: Ohne Finke wärn sie gar nicht hier
Statt Zauber oder Mythos hat der Bundesligaletzte SC Freiburg Vernunft im Angebot. Aber ist Fußball nicht die schöne, emotionale Welt des Irrationalen? Schlägt also doch noch die Stunde all derer, die den ewigen Trainer Volker Finke satt haben? Das Freiburger Publikum kämpft in diesen Tagen nicht nur gegen den Abstieg, sondern vor allem mit sich
AUS FREIBURG UND SCHALKE DANIEL THEWELEIT
Die Freiburger Wahrheiten sind schwer zu verarbeiten kurz vor Ende des Jahres 2004. Tabellenletzter der Fußball-Bundesliga, trotz des samstäglichen 1:1 in Schalke weit weg von einem Nichtabstiegsplatz, das schlechteste Torverhältnis, demütigende Niederlagen, und verstehen soll man das alles rational wie die Logik einer Gesundheitsreform. Das zermürbt, denn eigentlich wollen die Leute vor allen Dingen eins beim Fußball: unterhalten werden. An der Erfüllung dieser Aufgabe scheitert der SC Freiburg. Derzeit. Auf dem Fußballplatz ebenso wie abseits. Die ewigen Erläuterungen des Konzepts, die seit Jahren dieselben sind, nerven viele Fans auf die Dauer.
Sätze wie: „Ich schalte um, wenn Volker Finke zum tausendsten Mal von den Standortnachteilen erzählt, die es unvermeidlich machen, dass der SC eben dann und wann absteigt“, hört man immer öfter in der Anhängerschaft des Fußballklubs. Fußball ist eine Welt der Emotionen, aber in Freiburg ist gegenwärtig Vernunft gefragt. „Die fantastische Leistung der vergangenen zwölf Jahre verleitet dazu, zu glauben, der Erfolg sei Normalität“, sagt Heinrich Breit. Er ist stellvertretender SC-Vorsitzender. Früher war er Fraktionsvorsitzender der Freiburger Grünen.
Sich vom Gegenteil zu überzeugen, das ist harte Arbeit, erst recht wenn der Zeitgeist Irrationalität und Angst verbreitet. Man kann lange darüber sinnieren in diesen Tagen, auch mit Volker Finke, aber eigentlich möchte er darüber nichts in den Zeitungen lesen. Weil all diese Überlegungen nicht helfen bei der Arbeit gegen den Misserfolg; die müsse auf dem Platz statt finden. Die Aufgabe des Freiburger Fußballpublikums besteht gegenwärtig nicht nur darin, den immer wahrscheinlicher werdenden Abstieg zu verarbeiten, sie müssen vor allen Dingen ihre Affekte (Trainer raus, teure Spieler her) im Griff behalten. Zusätzlich gilt es, mit einem veränderten Selbstverständnis als Fußballanhänger klarzukommen.
Der Lauf der Zeit hat die Identität des Klubs verändert. Der Mythos vom Rebellen, der die Branchengrößen mit ungewohnten Methoden, einem Primat des Kollektivs und einer im Fußball bis dahin unbekannten kritischen Haltung gegenüber dem Bestehenden aufmischt, ist längst verblasst. Der Zauber ist verflogen, man hat sich an die Eigenheiten der Freiburger gewöhnt. Der SC ist professioneller geworden, hat sich in einigen Bereichen angepasst an die Liga, mittlerweile wird der einstige Ökoklub von einem Auto- und Motorradhersteller gesponsert, und das Dreisam- heißt Badenova-Stadion. Eine Entwicklung, die der Freiburger Philosophieprofessor Ludger Lütkehaus als „atmosphärisches Problem im System Freiburg“ wahrnimmt. „Der Zorn darüber ist gravierend“, sagt er. Und ja, man könne „Verratreaktionen“ in der Stadt beobachten.
