: Gaddafi streckt die Waffen
Mit dem Verzicht auf Massenvernichtungswaffen tut Libyen den entscheidenden Schritt aus der internationalen Isolierung
von REINER WANDLER
Nur eine Woche nach der Festnahme des irakischen Diktators Saddam Hussein kann sich George W. Bush damit schmücken, einen weiteren „Schurken“ in die Knie gezwungen zu haben. „Der libysche Führer Muammar Gaddafi hat bestätigt, dass er seine Programme für Massenvernichtungswaffen einstellen wird“, gab der US-Präsident am Freitagabend (Ortszeit) bekannt. Libyen wird alle bereits bestehenden Waffen sowie die Forschungsanlagen vernichten.
Als „eine weise Entscheidung“ lobte Gaddafi sein eigenes Vorgehen und schickte noch am Samstag seine Beamten nach Wien zur Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA). Sie sollen die konkreten Schritte zum Abbau der Waffenprogramme einleiten. IAEA-Direktor Mohammed al-Baradei traf bereits mit dem libyschen Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung zusammen.
Was für die Weltöffentlichkeit überraschend kam, wurde seit Monaten hinter den Kulissen vorbereitet. Schon vor und während des Irakkriegs suchte Gaddafi den Kontakt zum Westen. Die Einigung über die Massenvernichtungswaffen handelte der libysche Staatschef auf mehreren klandestinen Treffen mit einer Delegation des US-Geheimdienst CIA höchstpersönlich aus. In den letzten zwei Monaten dann besuchten amerikanische und britische Waffenexperten mindestens zehn Lager-, Forschungs- und Fabrikationsstätten. Gaddafi hielt die Verhandlungen wohl selbst vor einem Großteil seiner engsten Mitarbeiter geheim. „Die Treffen fanden meist spätabends statt“, zitiert die New York Times einen CIA-Mitarbeiter. „Aber er hatte seine Hausaufgaben immer gemacht und brachte immer viel Zeit mit.“
Nach Angaben der amerikanischen Presse schalteten sich in den letzten Wochen dann die US-Administration und die britische Regierung direkt ein. Sowohl der britische Premier Tony Blair als auch Bushs Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice telefonierten mehrmals mit ranghohen Vertretern Libyens.
Widersprüchliche Informationen gibt es darüber, wie weit Gaddafis Massenvernichtungswaffenprogramm gediehen war. In einem CIA-Bericht vom November hatte es noch geheißen, dass Libyen auch nach 20 Jahren Forschung auf dem Gebiet der ABC-Waffen kaum vorwärts gekommen sei. Jetzt erzählen die Experten, die das Land bereisten, Gaddafi sei wesentlich näher an der Bombe gewesen als bisher vermutet.
Am erfolgreichsten war Libyen wohl bei der Herstellung chemischer Kampfstoffe. Das nordafrikanische Land produzierte Senfgas und Nervengifte. Ob die Produktion nach der Schließung der Fabrik in Rabta 1990 weiterging, ist nicht klar. Bei biologischen Waffen ist Gaddafi wohl nie über das Forschungsstadium hinausgekommen. Wenig erfolgreich war auch der Versuch eine eigene Langstreckenrakete zu entwickeln.
Mit dem „freiwilligen“ Waffenverzicht macht Gaddafi einen entscheidenden Schritt aus der Isolierung. „Die Libyer wollen mit den USA kooperieren“, bestätigt ein Sprecher des Weißen Hauses. Die USA erhoffen sich auch Informationen über Al-Qaida-Strukturen. Ein schnelles Ende der US-Sanktionen ist dennoch nicht in Sicht. „Wir machen einen Schritt nach dem anderen“, heißt es.
Andere Länder sind weniger zurückhaltend. Nach einem Schuldeingeständnis und der Zusage von Entschädigungszahlungen an die Familien im Falle Lockerbie wurden die UN-Sanktionen aufgehoben (siehe Kasten). Russland tat das Gleiche. Und auch Frankreich verhandelt mit Tripolis derzeit über ein Ende der Sanktionen.
Libyen ist ein durchaus interessanter Geschäftspartner. Das Land verfügt über große Erdölvorkommen. Erst letzten Monat hat Oberst Gaddafi angekündigt ab Januar 360 staatliche Betriebe privatisieren zu wollen. Die Unternehmen sollen dann an einer eigens aufgebauten Börse gehandelt werden. Mit diesem Schritt soll die libysche Wirtschaft saniert werden. Zwar ist der Erdölsektor bisher von den Privatisierungen ausgenommen. Doch dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis auch sie folgen. Denn laut dem vom US-Geheimdienst herausgegebenen CIA-World-Factbook hat Libyen 4 Milliarden Euro Schulden.