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Archiv-Artikel

In der Casting-Falle

Vom Problem, ausgeliefert, verloren, geborgen und gefangen zu sein – und das alles freiwillig: Die Performancetruppe Gob Squad inszeniert René Polleschs Prater-Saga 3, samt Casting-Show

VON SIMONE KAEMPF

Auf den ersten Blick erinnert alles an die Fortsetzung einer René-Pollesch-Serie. Da ist die bunte Wohnlandschaft mit einem großen Sofa. Da läuft fröhliche Titelmusik; und wenn sie verstummt, macht es sich der erste Serienheld auf der Couchgarnitur bequem. Jetzt könnte es losgehen. Aber Sean Patten ist nicht der Businesskönig Bigman, wie man ihn aus René Polleschs „Prater-Saga“ schon kennt. Patten schaltet als Moderator zur Bildschirm-Live-Übertragung nach draußen auf die Kastanienallee, wo die Mitglieder von Gob Squad die Darsteller für Bigman, Supermummy und Twopence unter den Passanten erst noch suchen müssen.

Wer wird vorbeikommen? Wer die Rollen übernehmen? Bastian Trost ist der Performer, der die erste Casting-Runde leitet. Er trägt Pelz und ein Mikrofon, und auf der Leinwand im Prater sehen ihn die Zuschauer mit dem TV-typischen Namenszug eingeblendet – eine Atmosphäre zwischen „Wetten, dass …?“ und Kriegsberichterstattung. Ein Kompliment, eine Fangfrage, dazu suggerierter Reichtum, das sind die Köder, um die Passanten zu locken. Der Moment des Anbeißens wirkt wie ein Umkippen. Als ob etwas über die inneren Zweifel siegt und sich der närrischen Idee ergibt, 15 Minuten Kameraruhm zu ernten.

Der Zufall ist nur Attitüde in diesem Live-Theater-Film. Im Kern geht es um die Unmöglichkeit der Selbstkontrolle derjenigen, die aus unterschiedlichen Motiven mitspielen. Wobei der voyeuristische Spaß nicht in der Entgleisung und der Entwürdigung des schwächsten Mitglieds liegen soll. Gob Squad sind eine nette Gruppe. Bei ihnen müssen die Masken nicht fallen und das Selbstbewusstsein nicht kippen, damit es weh tut.

Wer angebissen hat, für den gibt es dennoch kein Entrinnen. Durch den Hintereingang geht es zur Finanzabteilung, wo die Gage auszuhandeln ist. Eine harte Bewährungsprobe, denn gegen Elyce Semenec, verkleidet als Boxstallbetreiberin, ist jede argumentative Vernunft zwecklos. Das Spiel läuft, und jedes Aussteigen wäre jetzt eine blamable Selbstentblößung.

Um das Aufdecken solcher Kommunikationsfallen geht es den deutsch-britischen Performern auch beim Text „In diesem Kiez ist der Teufel eine Goldmine“. René Pollesch lässt in dieser Spielzeit erstmals Texte von anderen Regisseuren umsetzen. Nach der superschnellen Absetzung von Jan Ritsemas Prater-Saga 2 kann der Hausherr jetzt hochzufrieden sein: Ohne jedes Pathos sprechen die Laien den Text nach, den sie von kabellosen Kopfhörern souffliert bekommen. Inhaltlich erwähnenswert ist nur die Pointe, dass sich Twopence statt in Bigman in sein Sofa, „diese urbane Ikone“, verliebt.

Aber es geht eh nicht um den Text, er provoziert nur Bilder auf der Leinwand: wie sich die drei Laien auf dem Boden wälzen und über Kopfhörer von unsichtbarer Hand geführt durch die Fototapeten-Luxusvilla bewegen. Und da ist das immer trauriger werdende Großaufnahmengesicht der sympathischen Diana, die als Erstes von der Straße im Container landet und im Laufe des Abends zu viel Zeit zum Nachdenken hat. Die tapfer den sinnlosen Pollesch-Text spricht, aber deren wachsende Traurigkeit das republikweite Elend aller TV-Container-Insassen repräsentiert: gleichzeitig ausgeliefert, verloren, geborgen, gefangen zu sein – und zwar freiwillig.