Stilmix, von Komödie über Comedy bis in fernsehgerechte Formate der Parodie.
Das macht Spaß und hat Witz im Detail. Verloren aber geht in dieser Mischung, auf was die Kritik eigentlich zielt. Sie ist so allgemein ins Menschliche gerichtet, dass letztlich jede Politik und jede Gesellschaft gemeint sein kann, immer nach dem schulterzuckenden Motto „So sind die Menschen eben“. Unverbesserlich genusssüchtig.
Als Trost für diesen mageren Erkenntniswert wird gekalauert, was das Zeug hält. In den antiken Götterhimmel, dessen Boten im Vogelstaat gegen ihre Entmachtung Beschwerde führen, sind auch der Papst und Jesus eingezogen, unter die irdischen Pilger haben sich ein Buddhist, ein Teenie aus Kleinmachnow und eine Börsenmaklerin gemischt: Kurzum, der Hang zu Universalismus versucht, nichts auszulassen. So gleicht das Stück am Ende einer Zettelwand, auf die jeder pinnen durfte, was er schlimm findet auf dieser Welt oder was er gerne mal darstellen wollte.
„Einsame Menschen“ wieder am 27. Dezember, 3., 16., 17. + 19. Januar. „Die Vögel“ wieder am 26. + 30. Dezember, 4., 17. + 18. Januar. Im Deutschen Theater, Schumannstr. 13 a.