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Archiv-Artikel

Zeit der Angst und Ungewissheit für geflüchtete Roma

Seit der Abschiebeaktion des Kölner Ausländeramts am 17. Dezember sind 63 Flüchtlinge untergetaucht. Der Rom e.V. versucht zu helfen, wo er kann

KÖLN taz ■ Weihnachten, Fest der Liebe, Versöhnung und Hoffnung? Für Menschen am Rande der Gesellschaft müssen solche Sprüche wie purer Hohn klingen. Zum Beispiel für jene 63 Roma-Flüchtlinge, die der martialischen Kölner Abschiebeaktion am 17. Dezember gerade noch entkommen konnten. Manche hatten sich in letzter Minute mit einem Sprung aus dem Fenster retten können oder waren zufällig abwesend, als die Greiftrupps des Ausländeramts samt dreihundert Polizisten 24 Wohnheime nach Menschen mit „Ausreiseaufforderung“ durchsuchten.

Seitdem leben sie im Untergrund, versteckt bei Freunden oder Verwandten, ständig in der Angst, von den Behörden aufgegriffen und doch noch abgeschoben zu werden, erzählt Kurt Holl vom Kölner Rom e.V.

Der Verein versuche jetzt, über Anwälte neue Duldungsbescheinigungen für die Betroffenen zu bekommen. Etwa für eine Familie aus Serbien mit drei Kindern, davon zwei unter zehn Jahren, die erst einmal notdürftig bei Bekannten unterkommen konnten. „Wegen der Kinder sind sie jetzt zwar durch den Winter-Abschiebestopp geschützt, der am 22.12. in Kraft trat, aber sicherer wäre eine neue Duldung mindestens bis Ende März“, erklärt Holl. Umso mehr gelte dies für diejenigen Untergetauchten, die keine Kinder haben, denn sie könnten weiterhin jederzeit nach Belgrad zwangsverfrachtet werden.

Was sie dort erwartet, weiß Holl von eigenen Besuchen vor Ort: ein erbarmungsloser Überlebenskampf auf der Straße. „Nach den verschiedenen Kriegen auf dem Balkan wachsen in Belgrad die Slums. Gerade die Roma-Flüchtlinge leben zum größten Teil in Vierteln, die aussehen wie die Favelas in Südamerika“, erzählt er.

Für die 22 Kölner Flüchtlinge, die vor zwölf Tagen nach Belgrad ausgewiesen wurden, befürchtet Holl daher wenig Gutes – zumal sein Verein von ihnen seitdem kein Lebenszeichen mehr bekommen hat.

Aber auch für die Untergetauchten hier konnte der Verein bislang nicht allzu viel bewirken: „Unser Problem ist, dass die meisten Anwälte, mit denen wir immer zusammenarbeiten, wegen Weihnachten nicht zu erreichen sind. Aber nur sie kennen die Möglichkeiten, mit denen man wenigstens eine zeitweilige Duldung bekommen kann.“

Unterdessen reißt die Kritik am Vorgehen der Kölner Behörden nicht ab: Der Verein „Öffentlichkeit gegen Gewalt“ (ÖgG) verurteilt „das Vorgehen des Ausländeramts, das sich in die Abschreckungs- und Abschiebefront aus Kölner Politik, Polizei und Print-Medien einreiht“ und spricht angesichts des Timings – fünf Tage vor Inkrafttreten des Winter-Abschiebestopps für Familien – von einem „zynischen Coup“.

Hierin sind die Kölner allerdings noch keine Meister, wie der Blick nach Berlin am Wochenende zeigte. Dort wurde noch am 2. Weihnachtstag eine Mutter mit ihren vier Kindern nach Belgrad abgeschoben. Begründung der Behörden: Als „verurteilte Straftäterin“ könne sich die Frau nicht auf den Winter-Abschiebestopp berufen.

SUSANNE GANNOTT