: Mythen galoppieren sich nieder
Seit „An jedem verdammten Sonntag“ (1999) war kein Spielfilm von Oliver Stone mehr zu sehen. Mit „Alexander“ hat er sich nun des griechischen Eroberers angenommen. Entstanden ist kein monumentales Epos, sondern ein enorm zerrissener Film
VON JAN DISTELMEYER
Die Nachricht, die Anfang Oktober verbreitet wurde, kündete von Machtverlust. Ausgerechnet Wolfgang Petersen – Hollywoods ostfriesischer Handwerker, dessen „Troja“ in den USA gefloppt war – hegte einen Plagiatsverdacht gegen Oliver Stone. Beim Anblick des Trailers zu Stones „Alexander“ habe er „eine Gänsehaut“ bekommen, weil sich die Bilder so ähnlich seien: „Moment! Läuft da etwa ‚Troja‘?“ Immerhin habe Stone, das wusste Petersen, „Troja“ „gleich zweimal im Kino angesehen“.
Bemerkenswert ist dieser Anwurf nicht etwa wegen der vermeintlichen Parallelen. Stones Epos über Alexander den Großen sieht ganz und gar nicht aus wie „Troja“. Bemerkenswert ist vielmehr, dass sich schon der Verdacht eine Statusveränderung bezeugt. Noch vor wenigen Jahren wäre es undenkbar gewesen, Oliver Stone der Nachahmung zu bezichtigen – zumal für jemanden wie Wolfgang Petersen.
Kein anderer Hollywoodregisseur ist in den letzten zwei Jahrzehnten so durchgängig mit Form und Inhalt seiner Filme identifiziert worden wie Oliver Stone. Seit seinen Erfolgen mit „Salvador“ und „Platoon“, für den er zum ersten Mal den Oscar für die „Beste Regie“ gewann, gilt Stone als screen auteur, als Regisseur mit persönlicher Handschrift. Dazu gehört mehr als jene Filmästhetik der schnellen Schnitte, der gewagten Kamerabewegungen und der sich überlagernden Bild- und Tonspuren, die als „MTV on drugs“-Stil mit Stone verbunden wird. Er gilt als Mann mit Mission: Nachdem er in „Platoon“ (1986) seine Erfahrungen im Vietnamkrieg verarbeitet hatte, erwuchsen auch seine kommenden Arbeiten wie „Wall Street“ (1987), „The Doors“ (1990), „Nixon“ (1996), „JFK“ (1991) und „Natural Born Killers“ (1994) direkt aus der Haltung und Biografie des Regisseurs und Drehbuchautors.
Oliver Stone wurde zu einem Markenzeichen, in ihm fand die graue Theorie der hermeneutischen Einheit von Leben und Werk ihren potenten Helden. Seine Filme seien ein „wake-up cinema“, er selbst – „Olli, the Contrarian“ – ein „Kreuzritter für seine Version der Wahrheit“, der „seit Jahren wie ein Bluthund jedes Trauma aufspürt, an dem die amerikanische Seele krankt“. Fasziniert vom Krieg sei der Veteran Stone und führe darum selbst seinen Krieg gegen Missstände im Land und „die Mythen“ der Geschichtsschreibung. Jeder Film eine Mission und ein Exzess: „Talk Radio“ und „Natural Born Killers“ gegen die massenmediale Verrohung, „Wall Street“ gegen die Gier des Kapitalismus, „The Doors“ als Hymne auf Stones Jugendidol und Alter Ego Jim Morrison, „JFK“ als Aufdeckung der Kennedy-Verschwörung und so weiter.
Ein Stern sinkt
„Alexander“ also hat als Historienfilm über den größten Eroberer und Kriegsherrn der Geschichte, der sich als König von Makedonien an den Mythen um Achilles orientierte, alle Voraussetzungen für eine typische Resonanz auf einen Oliver-Stone-Film. Dass Wolfgang Petersen gleichwohl gerade hier den Plagiatsverdacht aufbringt, hat nicht nur mit der Welle von Sandalen- und Antikfilmen seit „Gladiator“ zu tun – es geht auch um dem gesunkenen Stern Oliver Stones. Seit seinem Footballfilm „Any Given Sunday“ (1999) hat Stone keinen Spielfilm mehr gedreht, von seinen wenig beachteten Dokumentationen über Fidel Castro („Comandante“, „Looking For Fidel“) und Yassir Arafat („Persona non grata“) läuft nur „Comandante“ in vereinzelten europäischen Kinos. Stone ist nicht mehr Hollywoods Regiestar. Auch „Alexander“ ist trotz der 160 Millionen Dollar Produktionskosten keine Hollywoodproduktion, sondern wurde federführend von den deutschen Produzenten Thomas Schühly und Moritz Borman realisiert.
Knappe drei Stunden dauert dieser Aufstieg und Fall von Alexander dem Großen. Erstaunlich chronologisch folgt der Film dem Lebensweg von 356 bis 323 v. Chr.: Es beginnt mit den Kindertagen Alexanders und dem Kleinkrieg zwischen seinem triebgesteuerten Vater, dem makedonischen König Philipp (Val Kilmer), und seiner intriganten Mutter Olympias (Angelina Jolie). Alexanders Eroberungsfeldzüge nach Philipps Tod, die ihn als Herrscher des größten Reichs der Weltgeschichte über Ägypten und Babylon bis nach Indien führen werden, nehmen den meisten Raum ein. Ein Erzähler, Alexanders alter Kampfgefährte Ptolemaios (Anthony Hopkins), rahmt die Geschichte: „Wie kann ich es beschreiben? Ich habe nur einen gekannt, der übermenschlich war.“ So bereitet die Oral History des Ptolemaios den Boden für ein Epos um Schlachten, um den Charakter des Eroberers, um Alexanders Liebe zu seinem Mitstreiter Hephaistion (Jared Leto) und ebenso um die Frage der Geschichtsschreibung im Umgang mit Legenden.
