„Ein Ausdruck der Zeit“

Einfach nicht totzukriegen: Ein Gespräch mit dem Werbefilm- und Musikclip-Regisseur Marcus Nispel, der mit dem Remake des Horrorklassikers „Texas Chainsaw Massacre“ sein Spielfilmdebüt vorlegt

Interview ANDREAS BUSCHE

taz: Herr Nispel, wie sind Sie zum „Texas Chainsaw Massacre“ gekommen, der eine solche Ikone des Horrorfilms ist?

Marcus Nispel: Ich hatte TCM immer als Slasherfilm verstanden – etwas, für das ich mich nie sonderlich interessiert hatte. Als ich ihn schließlich das erste Mal sah, war ich allerdings überrascht, wie psychologisch der Horror in Hoopers Film tatsächlich gewesen ist. Im Grunde war er seiner Zeit unglaublich weit voraus. Das ist etwas, was du heute nicht noch einmal rekreieren kannst. Amerika hatte gerade den Vietnamkrieg und eine kleine Kulturrevolution hinter sich, was sich damals in Phänomenen wie „Easy Rider“ und TCM widerspiegelte. Unsere Situation heute ist vielleicht vergleichbar, daher halte ich den Film auch weiterhin für relevant. In der amerikanischen Gesellschaft herrscht derzeit eine gewisse Taubheit und eine Stimmung von Selbstbeschränkung. Nur genießen wir mit unserem Blockbusterfilm natürlich nicht mehr die Sympathien eines Underdogs.

Was am TCM seit jeher fasziniert ist, wie unterschiedlich die Rezeption des Films gewesen ist. In Deutschland wurde er viele Jahre lang als Slasherfilm abgekanzelt und verboten, während er in Amerika in die Filmkollektion des Museum of Modern Art aufgenommen wurde.

Ich weiß nicht, was ich das Publikum lieber über den Film denken lassen möchte. Ich bin schon zufrieden, wenn die Leute heute mit der Erwartung ins Kino gehen, einen kleinen Terrorfilm zu sehen, und darin nicht enttäuscht werden. Mit dem Horrorfilm ist in der letzten Dekade etwas sehr Trauriges geschehen: Die Regisseure sind zu viele Kompromisse eingegangen. Wenn wir jedoch eins von Tobe Hoopers Original bewahren wollten, dann war es dieses Gefühl von blankem Entsetzen. Wir wollten uns ganz auf die Schönheit und Poesie dieses Szenarios konzentrieren. Mit den Augen eines Rembrandt vielleicht.

Wie hat Tobe Hooper auf Ihre Version reagiert?

Man muss sich vorstellen, dass dieser eine Film heute seine ganze Karriere definiert. Tobe war schon glücklich, dass sich überhaupt noch jemand um seinen Film schert. Er ist zu gut, um im Archiv des MoMa zu verstauben. Die Geschichte muss einfach weitererzählt werden – wie jede gute Geschichte. Ich bin oft gefragt worden, warum ich ausgerechnet von TCM ein Remake machen würde. Und meine Antwort lautete: Warum wohl hat Tobe Hooper ein Remake von „Hänsel und Gretel“ gemacht? Es geht um eine Urangst des Menschen. Im Grunde bringe ich mit TCM „Hänsel und Gretel“ nun nach Deutschland zurück. (lacht)

Warum sind gerade Horrorikonen wie Freddy, Jason, Michael Myers oder Leatherface einfach nicht totzukriegen? Derzeit erfahren die Untoten ein kleines Revival, demnächst gibt es sogar ein Remake von Romeros „Dawn of the Dead“.

Es sind einfach archetypische Charaktere, tief verwurzelt in der menschlichen Mythologie. Darum glaube ich auch, dass selbst renommierte Regisseure mit dem Horrorgenre nie ein Problem hatten – es waren immer die Kritiker. Martin Scorsese hat kürzlich gesagt, dass das Horrorgenre fundamentale existenzialistische Fragen streift: Wer sind wir? Wo kommen wir her? Was zur Hölle tun wir hier? Und wo werden wir enden? Und im Kern stehen diese Fragen der Bibel oder dem Koran näher als jeder anderen Überlieferung.

Es wirkt äußerst vorteilhaft, dass Sie einige Szenen aus dem Original weggelassen haben, die heute eher albern oder unfreiwillig komisch wirken.

Wenn man einen Film auf ein Mainstream-Publikum zuschneidert, muss man natürlich mit Kompromissen leben. Was ich jedoch um jeden Preis vermeiden wollte, war, dass Humor die Allgegenwärtigkeit des Todes und des Schreckens im Film verwässert. Wenn jemand stirbt, ist es ein bestürzendes Ereignis. Mit einer Ausnahme, die ich nachträglich auch für den schwächsten Moment des Filmes halte: die Kamerafahrt durch das Einschussloch im Kopf.

TCM basiert wie „Psycho“ und „Das Schweigen der Lämmer“ auf der wahren Geschichte eines Serienmörders, in diesem Fall Ed Geins. Ein Aspekt, den ihr Remake mehr betont als Hoopers Original.

Für mich war wichtig, dass Leatherface nicht einfach nur ein Monster ist, sondern ein menschliches Wesen – dein Nachbar zum Beispiel. Deswegen war für uns die Enthüllung seines Gesichts auch eine Schlüsselszene des Films, die der Geschichte eine tragische Dimension verleiht und viel mehr mit dem echten Ed Gein zu tun hat als frühere Verfilmungen. Leatherface hat eine Hautkrankheit, er ist ein Ausgestoßener, und indem er die Haut anderer zu Masken verarbeitet, kann er deren Identität annehmen, sozusagen in ihre Persona – nebenbei, das lateinische Wort für Maske – schlüpfen.

Er wird auch nicht wie Freddy oder Jason zum Horrorsuperhelden ikonisiert. Der Terror entspringt immer noch dem Nukleus der Familie.

Tobe Hooper hatte eine sehr interessante Erklärung für diese seltsame Texas-Familie. In Ed Gein, hat er einmal gesagt, steckten soviel gespaltene Persönlichkeiten, dass man diese unmöglich in einer einzigen Figur hätte zum Ausdruck bringen können. Also erfand er diese Familie, in der jedes Mitglied ein Schizo-Fragment darstellte. Die fast surrealen Familienzusammenkünfte sind sozusagen deliröse Reflexionen von Leatherface’ Geisteszustand.

Dafür, dass Sie keine persönliche Geschichte mit TCM verbindet, bringen Sie dem Original viel Respekt entgegen.

Filme, die wie TCM eine bestimmte Saite zum Klingen gebracht haben, waren so populär, weil sie in ihrer Zeit wie ein Spiegel der sozialen Verhältnisse funktionierten. Ich habe vor allem ein Problem mit Remakes, die solche Untertöne eines Films vernachlässigen. Denn dann bleibt am Ende nichts übrig.

Ist das der Grund, warum Ihr Film im Schlachthaus endet? Kannibalismus als Kapitalismuskritik? Ed Gein war berüchtigt dafür, menschliches Restmaterial für Alltagsgegenstände weiterzuverarbeiten.

(lacht) So weit möchte ich dann doch nicht gehen. Das Ende entsprang wohl doch eher unserem kruden Humor.