Dolce Vita im Münsterland

Mitten im Münsterland wird das italienische Dorf „Lavita“ gebaut – reiche Rentner und Rentnerinnen, die nicht auswandern wollen, sollen hier trotzdem leben wie im schönen Süden

Nichts sieht hier nach Italien aus, außer ein paar klobigen Terracotta-Kübeln auf der sogenannten Piazza

VON CHRISTIAN FÄHNDRICH

Wer im Dezember auf einem Bahnsteig in Essen oder Bochum auf einen verspäteten Zug wartet, kann sich kaum vorstellen, dass Bahnhöfe heute noch für Fernweh und Sehnsucht stehen können. Doch die Werbeindustrie weiß es offenbar besser und hat gerade hier die Plakatwände gebucht, die den Namen Lavita bekannt machen sollen mit der kühnen Behauptung: „Auch im Münsterland kann man leben wie im Süden.“ Niemand kennt Lavita. Der Taxifahrer in Dortmund meint, es müsse wohl so eine Art Diskothek sein, irgendwo auf dem Land. Die Website lavita-muensterland.de erzählt dagegen von einem kleinen italienischen Dorf, das gerade neu gebaut wird – 40 Kilometer östlich von Münster. Bauherr ist die Immobilienfirma Unifinanz, deren Geschäftsführer Josef Möllmann am Telefon lieber etwas tiefer stapelt. Natürlich könne man nicht die Toskana nach NRW holen. Es gehe nur um ein Gefühl, das mediterrane Lebensgefühl eben.

Deshalb hat seine Firma einen kleinen See aufgekauft, der jetzt Lago Lavita heißt. Fürs Segeln wie auf dem Gardasee ist er zwar zu klein, aber dafür kann man Paddelboot fahren und an einem Privatstrand liegen – wenn man eines der umliegenden Häuser kauft, die das Dorf Lavita bilden sollen. „49 plus“ nennt Möllmann seine Zielgruppe, womit er nicht nur das Alter seiner Kunden meint, sondern auch deren Lebenssituation: Ehepaare, deren Kinder aus dem Haus sind, die jetzt „einen neuen Kick suchen“ und dafür auch noch Geld übrig haben.

Angesprochen fühlen soll sich die Dortmunder oder Essener Toskana-Fraktion, die von einem Lebensabend mit vino und dolce vita träumt, aber wenn es ernst wird doch lieber nicht zu weit entfernt wohnen will von den eigenen Enkelkindern. Auswandern, ohne Deutschland verlassen zu müssen, dieses Paradox verkauft Möllmanns Firma.

Angekommen in Lavita, denkt man sofort an das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern. Nichts sieht hier nach Italien aus, außer ein paar klobigen Terracotta-Kübeln auf der sogenannten Piazza Lavita. Bislang gibt es nur den See und fünf kleine Musterhäuser aus Holz. „Sehen eigentlich mehr wie schwedische Häuser aus“, findet eine Dame um die 60 aus dem nahen Ort Milte, die sich mit ihrem Mann bereits zum Kauf entschlossen hat. Doch das mit dem Holzhaus ist ihr egal, sie verlangt nur, dass später kein Nachbar seinen Vorgarten in Jägerzaun-Manier gestalten darf. Geschmackvoll soll es einmal zugehen in Lavita.

Ihr Mann lobt die einbruchsicheren Terrassentüren und freut sich besonders “auf kommunikative Nachbarschaft“ in Lavita. Für die will Geschäftsführer Möllmann ein Ristorante bauen und – als Clou – eine antike Ausgrabungsstätte in Form eines kleinen Amphitheaters, in dem die Bewohner dann Feste feiern und Theater spielen können.

Lavita soll eine Art Dauer-Feriensiedlung werden. Offiziell ist es jedoch nur ein Zweitwohnsitz-Gebiet, denn das Planungsrecht in NRW erlaubt keine Siedlungen fernab der gewachsenen Ortskerne. Dazu müsste es in der Nähe auch Einkaufsmöglichkeiten, Bushaltestellen und Arztpraxen geben. Doch Möllmann gibt seinen Kunden den Tipp: „Manche Menschen haben halt 365 Tage im Jahr Ferien.“

Gerade das mit dem Dauerwohnen halten viele der alteingesessenen Münsterländer für einen Schwindel. Hier in kleinen Holzhäusern das lange Winterhalbjahr zuzubringen, sei doch wirklich kein „dolce vita“, meint ein pensionierter Lehrer aus der Umgebung. In der Tat ist bei der Eiseskälte in Lavita heute wieder der Klo-Kontainer für die Besucher eingefroren. Doch die Käufer schreckt das nicht. Die Frau aus Milte erzählt von der Besichtigung am vergangenen Abend. So kitschig schön sei es gewesen, als der Mond über dem Münsterland aufging, nicht besser oder schlechter als in Südfrankreich. Stolz ist sie, dass sie solch einfache Schönheit würdigen kann - ganz im Gegensatz zu den Dörflern in der Umgebung, die für so etwas gar keinen Blick hätten. Nur gut, dass die nicht nach Lavita ziehen werden und ihre schrecklichen Wohnmobile vor ihr Küchenfenster parken.

Warum sie mit den Menschen im nächsten Dorf nichts zu tun haben will, versteht man umso weniger, wenn man sich von Lavita aus wieder auf den Heimweg macht. Keine Bushaltestelle weit und breit, dafür aber nette Spaziergänger, die den Gast aus dem Ruhrgebiet per Auto ins fünf Kilometer entfernte Dorf Milte mitnehmen. Milte ist ein katholisch geprägtes Dorf, in der Gaststätte an der Hauptstraße betet die Wirtin in dieser Woche jeden Nachmittag mit ihren Kindern das Totengebet für einen verstorbenen Onkel. Für den Gast schaut sie schnell auf dem Hof nach, ob nicht ihr Mann noch da ist, der sowieso mit dem Auto nach Warendorf muss. Ansonsten könne man hier auch trampen. An der Straße den Daumen nach oben, dauert es keine 4 Minuten, bis ein Golf-Fahrer anhält und dafür kein Danke hören will.