Auch ein zweites Identifikationsmoment funktioniert nicht mehr so wie noch vor einigen Jahren. Das viel gepriesene Kurzpassspiel ist nur noch selten zu bewundern, die Mannschaft ist verunsichert, die Gegner sind stärker geworden. Arminia Bielefelds Trainer Uwe Rapolder erwähnte neulich in einem Interview, dass 80 Prozent der Bundesligatore nach weniger als fünf Ballkontakten in den eigenen Reihen fallen. Das Freiburger Konzept beruhte immer darauf, nach möglichst vielen Ballkontakten die Lücke in der gegnerischen Defensive zu finden.
Auch Finke räumt inzwischen ein, dass das Team „auf einigen Position nicht bundesligatauglich“ sei. Die sportliche Leitung macht selbstverständlich Fehler: Es wurden Entwicklungspotenziale einzelner Spieler überschätzt, und man hat zu sehr auf verletzungsanfällige Akteure wie Zlatan Bajramovic oder Roda Antar gehofft.
Wer mittlerweile als Freiburg-Fan durch Deutschland reist, bekommt statt uneingeschränkter Sympathie allenfalls noch Mitgefühl. Es gab Zeiten, da war der Klub in der Stadt allgegenwärtig in jedem Smalltalk, in Schaufenstern und Kneipen; das hat sich normalisiert.
Der Kern des rebellischen Konzepts ist aber geblieben. Gerade jetzt, wo alle Welt auf Finke und den Präsidenten Achim Stocker einschlägt, ist das zu sehen. Sie wehren sich beharrlich gegen die überall beschworenen Kräfte, denen zufolge Trainerwechsel und teure Verpflichtungen Naturgesetze sind im Tabellenkeller. Gerne erzählt Finke in diesen Tagen die Geschichte von der Frau auf der Tribüne hinter ihm. Und wie sie in ihrer Verzweiflung schrie: „Dann sollen sie doch Schulden machen.“ Heißt: Wie die anderen auch. Und Stars kaufen. Wer weiß? Im Kern wird hier die Irrationalität des Fußballs als sein Prinzip beschworen. Also etwas, in dessen Überwindung Finke ein Trainerleben investiert hat.
Der SC stellt sich ja beharrlich gegen diese Logik, die Parallelen zum Glauben der Bush-Administration aufweist: mal eben Saddam beseitigen und die Welt verbessern zu können, ohne detaillierten Blick auf die Folgen. In der Bundesliga ist dieses Handlungsmuster weit verbreitet, statt der Nato-Partner müssen dann Kommunen oder die lokale Wirtschaft die Sache ausbaden.
Nicht so in Freiburg; und trotzdem hat sich der SC schleichend vom Lieblingsklub der Linksintellektuellen und aller anderen, die irgendwie an die Utopie von einer gerechteren Welt glaubten, zu einer grauen Maus im deutschen Fußball entwickelt. Intern hat man den Kern der alten Philosophie jedoch beibehalten. „Leider liebt ein Teil des Journalismus die übermäßige Fokussierung auf ein, zwei Personen“, sagt der stellvertretende Vorsitzende Heinrich Breit.
Der SC Freiburg wird aber von einer Gruppe geführt. Manager Andreas Bornemann, Co-Trainer Achim Sarstedt, Stocker, Finke und einige mehr verteidigen den Freiburger Ansatz mit aller Kraft. Finke steht zwar an vorderster Stelle, alle Gerüchte von einer Art Alleinherrschaft sind allerdings ein Märchen. „Wir müssen dieses Konzept erst infrage stellen, wenn wir in der Zweiten Liga auf Platz vier stehen“, lautet ein altes Credo des Trainers.
Dass auch die Spieler hinter diesem Überbau stehen, stellte die Inszenierung Roda Antars am Samstag zur Schau. Mit seinem Tor zum 1:1 kurz vor dem Ende der Partie auf Schalke beschenkte er alle Freiburger mit einem stark verbesserten Gefühl für die Winterpause, sprintete auf die Auswechselbank zu und signalisierte: Wir stehen zu diesem Trainer. Finke erklärte danach, man sehe, das „Verhältnis Mannschaft/Trainer ist absolut in Ordnung“.
