: In der Türkei herrscht verhaltene Freude
Nach dem EU-Beschluss über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen wird Ministerpräsident Erdogan in Ankara mit Luftballons begrüßt. Und schon steht die Zypernfrage wieder auf der Tagesordnung. Nun wird es wohl neue Gespräche geben
AUS ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH
Es hätte ein Triumphzug werden sollen, doch es blieb bei einem freundlichen Empfang. Als der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan am Samstagvormittag nach dem EU-Gipfel in Brüssel in der Hauptstadt Ankara landete, waren es im Wesentlichen seine Parteifreunde und Anhänger im engeren Sinne, die ihn erwarteten. Melih Gökcü, Bürgermeister von Ankara und Parteifreund des Ministerpräsidenten, hatte zwar alles für die Konfettiparade des Helden vorbereitet, doch die große Masse der Bürger blieb lieber vor dem Fernseher sitzen.
Zwar fuhr Erdogan im bitterkalten Ankara die lange Strecke vom Flughafen bis ins Zentrum winkend auf einem offenen Doppeldeckerbus, doch das Spalier blieb überschaubar. Selbst zur anschließenden Kundgebung versammelten sich kaum mehr als 5.000 Anhänger mit Feuerwerk, roten (Türkei) und blauen (Europa) Luftballons. Auch Erdogan selbst verkniff sich jeden Triumphalismus. „Wir dürfen nicht übermütig werden“, appellierte er an seine Anhänger, „die eigentliche Arbeit beginnt nun. Wir müssen unsere Reformanstrengungen verdoppeln, und zwar nicht nur die Regierung, sondern alle Bürger.“
Mit seiner Rede dürfte Erdogan die Stimmungslage der Mehrheit seiner Landsleute ganz gut getroffen haben. Es herrscht eher Erleichterung darüber, dass die Anspannung der letzten Wochen nun endlich glücklich überstanden ist, als überschwängliche Begeisterung und Siegesgeschrei. Selbst die immer zu Übertreibungen neigende Boulevardpresse gab sich erstaunlich nüchtern. Hürriyet begnügte sich mit „Dem Tag danach“, um die Ankunft des Ministerpräsidenten anzuzeigen und druckt eine internationale Presseschau auf ihrer ersten Seite.
Die größten EU-Enthusiasten bei der linksliberalen Radikal gönnten ihren Lesern noch nicht einmal einen Tag der Erholung, sondern widmeten sich gleich der ab jetzt wieder dominierenden Zypernfrage. Sowohl Erdogan als auch der türkisch-zypriotische Ministerpräsident Talat deuteten bereits an, dass sie die griechischen Zyprioten zu einer neuen Runde von Friedensgesprächen einladen werden, um auf der Grundlage des Annan-Plans einen neuen Anlauf zu einer politischen Lösung zu unternehmen. Am Rande des Gipfels hatte es bereits Gespräche mit dem UN-Generalsekretär gegeben, um die Möglichkeiten für eine neue Initiative abzuklären.
Aus türkischer Sicht ist jedenfalls klar, dass eine echte Anerkennung Zyperns nur nach einer erfolgreichen, beide Seiten befriedigende Lösung auf der Insel erfolgen kann. Die ersten Reaktionen im griechischen Teil Zyperns zeigten jedoch, dass der griechischen Bevölkerung bislang scheinbar überhaupt nicht klar ist, dass dazu auch Kompromisse von ihrer Seite gehören. Fast alle Befragten beklagten, dass die EU die türkische Regierung nicht zu einer uneingeschränkten Anerkennung ihrer Regierung als rechtmäßige Regierung der gesamten Insel gezwungen habe.
Wichtig für den Rückhalt Erdogans und seiner Mannschaft ist nun vor allem, dass der angekündigte Beginn von Beitrittsverhandlungen sich in spürbarer wirtschaftlicher Prosperität niederschlägt. Die Türkei hat zwei Tage vor dem Gipfel in Brüssel mit dem Internationalen Währungsfonds ein neues Stand-by-Abkommen über 10 Milliarden Dollar abgeschlossen, das hauptsächlich dazu dient, die bereits vorhandenen Schulden bedienen zu können. Aus dieser Schuldenfalle kommt die Türkei nur heraus, wenn jetzt ausländische Investoren in großem Umfang ins Land kommen.
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