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Archiv-Artikel

Im Schatten der Witwen

Wanderer zwischen den deutschen Staaten, Wegbereiter des politischen Aufbruchs: Peter Palitzsch, einer der wichtigsten Theaterregisseure der Nachkriegszeit, ist tot

Am Samstag ist mit Peter Palitzsch einer der prägendsten Theaterleute der Nachkriegszeit gestorben. Es begann kurz nach dem Krieg, als eine Hand voll Künstler sich die junge DDR als Gelehrten- und Künstlerrepublik erträumte und Bertolt Brecht den damals dreißigjährigen Dresdener Grafiker und Dramaturgen auf Empfehlung von Ruth Berlau an sein frisch gegründetes Berliner Ensemble holte. Hier war Palitzsch zunächst prägend als Gestalter des Erscheinungsbildes des Hauses, gestaltete Programmhefte, Brechts „Kriegsfibel“ und erfand das Logo, das bis heute über dem Theater kreist.

Palitzsch war der Erste, der einem Theater so etwas wie eine Corporate Identity verpasste. Seine Spuren lassen sich bis hin zu Bert Neumanns Arbeiten für Castorfs Volksbühne verfolgen, die deutlich von der Ästhetik des frühen BE geprägt worden sind. Berühmt als Regisseur wurde Palitzsch mit der von ihm und Manfred Wekwerth verantworten Inszenierung von Brechts „Der aufhaltsame Aufstieg des Arthuro Ui“, die noch Heiner Müllers Inszenierung des gleichen Stückes inspirierte, das bis heute auf dem BE-Spielplan steht. Doch Palitzschs Verhältnis zur DDR war spätestens seit dem 17. Juni 1953 angeschlagen, wovon sehr schön Jan Schüttes Brecht-Film „Abschied – Brechts letzter Sommer“ erzählt. Auch in Heiner Müllers letztem Stück „Germania 3“ gibt es ein kleines, ironisches Porträt des jungen Brechtrenegaten nach dem Tod des Meisters, der im Schatten der Brechtwitwen dem ideologischen Druck seines konkurrierenden Feindfreundes Manfred Wekwerth mit Fragen nach ewigen Wahrheiten begegnet.

Früh war er ein Wanderer zwischen den beiden deutschen Staaten. Er setzte den im Kalten Krieg in der Bundesrepublik verfemten Bertolt Brecht auch im Westen als Dramatiker durch. Die ersten Inszenierungen Anfang der 60er-Jahre waren von Bild-Hetzkampagnen und Polizeischutz begleitet. Nach dem Mauerbau kehrte Palitzsch nach der schwer umkämpften westdeutschen Uraufführung von Brechts „Der Prozess der Jeanne d’Arc“ in Ulm nicht in die DDR zurück. Er blieb zunächst in Ulm, wo unter Kurt Hübners Intendanz das bundesdeutsche Theater langsam zu sich selber fand. 1966 wurde Palitzsch Intendant in Stuttgart und wird spätestens dort zu einem der einflussreichsten Wegbereiter des politischen Aufbruchs der 60er-Jahre. 1972 erfand er als Direktor des Schauspiels Frankfurts das Mitbestimmungsmodell, das die feudale Hierarchie des deutschen Stadttheaters revolutionierte, bis es an den Realitäten zerbrach. Anfang der 90er-Jahre kehrte Palitzsch nach Berlin zurück und gehörte nach der Amtsenthebung Manfred Wekwerths ab 1992 zur unglücklichen Fünferbande aus alt und eitel gewordenen ehemaligen gesamtdeutschen Theaterhoffnungen, die nach den naiven Vorstellungen des damaligen Kultursenators ins BE den Geist der Brecht’schen Theaterutopie zurückbringen sollte. An Palitzschs Rang im deutschen Theaterolymp werden seine Niederlagen nicht rütteln können. ESTHER SLEVOGT