Das Überraschende an „Alexander“ ist, wie all das in diesem Film erfüllt und zugleich verweigert wird. Die merkwürdigen Gewichtungen in „Alexander“ verhindern einen leichten Zugang, und sie sind sicher auch eine Erklärung dafür, warum Stones Film in den USA sowohl bei der Kritik als auch beim Publikum durchgefallen ist. Kriege sind zwar durchaus zu sehen, oft steckt die Kamera gewohnt beteiligt unter den Soldaten, Blut spritzt von abgetrennten Gliedern aufs Objektiv. Doch bleibt es hier bei all den Kämpfen, die Alexanders Ruf begründeten, bei gerade zwei Schlachten. In ihnen lässt sich noch jener Inszenierungsstil ausmachen, der weithin mit Oliver Stone assoziiert ist, während die übrigen über zwei Filmstunden vergleichsweise unspektakulär dem Star des Films folgen: Colin Farrell porträtiert Alexander als liebenden Anführer, Visionär und Regenten.
Die Figur selbst wird zur Dramaturgie und mit ihr vor allem die schlicht gezeichnete psychische Disposition als zu sehr und zu wenig geliebter Sohn. Olympias, die von Schlangen umgebene Mutter-Verführung, soll als Klischee Klarheit schaffen, und Papa Philip zeigt Sohn Alexander schon mal das Bild des Ödipus im makedonischen Mythen-Keller. Die schillernden Farben bei Alexanders umjubeltem Einmarsch in Babylon werden am Ende als Erinnerung den ausgeblichenen Bildern gegenüberstehen, die Alexander in Indien als ungeliebten, zu weit vorgedrungenen Eroberer zeigen. In dem anschließenden letzten Gefecht, „es war unsere blutigste Schlacht, das Ende aller Vernunft“, verkehrt sich die Welt in ein blasses Rot – dies hätte der Höhepunkt der Geschichte eines vom Kriege berauschten Feldherrn sein können, wenn „Alexander“ davon hätte handeln wollen.
Manche lieben es keusch
Weil es aber um viel mehr, weil es um alles gehen soll und nicht zuletzt um die von Alexander und Ptolemaios ständig benannten Folgen der (eigenen) Mythen und Legendenbildung, steht der Wahnsinn dieser Schlacht verloren zwischen allen anderen Angeboten von Sinnstiftung. Alexander 2004: Immer wieder muss dieser Eroberer von der „Befreiung“ sprechen, die er allen Völkern der Erde bringen will, als habe sich hier die UNO kämpferisch der Globalisierung angenommen. Ebenso präsent bleibt die Liebe zwischen Alexander und Hephaistion, die griechische Anwälte noch vor dem Filmstart als „angebliche Homosexualität“ zum Skandal erheben wollten und die Gore Vidal als einsamen Rufer dazu brachte, Stones „Alexander“ als „brillant“ zu loben: „Das Kino ist immer hintendran, wenn es darum geht, Veränderungen in der Gesellschaft zu registrieren. Aber dieser Film tut es.“
Er tut es, und er tut es nicht, denn auch die Liebe der beiden Männer prägt „Alexander“ nicht, sie formt als reine, platonische Beziehung ein Element unter vielen. Was eine politische Haltung des Films hätte werden können, Alexanders Liebe und Sexualität nicht einem voyeuristischen Blick zu opfern, wird schließlich konterkariert durch eine Sexszene mit wildem Tiergefauch, in der Colin Farrell und Rosario Dawson als Alexanders erste Frau Roxane aufeinander losgehen. Natürlich wird diese Roxane als Frau Schlangenschmuck tragen. Und damit die Analogie Frau-Mama-Schlange-Sex auch auf gar keinen Fall übersehen werden kann, wird auf Olympias geschnitten, bevor Alexander ausruft: „Wenn du doch nicht nur ein blasser Abglanz meiner Mutter wärst!“
Man könnte also sagen, dass Oliver Stones „Alexander“ gescheitert ist. Ihm fehlt die homerische Dramaturgie, auf die „Troja“ bauen konnte, und Colin Farrells Mienenspiel unter der blondierte Mähne kann im Multiplex schwer mit den Duellen konkurrieren, die „Gladiator“ und „Troja“ zu bieten hatten. „Alexander“ besteht fast zu gleichen Teilen aus losen Enden, kruden Klischees, interessanten Andeutungen, spektakulären Massenszenen und Holzhammerpsychologie. Zugleich kann man zu dem Schluss kommen, dass mit diesem Film vor allem unser Blick scheitert, wenn er auf eindeutige Sinnstiftung angelegt ist: der Blick auf einen Film, der als „Oliver-Stone-Film“ immer schon zweifellos auf das Filmemacher-Subjekt verweist, und der Blick auf die Historie, die sich als kohärente Geschichte eines starken (Ver-)Führers erweisen soll.
So wie sich die Filme Oliver Stones nicht auf die Kraft eines unverwechselbaren Filmkünstlers reduzieren lassen, weil sie als Kulturprodukte immer schon gefüllt sind mit Zeichen und Strömungen, die aus dem zeitlichen und kulturellen Umfeld in die Filme eingehen, so wenig kann „Alexander“ die kohärente, runde Geschichte dieses Lebens erzählen. „Alexander“ ist in jeder Hinsicht voll von den Erwartungen, die sich aus dem zeitgenössischen Blick auf diesen Star der Geschichte ergeben. Ihnen, nicht Alexander, können wir in diesem symptomatisch zerrissenen Film begegnen.