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Archiv-Artikel

Good-bye Lenin, hallo Wilhelm

Schnell wurden sie in die Depots gebracht, die Straßenschilder der DDR. Berlin kennt keine historischen Diskussionen so gut wie die um die Straßenumbenennungen. Ein kurzer Überblick

VON ADRIENNE WOLTERSDORF

Obwohl es sich nur um schmucklose Emailschilder handelt, toben um sie heiße Debatten und Wortgefechte. Die Rede ist von Straßenschildern. Manche Hobbyhistoriker meinen, dass in Berlin wie nirgendwo sonst in Deutschland unsere ruhmlose deutsche Vergangenheit eingebrannt sei: Zu viele Namen erinnern hier an schlimme -ismen. Feudalismus, Militarismus, Kolonialismus und Antisemitismus. Kaum weht ein neuer Zeitgeist, beginnen die Debatten – doch schnell wird deutlich, wie unversöhnlich hier Beharrungsvermögen und Namenshygiene aufeinander prallen.

Berlin hat in dieser Hinsicht schon einiges gesehen. Die erste große Welle der Straßenumbenennungen erlebte die Stadt nach dem zweiten Weltkrieg. Der Schwarz’sche Stadtplan, Stand Januar 1946, dokumentierte den ersten vergeblichen Versuch einer Vergangenheitsbewältigung unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Hitler-Diktatur. Die Zentralstelle im Roten Rathaus sammelte bis Ende 1945 mehr als 1.600 Vorschläge für Umbenennungen für die damals rund 10.000 Berliner Innenstadtstraßen. Unstrittig war natürlich, dass der Adolf-Hitler-Platz (heute Theodor-Heuss-Platz) und die Hermann-Göring-Straße (heute Stresemannstraße) schnell verschwinden sollten. Der Landkartenverlag Schwarz druckte die Alternativen, in kleine rote Klammern gesetzt, ohne die Bestätigung des Magistrats der Stadt abzuwarten. Ging es doch darum, auch die Namen des preußischen Militarismus, so zum Beispiel zahlloser preußischer Generäle, durch die Namen freiheitsliebender Dichter und Widerstandskämpfer zu ersetzen: Mühsam-, Tucholsky- und Jack-London-Straßen waren gewünscht. Die Vorschläge blieben in den Schubladen – in den Zeiten des Kalten Krieges hatte die Stadt andere Sorgen; und schon damals – wie heute – trat vor allem die CDU auf die Bremse.

Das war in den 80er-Jahren so, als die Konservativen jahrelang die Umbenennung der Steglitzer Dietrich-Schäfer-Straße, einem der Wegbereiter des Nationalsozialismus, verhinderte. Seit den 90ern, nach einem Wechsel der Mehrheiten in der BVV, heißt der Weg nach Carl Heinrich Becker. Das ist noch heute so. Dafür widersetzen sich CDU und FDP in Berlins reichem Südwesten seit Jahren dem Rauswurf Heinrich von Treitschkes, eines Historikers, der auch als Wegbereiter des deutschen Antisemitismus und des Nationalsozialismus gilt.

Die jüngste Welle von Straßenumbenennungen erfolgte im Ostteil der Stadt, wo nach den Kommunalwahlen im Mai 1990 die BVVen Sonderausschüsse bildeten, um die zahllosen Vorschläge zu diskutieren. Zu einer gewünschten Donald-Duck-Straße kam es nie, denn der Umbenennungstrend ging, so Jürgen Kerwelat von der Berliner Geschichtswerkstatt, fast ausnahmslos in die Richtung „zurück zum Alten“: zu den alten Namen vor der Umbenennung zu DDR-Zeit. Statt z. B. an die DDR-Bürgerbewegung zu erinnern, kam es in Mitte zwar zur Ehrung einer Frau, einer gewissen Königin Luise (früher Hermann-Matern-Straße). Nur leider gab es in der Stadt schon drei Luisenstraßen, einen Luisenplatz, einen Luisenweg, einen Luisenhain sowie zwei Königin-Luise-Straßen. Auch die „Toleranzstraße“ bekam nie ein Schild, mithilfe der SPD. Und die Otto-Grotewohl-Straße hieß bald wieder Wilhelmstraße – die Adresse für NS-Politik.