Daniel Schily: Ein König unter Königen

Seit 15 Jahren kämpft Daniel Schily (36) für mehr direkte Demokratie in Deutschland. Der gelernte Lehrer ist Geschäftsführer des NRW-Landesverbandes von „Mehr Demokratie“ mit Sitz in Köln. Sein Ziel: Die Bürger in die Haushaltsplanung einzubinden

VON SEBASTIAN SEDLMAYR

Bevor Daniel Schily spricht, hebt er das Kinn an und senkt die Augenlider. Dann setzt die etwas getragene, sehr verbindliche Rede ein: „Zum ersten Mal hat sich mein politisches Bewusstsein in einer Diskussion über Bismarcks Verhältnis zur Demokratie geregt.“ Damals, Mitte der Achtzigerjahre, in der Waldorf-Schule in Bochum-Langendreer, habe er begonnen, das Demokratieproblem der Deutschen zu verstehen. Seitdem ist Daniel Schily auf der langen Suche nach Lösungen.

Sein Lehrer sei Bismarck-Fan gewesen. Er selbst nicht, im Gegenteil: In der Politik des preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck sehe er sogar die Wurzel des Missverhältnisses der Deutschen zur Demokratie, sagt Schily. In den meisten Deutschen herrsche die Schwierigkeit, sich selbst oder anderen zuzutrauen, „richtig“ abzustimmen. Das „organische Vertrauen“ in die Demokratie herzustellen: Das ist Schilys politische Passion geworden.

Wenn der inzwischen 36-Jährige mit locker übereinander geschlagenen Beinen im kleinen Büroraum im Kölner Stadtteil Porz sitzt und von seiner politischen Initiation erzählt, spricht er mit hochgereckter Nase langsam, dezidiert, klar intoniert. Der Gestus ist aristokratisch. Der Inhalt seiner Rede ist im klassischen Aufklärersinn liberal-egalitär. „Wir sind keine Utopisten, die den neuen Menschen schaffen wollen. Wir wollen die formalen Voraussetzungen schaffen für den mündigen Menschen.“

Diese formalen Voraussetzungen sieht Schily in Bürgerbegehren, Bürgerentscheiden, Volksbegehren, Volksentscheiden – den Instrumenten der direkten Demokratie. Nach anderthalb Jahrzehnten politischer Arbeit ist Schily heute einer der bekanntesten Aktivisten für mehr direkte Demokratie in Deutschland. Der Neffe des Innenministers Otto Schily ist Mitglied im Bundesvorstand von „Mehr Demokratie e.V.“ (MD) und Geschäftsführer des Nordrhein-Westfälischen MD-Landesverbandes mit Sitz in Köln.

Ein paar Jahre nach der Bismarck-Diskussion in der Bochumer Waldorf-Schule, am 12. Juli 1988, gründeten Schily und sechs weitere Demokraten im Keller der Heinrich-Böll-Stiftung in Bonn den Vorläufer von „Mehr Demokratie e.V.“, den „IDEE e. V.“ (Initiative DEmokratie Entwickeln). IDEE-Mitgründer Gerald Häfner saß da schon für die Grünen im Bundestag. „Er sagte, er wünsche sich die Neugründung von ‚Aktion Volksentscheid‘“, erzählt Schily. „Dieser Verein war eher sektiererisch. Wir wollten eine weltoffene, überparteiliche Bewegung gründen.“

„Aufgeblasene Petition“

Das Training für seine spätere Integrationsarbeit hatte Schily in Überlingen am Bodensee absolviert. Dort berichtete er für die örtliche Zeitung über die „Bürgergespräche“, an denen er selbst teilnahm. Leute jedweder politischer Couleur diskutierten im Wirtshaus miteinander über Gott und die demokratische Welt. „Da kamen schon eher die Grünen.“ Schily zwinkert mit den Augenlidern. „Aber eben auch welche von der CDU.“

Sitz von IDEE sollte die politische Schaltzentrale der Bundesrepublik Deutschland sein: Bonn. Deshalb zog Schily als 21-Jähriger an den Rhein. Die Atmosphäre in Machtzentren war dem Industriellen-Erbe und Sohn des profilierten Anthroposophen Konrad Schily schon wohlbekannt. „Ich habe das Glück, da hineingeboren zu sein“, sagt Schily. Es klingt nicht entschuldigend. Eher philanthrop.

Eine Bürgerrevolution von unten hat der großbürgerliche Reformer live erlebt. Schily studierte gerade Mathematik und Philosophie auf Lehramt, als 1989 in Berlin die Mauer fiel. Er packte ein paar tausend Flugblätter ein, setzte sich ins Auto und fuhr in die DDR. „Freie Wahlen und freie Abstimmungen“ stand auf den Flugis. „Die CDU hat zum Teil versucht, es zu verhindern, aber heute gibt es in allen Länderverfassungen des Ostens Volksbegehren und -entscheide – wenn auch mit hohen Quoren.“

Wenn Schily auf diese „Quoren“ – die Gültigkeitsschranken bei Abstimmungen – zu sprechen kommt, ändert sich der Klang seiner Stimme. Sie wird noch jungenhafter, heller, hört sich beinahe genervt an, wenn er sich über mangelnde demokratische Kultur in Deutschland beklagt: „Das ist doch eine Kindergartendemokratie, wenn den Bürgern nicht zugetraut wird, über Finanzen zu entscheiden, wenn nicht auch knappe Entscheidungen von der großen Mehrheit akzeptiert werden.“ Doch Schily bleibt in jeder Diskussion beherrscht, lässt seine Gesprächspartner ausreden, versucht mit schlichten Argumenten zu überzeugen, nicht mit der Faust auf dem Tisch oder mit anderen emotionalen Spielchen.

Der vierfache Vater bleibt auch sachlich, wenn er sich über die Volksinitiative in NRW aufregt. Die aufwändigen Unterschriftensammlungen führten lediglich dazu, dass der Landtag sich mit der Materie befassen muss. Vor anderthalb Jahren parallel zur Senkung der Hürden für Volksbegehren und -entscheide eingeführt, gehöre sie radikal reformiert oder gleich ganz abgeschafft, sagt Schily. „Die Volksinitiative ist nichts weiter als eine aufgeblasene Petition.“

Druck auf die Politik

Statt ihre Energie in weitgehend folgenlose Volksinitiativen zu stecken, sollten die Bürger in NRW besser Druck auf die Politik zur Reform des kommunalen Rechts ausüben, fordert Schily. „In Kommunen wie Köln müsste ein Diskurs über den Haushalt stattfinden. Die Bürger müssten in die Planung eingebunden werden. Für den Haushalt müsste ein obligatorisches Finanzreferendum abgehalten werden.“ Das oft geäußerte Argument, die Bevölkerung sei zu wenig über die Hintergründe des Haushalts aufgeklärt, lässt der Direktdemokrat nicht gelten: „Entweder Sie informieren sich oder Sie stimmen so, wie es Ihre Partei vorgibt. Das ist doch bei Ratspolitikern auch nicht anders.“

Dass sich in Sachen direkter Demokratie gerade im korrupten Köln noch wenig bewegt, lastet Schily nicht vorrangig den Politikern an. „Mein politischer Gegner sind nicht die Parteien, sondern die Bürger“, sagt er mit vornehmem Hintersinn. Wenn er das sagt, verkörpert er das klassische Paradoxon des anarchistischen Anführers, oder anders formuliert: des Königs unter Königen. „Schließlich können nur die Kölner selbst entscheiden, was in ihrer Stadt passiert.“