Auch die Spieler wissen: Die Standortnachteile, die der Klub hat, können medial noch so inbrünstig ignoriert werden, sie sind schlicht real. Auf Augenhöhe agieren neben Mainz und Bielefeld, die als Aufsteiger eine Welle der Euphorie abreiten, nur noch Bochum und Rostock, die Nachbarn von den Abstiegsplätzen. Von unten drängen Klubs mit WM-Stadien nach, Köln, Frankfurt oder 1860 München, eigentlich ist es also weiterhin erstaunlich, dass der SC Freiburg sich so ausdauernd in Liga eins oder in deren unmittelbarer Nähe aufhält. Und im Abstiegsfall würde man als gesunder Verein ohne Schulden mit großem Etat den Wiederaufstieg anvisieren – das können nicht viele Bundesligisten von sich behaupten.
Aber irgendwann wird jeder Revolutionsführer durch die Straßen gezerrt, viele dachten wohl, dieser Zeitpunkt sei jetzt gekommen. Wer etwas Großes aufbaut – Stadionausbau, Fußballschule, alles musste gegen massive Widerstände durchgesetzt werden –, macht sich auch Feinde. Die treten jetzt hervor, in allerlei Organen wird gegen Finke gewettert, diverse Kommentatoren stellten aus der Ferne die waghalsigsten Behauptungen auf. Zuletzt erschien im lokalen Monopolblatt, in der Badischen Zeitung, eine üble Abrechnung mit dem Trainer. „Man vergleicht Finke mit Ede Geyer, dem eben gestürzten Honecker, dem greisen Revolutionsführer Castro oder dem alten Kohl“, hieß es dort vergangene Woche, und der SC sei nicht mehr der „symbadische Underdog, sondern eine Losertruppe, über die nicht nur die Sonne lacht. Und wozu noch Aufstehen, wenn niemand mehr Badener ist? Multikulti, sagt Frau Merkel, sei ein Auslaufmodell.“
Klare Mehrheit für Finke
Was für Einwürfe im öffentlichen Leben der grün regierten Stadt sind denn das? Es scheint in einigen Zirkeln eine abgrundtiefe Abneigung gegen den Trainer zu geben, und im Falle des Multikulti-Vorwurfs auch noch düstere Gedanken vom politischen Rand. Immerhin erschien am nächsten Tag eine Replik, in der Argumente aus dem Artikel als „ungerecht und dumm“ bezeichnet werden durften. Auf die Haltung der Fanmehrheit haben die Hässlichkeiten der Debatte indes noch keine Wirkung. In Umfragen votieren sie mit beeindruckenden Mehrheiten für Finke und damit für das Konzept des Klubs.
Direkt neben einer Brandrede gegen den Trainer wurden die Leser des kicker aufgefordert, abzustimmen, ob „Finke noch der richtige Mann“ sei. 73,5 Prozent von 13.206 Teilnehmern antworteten mit Ja. Die Badische Zeitung richtete zudem einen „Kummerkasten“ ein, wo der Fan sich „frank und frei“ äußern dürfe. Eine Einladung zum Denunzieren gewissermaßen. Doch auch dort überwiegen die finkefreundlichen Kommentare, „Die Mehrheit steht zu Finke“, titelte die Zeitung auf Seite 1 der Wochenendausgabe.
Aber irgendwann kann so etwas kippen. Präsident Stocker befürchtet, „Finke ist es irgendwann leid, dass ihm ständig ans Bein gepinkelt wird – und geht wirklich von sich aus.“ Wenn Finke wirklich geht, wird es nicht reichen, dass ein richtig guter Ersatz bereitsteht. Eigentlich hilft nur eines: dass der Klub von einem russischen Milliardär gekauft wird. Anders werden gelegentliche Abstiege nicht zu vermeiden sein.