Sturm auf die Pastille

Anstehende Praxisgebühren und höhere Zuzahlungen wirken sich aus: Im Dezember quillten Wartezimmer über, Apotheken erlebten hohen Ansturm

Die PatientInnen hamstern. Sie fraßen sich im Dezember einen „Ulla-Schmidt-Bauch“ an

VON NATALIE WIESMANN

Die Einführung der Praxisgebühr im neuen Jahr ist laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Valid Research das größte Ärgernis in der Bevölkerung. 83 Prozent der Befragten regten sich darüber auf. Und sie reagierten auch in NRW mit einem Ansturm auf Arztpraxen und Apotheken.

„Wir hatten das Wartezimmer voll“, bestätigt Augenärztin Andrea Nehm aus Dortmund. Während in ihrer Gemeinschaftspraxis normalerweise 40 PatientInnen am Morgen zur Sprechstunde kamen, waren es in der zweiten und dritten Dezemberwoche bis zu 60 Personen. Ihre PatientInnen haben sich vor allem Brillengestelle und Gläser verschreiben lassen. Sie findet, dass die Brillenträger ein bisschen überreagiert haben. Die Zuzahlungen der Krankenkasse würden im neuen Jahr zwar weggefallen, „aber bisher mussten PatientInnen auch bereits 90 Prozent davon selbst zahlen.“ Auch die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe spricht von einem hohen Andrang auf die Praxen. Neben Augenärzten hätten auch ZahnärztInnen, Gynäkologen und Allgemeinmediziner im Dezember bis zu 30 Prozent mehr Zulauf, bestätigt Pressesprecher Andreas Daniel.

Hausarzt Wolfgang Lütteken aus Münster arbeitet zurzeit zwölf Stunden am Tag und seine PatientInnen müssen bis zu zwei Stunden warten. Ab Januar kommen andere Probleme auf ihn zu: „Ich finde es eine Frechheit, dass die Praxen als Geldeintreiber für die Krankenkassen herhalten müssen“, ärgert er sich. Neben dem hohen Verwaltungsaufwand, für den man nichts bekäme, würde die Praxisgebühr „bestimmt nicht zur Verbesserung des Arzt-PatientInnen-Verhältnisses beitragen.“

Die Andrang in den Praxen hat zwangsläufig auch einen Run auf die Apotheken in Nordrhein-Wesftalen nach sich gezogen: „Die Menschen hamstern“, sagt der Pressesprecher der Apothekerkammer Westfalen-Lippe, Michael Schmitz. „Wir sprechen da vom ‚Ulla-Schmidt-Bauch‘.“ Während die Zuzahlungen sich bisher zwischen vier und fünf Euro bewegten, müssen Kranke ab Januar fünf bis zehn Euro für Medikamente hinblättern. „Vor allem betroffen sind die chronisch Kranken und Sozialhilfeempfänger“, erklärt Schmitz. Diese Gruppe der ehemals Befreiten muss künftig selbst zahlen und Quittungen sammeln. Bei Überschreitung von ein bis zwei Prozent ihres Einkommens bekommen sie das Geld von den Krankenkassen zurück. „Die Gesetze sind total unausgegoren“, so der Apotheker Peter Barleben aus Essen. Es sei beispielsweise nicht definiert, wer zu den chronisch Kranken zähle. Auch in seiner Apotheke stieg der Zulauf in diesem Monat, „nicht wetterbedingt, sondern gesetzgeberisch“. Im Dezember hat er schätzungsweise 30 Prozent mehr Medikamente verkauft.