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Archiv-Artikel

Das Mahnmal im Herzen der Stadt

Am Holocaust-Mahnmal wird heute die letzte Stele aufgestellt, die 2.751. Was doch überrascht: Seine Baugeschichte ist eine Erfolgsgeschichte, und die provozierende Performance von Betonquadern für die Erinnerung an die ermordeten Juden Europas entzieht sich jetzt erst recht eingängiger Symbolik

VON ROLF LAUTENSCHLÄGER

Klein ist es und doch riesig. Der Stein ist grau, aber bei Sonne schimmert seine Lasur samtig bunt. Es ist wie ein Labyrinth geformt und besteht doch aus einem ordentlichen Schachbrettmuster. Es ist alles und nichts, schwankender Boden und zum Wahnsinnigwerden. Wer kurzzeitig mehr als nur sich selbst, seine Gedanken und Verwirrungen, nämlich Symbol, Zeichen, Form oder gar Architektur im „Mahnmal für die ermordeten Juden Europas“, kurz Holocaust-Mahnmal, zu erkennen glaubt, der wird im nächsten Augenblick wieder mit Leere konfrontiert. Stimmt es also doch, was Peter Eisenman, der New Yorker Architekt dieses absolut merkwürdigen Erinnerungsmonuments hinter dem Brandenburger Tor, über seine Bedeutung gesagt hat? Es habe keine bestimmte außer der, die wir imstande sind, ihm zu geben.

Das ist ein einfacher Satz und zugleich hoher Anspruch für uns, die wir uns damit auseinander setzen. Darum darf man gespannt sein, welche Deutungen versucht werden, wenn heute in die Schluchten zwischen niedrigen und 5 Meter hohen Betonstelen die letzte der 2.751 Betonstelen aufgestellt wird. Dann ist diese 19.000 Quadratmeter weite Antiskulptur, diese Performance provozierenden Betonquader zur Erinnerung an den Völkermord der Nazis fertig. Bis zur Einweihung des Mahnmals am 10. Mai 2005 wird der unterirdische „Ort der Information“ mit Dokumenten über die Geschichte und Vernichtung von Millionen Juden noch ausgestattet werden müssen. Dann ist der Eintritt frei im doppelten Wortsinn für all unsere Assoziationen.

Es wäre gut möglich, dass jenes hilflose Wort von der „steinernen Welle“ bei der heutigen Präsentation mit Eisenman, Bundestagspräsident Thierse und Mahnmal-Initiatorin Lea Rosh nur sprachlich-bildhaftes Vehikel für eine besser gemeinte – aber im öffentlichen Diskurs schwerer kommunizierbare – Beschreibung bleibt.

Bereits beim Richtfest für den Ort der Information im Sommer 2004 hatte Thierse vom „Unbeschreibbaren“ des Mahnmals gesprochen. Andere taten es ihm seither nach. Es scheint, man hat in Berlin seit der Aufstellung der ersten Stelen im Juli 2003 und beim Fortgang der Bauarbeiten die Lektionen über die Irritation dieses Kainsmals gelernt. Es hat sich und uns verändert.

Und hat sich nicht auch die Aufregung über Eisenmans steinerne Skulptur gelegt? Angesichts der jüngsten Peinlichkeiten um den dritten Mosaikstein in der so genannten Berliner „Gedenktrias“ aus Jüdischem Museum, Holocaust-Mahnmal und Topographie des Terrors – bei Letzterem hat das Land den Architekten Zumthor samt spektakulärem Entwurf abgesägt, die schon gebauten Teile werden aus Kostengründen gerade wieder abgerissen und die Zukunft des Geländes ist nicht geklärt – verlief die Bauzeit des Mahnmals fast wie geschmiert.

Sicher, es hat lange gedauert, dahin zu gelangen. 1988 hatte sich der private Förderverein um die Publizistin Lea Rosh konstituiert. 1995 wurde ein Mammutwettbewerb ausgelobt. Kanzler Helmut Kohl sprach sich aber gegen den monströsen Siegerentwurf aus. 1997 gewann Peter Eisenman den zweiten Mahnmal-Bauwettbewerb, nun sperrte sich Berlins damaliger Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen gegen die „Denkmalinflation in der Stadt“. Selbst 1999, als schließlich der Deutsche Bundestag den Bau des Holocaust-Mahnmals beschloss und zum Staatsprojekt erklärte, gingen die Kritiker der Kranzabwurfstelle oder des großen öffentlichen „Schandmals“ erst langsam in Deckung. Aber sie gingen.

Es war schließlich das Ergebnis heutiger Unaufgeregtheit, ja eines angesichts der Thematik so nicht gekannten Gleichmuts, dass der Streit im Herbst 2003 um den Stelenschutz einer Degussa-Tochter nicht eskalierte. Zyklon-B-Hersteller Degussa blieb in der Kiste. Die Geschäftsführerin der Mahnmal-Stiftung wurde zwar von ihrem Posten gemobbt. Der 25-Millionen Euro-Bau ging weiter.

Mit der Fertigstellung der Stelen ist das Mahnmal nun da angekommen, wohin es sollte: ins Herz der Stadt. Alles Weitere müssen wir selbst tun.