: Ein Pferd wird kommen
Prinzip Zukunft: Für Country aus dem Norden muss man nicht mehr Dave Dudley hören, und am Schluss ist es wieder Caroline, die die Herzen bricht
Aus Hamburg von Marc Peschke
Country, das ist die Musik der Weite, des weiten Landes, das Männer auf Pferden durchstreifen, hinter der Eisenbahn hergaloppieren. Richtung Westen. Und wenn es auch die Welt der Cowboys nicht mehr gibt, wird Country und Western doch immer noch gespielt. Und nicht nur in Amerika. Hamburger Countrybands wie Fink, Cow oder Acadian Post haben das Genre für sich entdeckt: Country als subversive Kraft im Popbetrieb, eher underground, eine Musik, die ehrlich ist und vor allem todtraurig, wie die Hamburger Musikerin Peta Devlin sagt: „Da werden Geschichten vom Leben erzählt, was einen zur Verzweiflung gebracht hat.“
Während Fink, Cow oder Acadian Post ihre Musik bei kleinen Labels wie L‘Age D‘Or, Trikont oder XXS Records veröffentlichen, haben die Großväter deutscher Countrymusik Truck Stop gerade ihre Erinnerungen zu einem Buch verdichtet. In „Truck Stop. Eine Country-Musik-Legende“ (Schwarzkopf & Schwarzkopf) ist die lange Geschichte von den Anfängen weg in der Blockhütte an der Großen Freiheit nachzulesen. 1976 entschied man sich, auf deutsch zu singen. „Ich möcht so gern Dave Dudley hör’n“ war der erste Hit, „Take it easy, altes Haus“ der nächste. Doch von Truck Stop will vermutlich niemand der jungen Protagonisten der Hamburger Szene etwas wissen, denn an den Cowboys von der Waterkant haftet der Duft der Superhitparade der Volksmusik. Schon klar: richtige Cowboys sollten da nicht mitmachen.
Cow, die Gruppe um Peta Devlin, hat mit ihrem Album „Feeding Time“ vermutlich das bislang schönste Hamburger Dokument des Genres geschaffen. Wehmütiger kann eine Fiddle nicht klingen und melancholischer keine Pedal-Steel-Guitar. Spätestens wenn die Band zum mehrstimmigen american jodeling ansetzt, wird klar, dass hier nicht Ironie an den Saiten zupft. Sie meinen es ernst mit ihren Country-Romanzen in Moll, mit ihren Eisenbahnsongs und ihren Liebesliedern, die auf wunderbare Weise zum Punkt kommen: „Caroline, you broke my heart.“
Und das Hamburger Country-Rodeo geht weiter, etwa mit dem Hörspiel „Spade Cooley. Tragödien und Lieder“ von Britta Höper und Ulrich Bassenge. Dieses erste deutsche Countryhörspiel über den Fall des Western-Swing-Stars Spade Cooley hat alles, was ein Countryhörspiel so braucht: Mord und Totschlag, Liebe und Untreue, Poker, Schnaps – und große Songs.
Was das Hörspiel so bedrückend macht, ist der authentische Hintergrund: Der 1910 in Pack Saddle Creek/Oklahoma geborene Musiker wurde 1945 mit „Shame On You“ zum Star, bekam seine eigene Fernsehshow und nannte sich fortan nur noch „The King Of Western Swing“. Doch Mitte der 50er ging es bergab. Western Swing mochte keiner mehr hören. Alkoholismus, Größenwahn und krankhafte Eifersucht beschleunigten die Katastrophe: 1961 ermordete Cooley seine Ehefrau Ella Mae vor den Augen von Tochter Melody. Angeblich mit den Worten: „You’re gonna watch me kill her.“
Ein deutsches Country-Hörspiel zwischen Authentizität und Persiflage: „Die Protagonisten singen deutsch, sprechen deutsch und denken vermutlich deutsch“, sagt Britta Höper. Die Musik stammt von Ulrich Bassenge, in der Hauptrolle spricht der Schauspieler (und Country-Fan) Peter Lohmeyer. Hört die Autorin Höper eigentlich selbst gerne Country? „Wenn die Gefühle rau und tief, die Geschichten bizarr und ernst gemeint sind, der Sound soulig und punkig ist, dann liebe ich Country. Wenn nicht: weg damit.“ Was sie an Countrymusik fasziniert? „Es ist die Art, Geschichten zur Musik zu erzählen. Und gute Geschichten handeln von gebrochenen Figuren, weil wir alle gebrochene Figuren sind.“
Noch so ein hanseatischer Cowboy ist der im Harburger Hafen auf einem Hausboot lebende Gunter Gabriel, der auf seinem Album „Gabriel singt Cash“ Songs des Meisters ziemlich gnadenlos eingedeutscht hat: „Die Tür ist zu, mein Handy aus, Du wirst wein’, wein’, wein’!“ Zum rüttelnden Country-Beat erzählt Gabriel die Geschichte von einer Frau, die einen Mann verlassen hat. Der Mann ist verletzt. Und wünscht ihr die Pest an den Hals. Doch die Romantizismen des Genres klingen in der deutschen Übersetzung oft hohl und verlogen: die Mythen des Unterwegsseins, die Geschichten vom Rande der Gesellschaft, die Legenden vom Leben auf der Straße, die Lieder über Drogen, Verbrechen, Liebe, Tod, Eifersucht, Wut und Rache.
Amerikanisch sind die Vorbilder, doch pragmatisch-unprätentiös die Idee, die beim Hanse-Country oft dahinter steckt: So wie bei Fink, die mit einer Akustik-Gitarre à la Dylan, mit Mariachi-Trompeten und einem treibenden Cajun-Rhythmus das Genre mal flugs redefinieren. Dazu etwas Polka, Walzer, Seefahrer-Romantik und eine heulende Gitarre, die wie die Coyoten hinter den Bergen klingt. Die Männer in den Geschichten von Fink sind stets auf der Suche nach Liebe. Dazu besteigen sie Pferde, reiten gemeinsam aus, trennen sich wieder, stehen frühmorgens am Hafen, blicken in den Nebel und warten auf den Dampfer, der „Zukunft“ heißt. Die Zukunft, das ist (typisch Country) meistens eine Frau, die früher da war – und irgendwann fortgegangen ist.
Doch die Hoffnung bleibt für immer: „Die Sonne funkelt in der Gischt und Blumen stehen auf dem Tisch. Vielleicht bringt Dich das nächste Schiff zurück.“